Haus Bachem in KölnEine Geschichte vom Glück

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1943 wurde das Viertel um den Großen Griechenmarkt während der Bombenangriffe auf Köln fast völlig zerstört. Die Grundmauern des Großen Bachem blieben stehen.

1943 wurde das Viertel um den Großen Griechenmarkt während der Bombenangriffe auf Köln fast völlig zerstört. Die Grundmauern des Großen Bachem blieben stehen.

Köln – Auf der Baustelle wird heute gelesen: eine Familiengeschichte; eine Geschichte vom Krieg. Auf den schwarzen Fliesen im großen Saal des Hauses Bachem sammelt sich feiner, weißer Baustaub; schwebt im Raum wie ein sanfter Nebel. Er setzt sich an den Innenseiten der Nasenflügel fest. Die Luft fühlt sich trocken an, es riecht nach Schutt. An der Südseite steht eins der drei fast bodentiefen Fenster offen. Sie sind von Steinpfeilern umgeben. Sonnenstrahlen fallen hindurch in den Saal, auf die kleine Bühne. Der Autor Martin Kordic hat seinen Platz auf dem Podest noch nicht eingenommen. Sein Buch „Wie ich mir das Glück vorstelle“ liegt schon auf dem Tisch.

Es ist die erste Veranstaltung in den neuen Räumen des Literaturhauses am Großen Griechenmarkt. Aus den Wänden und von der Decke, deren dunkle Holzbalken schwer über den Köpfen der Gäste hängen, baumeln noch lose Kabel, zwei zusammengeschobene Tische dienen als Theke; darunter zwei Kästen Kölsch. „Die müssen sein“, findet Barbara Fischer, die das Kölner Literaturhaus seit 2012 leitet. „Ist ja schließlich eine Baustellenlesung.“ Den Umzug von der Schönhauser Straße ins historische Haus Bachem hat sie von Beginn an begleitet.

An diesem Freitagabend sind viele Menschen gekommen, um die neuen Räume der Kölner Institution kennenzulernen. Die Veranstaltung ist ausverkauft. Fischer trägt zusätzliche Stühle aus den Büros im Zwischengeschoss herunter – den traditionellen Hängestuben. „Es ist heute eben alles ein wenig improvisiert“, sagt sie. Die barocke Wendeltreppe, die hinauf in die „Hängestüffge“ führt, knarzt bei jedem ihrer Schritte. Fischer arbeitet bereits seit April in den neuen Räumen; offiziell eröffnet wird Ende August. In den Büros herrscht noch Chaos. Umzugskartons mit Aktenordnern und Postern bilden Wände zwischen den Schreibtischen der Mitarbeiter, dazwischen stapeln sich Bücher. Vor fast 100 Jahren wurden hier noch Gäste bewirtschaftet. Es gab Bier und Wein. Irgendwo im Haus muss sich eine Kegelbahn befunden haben.

Vom Weingut zum Brauhaus

Angeblich soll es ein Ritter gewesen sein, der das aus Obst- und Weingärten bestehende Grundstück zwischen den Straßenzügen „Alter Mauer am Bach“ und der Hundsgasse (heute: Färbergasse) 1280 dem Patriziergeschlecht der „Saphiren“ schenkte. Ein Ereignis, mit dem die Geschichte des „Großen Bachem“ ihren Anfang nahm. Denn genau auf diesem Grundstück ließ der erzbischöfliche Kämmerer Nickolaus von Bachem, 40 Jahre später, zwei Wohnhäuser errichten: den „Großen“ und den „Kleinen Bachem“. Weil aber ein gewisser Peter von Krastein die Häuser 1590 abreißen und unter Benutzung der alten Kellergewölbe neu errichten ließ, wird auf der Fassade des „Großen Bachem“ noch heute das Baudatum 1590 angegeben. Seine Initialen befanden sich gleich nebenan; über dem Eingang des „Kleinen Bachems“, der heute nicht mehr erhalten ist. Nach 1611 wechselte der „Große Bachem“ noch mehrmals den Besitzer. So wurde 1795 eine Weinstube eingerichtet, ab 1828 Bier gebraut. Ein Brauer namens Peter Wolter beendete diese Tradition schließlich im Jahr 1880. Als Ort für Gäste blieb der „Große Bachem“ jedoch auch danach noch bestehen. Ein Foto von 1920 zeigt die Inschrift: Restauration „Im Bachem“ von Gottfried Metternich.

