Der MännermacherNorbert Ollig macht in seinem Anzugladen aus Kerlen echte Männer

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Norbert Ollig in seinem Laden, in dem er Männer zu dem richtigen Anzug berät.

Norbert Ollig in seinem Laden, in dem er Männer zu dem richtigen Anzug berät.

Innenstadt – Als Jugendlicher hat Norbert Ollig Marihuana verkauft und im Longericher Geschäft seines Vaters auch Fahrräder. Er hat mit Polke, Buthe und Zeltinger gesoffen, in der Garage eines Kumpels, der den einzigen Plattenspieler weit und breit besaß, hat er gekifft und über Musik philosophiert, nach der Schule Schreiner gelernt, Citroen DS repariert und Industriedesign studiert, gelebt und gelesen, von der Phänomenologie der Erfahrung, den Pforten der Wahrnehmung und den Funktionen des Orgasmus. Nach der Drogenzeit hat er asketisch gelebt, Meditation statt Fleisch, 15 Jahre lang.

Ollig sitzt in seinem Geschäft „Galant“ auf der Maastrichter Straße, zwischen Anzügen, die bis zu 2000 Euro kosten, und putzt Schuhe, kastengenäht, Neupreis nicht unter 400 Euro. Neonröhren leuchten den Raum aus, kein Geld für Designerlicht.

Früher Hippie – nun gediegener Anzugverkäufer

Norbert Ollig war als Jugendlicher 100-prozentiger Hippie. Er trug Cordhosen mit Schlag, Schaffellwesten aus Afghanistan, die blonde Mähne ging bis zum Hintern. Männer mit Anzug und kurzen Haaren waren die natürlichen Feinde – es ging um Abgrenzung. „Wir waren natürlich sehr eitel, unsere Stilvorbilder waren die Beatles, Stones und The Who, ich bin aber überzeugt, dass jeder mit seiner Kleidung und seinem Äußeren etwas ausdrücken will, eine Rolle spielt. Wer sagt, er wolle das nicht, ist sich dessen nur einfach nicht bewusst.“ Um Abgrenzung geht es heute wie damals.

Der 61-Jährige trägt Koteletten, die Haare vorne kurz und hinten etwas länger. Der graue Nadelstreifenanzug aus dickem Flanell betont die hellblauen Augen. Unter der weinroten Weste zeichnen sich Hosenträger ab. Ärmelhalter am Bizeps bändigen das sonst leicht zu lange Hemd. Hippie ist er geblieben. Der Dandy ist dazugekommen. Ollig hatte einen Schlagzeugladen, er führte eine Unternehmensberatung und eine Druckerei, war Taxifahrer, Kulturbeauftragter, Stadtzeitungsherausgeber („Die Nüdije“) und Gitarrenlehrer, bevor er sich auf Kleidung spezialisierte.

Jahrelang Wissen angelesen

Er weiß alles über Ärmellängen und Reversbreiten, Stoffe, Farben und Schnitte, in Jahren angelesen, vieles dem Wissen eines Freundes entlehnt, der manisch Anzüge sammele und noch viel mehr wisse als er. Zum Wissen kommt die bewegte Vita. Eine bis zu dreistündige Anzug- und Lebensberatung bei Ollig kostet 150 Euro, er geht mit seinen Kunden auch zum Schneider, um Jacketts und Hosen anpassen zu lassen.

Klingt alles teuer, „ist es aber nicht, wenn Sie danach 20 Jahre auf Partys Komplimente für Ihren Anzug bekommen und Ihre Freundin Sie dauerhaft sexy findet“. Überhaupt, findet Ollig: Ein Mann, der einer sein wolle, sollte einen guten Anzug tragen. Er zeigt einen Dreiteiler von „Anderson & Sheppard“ von 1964, Neupreis 6000 bis 7000 Euro, befühlt die handumsäumten Knopflöcher und das reißfeste Innenfutter, ein Namensetikett ist noch eingenäht, der Zwirn gehörte einem ehemaligen Essener IHK-Präsidenten.

Olligs Preise bemessen sich nach Qualität und Verfügbarkeit. Die Ware bezieht er von Sammlern, Händlern und Second-Hand-Läden, er hat auch schon Raritäten im Rot-Kreuz-Shop gefunden, „von denen zum Glück niemand wusste, was sie eigentlich wert sind“.

