Der etwas andere ArbeiterführerIG-Metall-Chef Witich Roßmann geht in Ruhestand

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Der IG-Metall-Chef im Büro am Hans-Böckler-Platz

Der IG-Metall-Chef im Büro am Hans-Böckler-Platz

Köln – Weil mancher denkt, er sei schon ewig Gewerkschaftsführer, fällt es denen schwer, sich die Zeit nach ihm vorzustellen. Der letzte große Kölner Arbeiterführer gehe von Bord, sagen einige – wobei unklar bleibt, ob das als Lob der Person zu verstehen ist oder einfach nur Ausdruck davon ist, dass es so gut wie keine Arbeiter mehr gibt.

„Das Klientel und das Profil der IG Metall hat sich in den vergangenen Jahrzehnten völlig verändert“, sagt Witich Roßmann. Die Gruppe derer, die man mal als klassische Arbeiterschaft verstand, ist immer kleiner geworden. Der Anteil hoch qualifizierter Facharbeiter und Akademiker ist deutlich gewachsen.

Kein Arbeiter, sondern Politikwissenschaftler

Auch Witich Roßmann ist nie Arbeiter gewesen, streng genommen war er noch nicht einmal Angehöriger der Klientel einer Metallgewerkschaft. Der Sohn eines VW-Angestellten ist promovierter Politikwissenschaftler. 1985 wechselte er aus der Welt der Hochschule zur IG Metall – zunächst als Projektsekretär in Wetzlar, ab 1987 dann in Köln, wo er 2000 zum „Bevollmächtigten“ gewählt wurde. Mit diesem seltsamen Titel benennt die IG Metall ihren hauptamtlichen Vorstandschef.

Witich Roßmann (r.) 1993 beim Streik der Bediensteten in der IT-Firma Digital Equipement. Damals war er noch Gewerkschaftssekretär.

Witich Roßmann (r.) 1993 beim Streik der Bediensteten in der IT-Firma Digital Equipement. Damals war er noch Gewerkschaftssekretär.

Trotz dieses ungewöhnlichen Werdegangs ist Roßmann seit 17 Jahren immer wieder fast einstimmig und ohne Gegenkandidaten an die Spitze der Kölner IG Metall gewählt worden – ein unumstrittener Anführer, anerkannt auch bei Arbeitgebern und anderen gesellschaftlichen Gruppen der Stadt, mit denen er immer wieder Bündnisse schmiedete, um Arbeitsplätze zu erhalten, Standorte zu sichern, eine Lobby für Industriepolitik zu schaffen oder gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen.

Bald in Rente

Am Montag ist Schluss. Die IG Metall Köln-Leverkusen wählt in bei ihrer Delegiertenversammlung in der Mülheimer Stadthalle einen neuen Vorstand. Roßmann geht in Rente. Wer ihn im offenen, strahlend weißen Hemd, meist bestens gelaunt, am Schreibtisch, Verhandlungstisch oder Kneipentresen trifft, glaubt nicht, dass der Mann schon 66 Jahre alt ist. Dem Klischee des typischen Gewerkschaftsfunktionärs hat er nie entsprochen – eher dem, was der Linksaußen-Flügel der Gewerkschaften gerne als den Klassenkampf verweigernden „Co-Manager“ verspottet.

Die Kritik an Roßmanns Umgang mit Arbeitgebern hielt sich in Grenzen, weil er immer wieder Probleme abräumen und gute Ergebnisse vorweisen konnte. In Zeiten der Globalisierung, in denen Unternehmen mit der Verlagerung ihrer Betriebe drohen, hat er nicht über Abfindungen sondern über Standortsicherungen verhandelt. „Die Gewerkschaften mussten flexibler werden“, resümiert er. Mehr Vereinbarungen auf Betriebsebene, Kompromisse und Zugeständnisse – das sind aus Roßmanns Sicht die Folgen der allgemeinen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.

„Unser Tätigkeitsprofil hat sich grundlegend geändert. Die Ansprüche sind gewachsen, sie gehen weit über die Frage ,Was ist die nächste Lohnforderung’ hinaus. Das, was die IG Metall heute macht, unterscheidet sich völlig von früheren Jahren.“

Gewiefter Taktiker und kluger Redner

Betriebsräte, die mit ihm zusammen gearbeitet haben, schätzen ihn als gewieften Taktiker und klugen Redner. „Der schmunzelt sogar, wenn er etwas androht“, sagt einer, der mit Roßmann Hunderte Arbeitsplätze gerettet hat. Er habe die Gabe schnell zu erkennen, was wichtig und was unwichtig ist. Mit Arbeitgebern hat er immer auf Augenhöhe verhandeln können.

Im Zweifel wusste er immer ein bisschen mehr als sein Gegenüber. Der gebürtige Wolfsburger und überzeugte Wahlkölner verbindet im Job wie im Privaten die Vorzüge norddeutscher Präzision mit der sprichwörtlichen rheinischen Gelassenheit. Das sichert offenbar eine gute Verhandlungsposition.

Undogmatisch war auch sein Umgang mit denen, deren Interessen er vertreten wollte. „Der stand parat, wenn es brannte und hat sein Engagement nicht von der Zahl der Gewerkschaftsmitglieder im Unternehmen abhängig gemacht“, sagt ein Betriebsratschef. Weil er Erfolg hatte, sei der gewerkschaftliche Organisationsgrad anschließend gestiegen. „Das machen nicht alle Gewerkschaften so.“

Mitgliederzahl gesunken

Die Mitgliederzahl der IG Metall ist in den vergangenen Jahren gesunken, weil die Zahl der Industriearbeitsplätze zurückgegangen ist. Wichtiger als die absolute Zahl ist der Anteil der Gewerkschaftsmitgliedern in den Betrieben der Branche. Und der habe sich erhöht, so Roßmann. Auch Firmen, die in den 1990er Jahren – wie zum Beispiel in der IT-Branche – außerhalb jeder klassischen Tarifstruktur gearbeitet haben, wollten heute Tarifverträge.

Zwar ändere sich die Arbeitsweise und vielleicht auch die Organisationsform gewerkschaftlicher Arbeit. „Der Grundgedanke, dass man ohne Vernetzung, Zusammenschluss und Solidarität nicht viel erreichen kann, ist aber aktueller denn je.“

Und was kommt jetzt? Ein Ruhestand ist nicht in Sicht. Der Tennisspieler und dreifache Opa wird sich um seine Enkel kümmern, aber auch wieder wissenschaftlich arbeiten und weitere Bücher schreiben. Sein Thema wird die gewerkschaftliche Arbeit bleiben, die nie nur Beruf, sondern immer auch „Herzensangelegenheit“ gewesen sei.

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