Allein zwischen Trümmern

Eine Geschichte, die bis hierhin lückenhaft rekonstruiert werden kann, vervollständigt sich, als das Haus Bachem im Februar 1938 in den Besitz von Ada Limbourg gelangt. Im Café des Hotels Wasserturm, nur zwei Minuten Fußweg vom Haus Bachem entfernt, hat ihr Enkel, Kurt Limbourg, die Unterlagen über den Familienbesitz ausgebreitet: Fotos, Zeichnungen, Gutachten. „Der aufwendige Bau war völlig heruntergekommen und abbruchreif“, erzählt er. Ein Kännchen Kaffee steht vor ihm auf dem kleinen, runden Tisch. Für die Gäste des Hotels scheint der Morgen noch zu früh. „Meine Großmutter hat das Haus vollständig restaurieren lassen. Sie war eine kluge Frau mit gutem Gespür fürs Geschäftliche. Nur leider war es rückblickend der falsche Zeitpunkt.“

Nur vier Jahre nach der Restaurierung, 1943, wurde das Viertel um den Großen Griechenmarkt während der Bombenangriffe auf Köln fast völlig zerstört. Brand- und Sprengbomben vernichteten die Nachbarschaft, nahmen den Menschen ihr Zuhause, ihre Erinnerungen, ihr Leben. Auch das Haus Bachem wurde getroffen, doch die Grundmauern trotzen den Angriffen. Zwar brannten der Dachstuhl und die darin liegenden Wohnungen komplett aus, die tragenden Wände sowie das Erdgeschoss mit der barocken Wendeltreppe und den Hängestuben blieben erhalten. Gemeinsam mit dem Wasserturm hatte der „Große Bachem“ den Zweiten Weltkrieg überlebt. Und so entschloss sich Ada Limbourg, das Haus erneut restaurieren zu lassen. „Als mein Vater aus dem Krieg kam, hat er sich Werkzeug vom Wasserturm geliehen“, erzählt Limbourg. „Es gab ja kein Material, nichts. Ringsherum war alles kaputt. Kleine Lorenzüge brachten den Schutt weg.“ Eine Szenerie, die sich bis 1958 kaum veränderte. Kurt Limbourg war zu dieser Zeit 14 Jahre alt. Sein Schulweg zum Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, das 1957 neu errichtet wurde, führte jeden Tag über das Trümmerfeld; vorbei am Besitz seiner Großmutter.

Ein schönes Leben

Für die Familie war der Erhalt des Hauses „ein großes Glück“. 1948, noch während des Wiederaufbaus, baute Kurt Limbourgs Vater, Hans Klaus Limbourg, in den Räumen sein eigenes Unternehmen auf: einen Großhandel für Bäckerei- und Speiseeismaschinen. „Mein Vater kam ja gerade aus dem Krieg. Er hatte zwar Abitur, aber keine Berufsausbildung und musste eine Familie mit zwei Kindern ernähren“, sagt Limbourg. „Da hieß es dann eben, möglichst schnell auf die Beine zu kommen.“ Die Firma lief gut und vergrößerte sich mit der Zeit. Es gab eine Werkstatt, einen Ausstellungsraum, Büros und eine kleine Tankstelle im Hof. Um der Platznot abzuhelfen, ließ Limbourg 1963 einen Neubau auf dem Nachbargrundstück errichten. 1974 verkaufte er die H. K. Limbourg GmbH dann an seinen Geschäftsführer Gottfried Frey. Das Haus Bachem aber blieb im Besitz der Familie.

„Meine Großmutter hat das Haus vor dem Verfall gerettet. Mein Vater hat darin mühsam sein Unternehmen aufgebaut und allmählich vergrößert“, erzählt Limbourg heute. Mittlerweile haben sich ein paar Gäste im Café eingefunden. „Ich selbst habe dort 1971 meine Promotion gefeiert.“ Der Vertrag mit dem Literaturhaus sei nun auf 20 Jahre angelegt. Eine Zeit, die er nicht mehr überleben werde, fügt er lachend hinzu. „Das Haus wird dann an meine und die Nachfahren meines Bruders übergehen. Der Große Bachem ist schließlich ein Teil meines Lebens. Dank ihm und meiner Großmutter konnten wir nach dem Krieg ein stabiles Leben führen.“

Und so ist es nicht nur eine Geschichte der Stadt, von der der „Große Bachem“ zeugt, sondern auch eine Familiengeschichte, die hinter seiner Fassade verborgen liegt. Eine Geschichte vom Krieg und der Zerstörung; von der Hoffnung und vom Glück.

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