Falsche Schuhe zerstören den Gesamteindruck

Olligs Schuhe sind selbstredend kastengenäht, Neupreis rund 1200 Euro. „Mit den falschen Schuhen zerstört man sofort den Gesamteindruck“, sagt der 61-Jährige. Das Gleiche gelte für Hemd und Krawatte. Entscheidend sei, welche Rolle der Kunde spielen wolle. „Viele Menschen sagen vor einer Beratung: „Sehen Sie, ich bin ein extrem individueller Typ!“ Ollig verdreht die Augen: „Mein Gott, wenn die wüssten, was für große Worte sie in den Mund nehmen! Sind Vollbart, Tattoos und Armani-Brille schon individuell?“

Norbert Ollig hilft seinen Kunden, ihr Bewusstsein zu schärfen, was individuell denn bedeuten könnte – „und, welcher Anzug sie erhebt“. In seinem Geschäft hängen fast 1000 Zwei- und Dreiteiler, viele von ihnen aus den 1960er und 1970er Jahren, einige auch von 1900. Der Laden sieht nach dem Trödelladen eines Punks aus und ist das Gegenteil: fast alles Sammlerstücke, hochwertig, nicht billig. Ollig verkauft auch Hemden, Hüte, Schuhe, Gehröcke, Manschettenknöpfe und Hosenträger. Jeder Preis sei verhandelbar. Guter Stil sei es nicht.

Ollig bewertet spontan Politiker und Promis – und die Kollegen vom „Kölner Stadt-Anzeiger“

Barack Obama ist für Ollig sehr, sehr gut angezogen, „schlicht und elegant, immer nur beste Stoffe“, der ZDF-Journalist Claus Kleber nicht – der wolle Weltmann sein, trage aber Anzüge, die nicht richtig säßen, die Schultern befänden sich nicht an der richtigen Stelle, die Hosen seien zu lang. Schlimmer stehe es um die Kleidung von Moderator Markus Lanz: „Lanz ist ein glatter, jungenhafter Typ und trägt leider genauso glatte Anzüge. Er müsste, um Charakter und Brüche zu zeigen, kantigere Sakkos tragen, mit gröberem Stoff.“

Der Fotograf vom „Stadt-Anzeiger“? „Schwierig. Typ gealterter Student mit Funktionskleidung, das ist eine Herausforderung. Spontan: Lederjacke.“ Der Schreiber? „Eher in einen Nicht-Anzug. Oder wir machen Sie richtig schick. Wenn Sie es denn wollen.“

Es sei keine Faustregel, gelte aber oft: „Jungenhafte Männer mit weichen Zügen können markantere Stoffe tragen, zu Männern mit kantigen Zügen passen glattere, weichere Materialien.“ Wichtig seien die Konturen: Blonde Menschen mit blassem Teint heben sich weniger von ihrer Umwelt ab als dunkle Typen oder Farbige – „Menschen mit sehr dunkler Haut steht oft schwarz-weiß kariert oder gestreift sehr gut, hellen Typen eher selten“. Oder der Hals: langer Hals, hoher Kragen, kurzer Hals, tiefer Kragen. Eigentlich ganz einfach. „Aber den meisten ist das nicht klar.“

Bequem statt Business

Gregor von Elstermann sucht etwas Bequemes. Business-Anzüge hat der IT-Berater genug. „Sie sind ein sehr männlicher Typ. Gegelte Haare, starke, stechende Augen, die lachen können, aber auch töten, Alain-Delon-Blick. Ich möchte Ihnen nicht unbedingt nachts begegnen. Sie haben den Wecker bestimmt schon öfter klingeln hören“, sagt der Berater. Ollig redet eher nicht wie ein Verkäufer eines Herrenausstatters in der Schildergasse. Von Elstermann lacht, er habe Delon mal zufällig kennengelernt und mit ihm im Hotel Wasserturm Rotwein getrunken, „danach habe ich den Wecker wahrscheinlich klingeln lassen“.

Ollig zeigt ihm einen indigoblauen Anzug, das Jackett sitzt etwas spack, „wenn Sie zwei, drei Monate joggen gehen, passt es perfekt“. Von Elstermann ist zu gut angezogen, der erste Anzug sitzt zu gut, der hohe Rückenschlitz betone die Männlichkeit, sagt Ollig, das breite Revers „den kräftigen, nicht dicken Typen“, die Ärmellöcher seien klein und machten seine Arme schlank, das Jackett werfe keine Falten am Rücken, ein bisschen zu perfekt. Nur der Preis müsste noch verhandelt werden, 1500 Euro sind kein Schnäppchen, „aber wenn Sie ihn haben wollen, werden wir uns einig“, sagt Ollig.

Das „Galant“ ist kein klassischer Herrenausstatter, darauf legt der Betreiber wert. Bei Norbert Ollig soll geredet werden, kein Smalltalk, es geht um den ganzen Menschen. „Die Leute müssen sich auf eine Beratung mit mir einlassen, so ein Gespräch ist wie ein Tanz“, sagt er. Ollig, der Ex-Hippie und Dandy, kommt den Unbekannten dabei nah, und bleibt doch meistens diskret. Die Rolle passt.

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