DomorganistHerr über 140 Register und 7000 Pfeifen

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Nur selten sitzt Winfried Bönig an der Schwalbennestorgel: Von der alten Hauptorgel aus kann er beide Instrumente bedienen.

Nur selten sitzt Winfried Bönig an der Schwalbennestorgel: Von der alten Hauptorgel aus kann er beide Instrumente bedienen.

Innenstadt – Winfried Bönig nimmt die Anstrengung gerne in Kauf. Die enge Wendeltreppe hoch, 60, 70 Stufen, ein paar Meter den schmalen Gang entlang, dann schließt er das kleine Tor zur Orgel auf und setzt sich an den Spieltisch. „Es ist ein schöner Ort hier“, sagt der 53-Jährige. Und das ist untertrieben.

Es ist ein außergewöhnlicher Ort oben auf der Schwalbennestorgel im Dom. Das an Stahlstangen hängende Instrument scheint im Raum zu schweben, der Blick fällt auf die Fenster gegenüber, durch die an diesem Morgen die Sonne scheint, und 20 Meter in die Tiefe, wo die Touristen die Kathedrale erkunden. „Jetzt ist es richtig leise“, sagt Bönig. „Wenn viele Besucher im Dom sind, ist die Bahnhofshallen-Atmosphäre nur schwer zu ertragen.“ Für einen Musiker vermutlich erst recht.

Winfried Bönig ist Domorganist seit 2001, und eigentlich steigt er nur noch selten zur 1998 eingeweihten Schwalbennestorgel hoch. Meist spielt er von der alten Hauptorgel im Querhaus aus, weil er von dort das neue Instrument mitbedienen kann. Mehr als 140 Register, rund 7000 Pfeifen: „Beide zusammen sind schon ein monumentales Ensemble“, sagt der gebürtige Bamberger, der seit 1998 eine Professur für Orgel und Improvisation an der Musikhochschule innehat. „Wie zwei Schwestern“ kommen ihm die beiden Instrumente vor, die in der Werkstatt der renommierten Bonner Orgelbaufirma Klais entstanden sind: die ältere „Schwester“, Jahrgang 1948, etwas fülliger, mit warmem, dunklem Klang, die jüngere, schlankere, eher „hell und strahlend“.

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Die Besucher der Kathedrale haben reichlich Gelegenheit mitzuerleben, wie Bönigs Spiel den Raum der riesigen Kathedrale füllt: Sonntags gestaltet er die Hauptmessen um 10 Uhr und um 12 Uhr, dazu die Messen am Montag und natürlich die Hochämter an den großen Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten.Zu solchen Anlässen, wenn der Kölner Erzbischof in den Dom einzieht, intoniert Bönig zusätzlich die 2006 auf beiden Seiten des Westwerks installieren „Trompeten“-Register – die „Tuba episcopalis“ und die „Tuba capitularis“. Eine besondere, triumphale Klangfarbe für besondere Anlässe.

Eine große Zuhörerschaft ist Bönig auch am 12. Juni sicher. Dann eröffnet der Vater zweier kleiner Kinder mit Werken von Bach, Messiaen und Vidor die diesjährigen Orgelfeierstunden: eine Reihe, die ein ganz eigenes Flair entwickelt hat, mit Tausenden Musikbegeisterten, die zum Teil ihre eigenen Hocker, Klappstühle und Deckenmitbringen und für einen Hauch von Camping in der Kathedrale sorgen. „Die Menschen sindfasziniert , wie sich Orgel und Raum verbinden“, erklärt sich Bönig die große Anziehungskraft der Konzerte. „Die Orgel macht den Dom zu einem Resonanzkörper. Das ist so, als wenn man in einem Geigenkasten sitzt.“

Natürlich muss Bönig üben. Da das tagsüber im Dom wegen der vielen Führungen nicht möglich ist, probt er zu Hause an einer kleinen Übungsorgel. Oder er schließt sich abends den Dom auf. Wenn keine Touristen mehr unterwegs sindund er nach Herzenslust spielen und improvisieren kann. „Das ist fantastisch“, schwärmt der Musiker – und räumt ein, dass er dabei schon mal die Zeit vergisst. Dann kann es zwei, drei Uhr werden, bis er das Domportal wieder hinter sich zuschließt.

Auch langjährige Berufserfahrung und stundenlanges Üben verhindern allerdings nicht, dass sich Bönig mal verspielt. „Im Berufsstand der Organisten ist die Unfehlbarkeit nicht verbreitet“, sagt er schmunzelnd. „Aber die Kunst ist es, sich nicht vom Spiel abbringen zu lassen.“

Seine Kunst demonstriert Bönig nicht nur im Dom: 30 bis 40 Konzertreisen pro Jahr stehen auf seinem Programm. Gerade war er in London und Australien, Pfingsten hat er in Rom gespielt, und Ende August wird in der Arena von Verona spielen – eine Komposition für neun Orgeln.

In Zukunft, sagt Bönig, will er wieder regelmäßiger die Schwalbennestorgel spielen. In der Fastenzeit und im Advent, das hat er sich vorgenommen. Dann kann er dort die 53 Register ziehen – von denen das mit der Nummer 35 übrigens die ungewöhnliche Aufschrift „Loss jon“ trägt. Damit lässt sich eine Luke unten an der Orgel öffnen, aus der der frühere Dompropst Bernard Henrichs schaut – als Holzbüste mit Narrenkappe auf dem Kopf.

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