Leerstand in bester LageHändlern im Agnesviertel machen hohe Mieten zu schaffen

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Die ehemalige Metzgerei im Agnesviertel steht seit Jahren leer und ist Symbol für den Leerstand.

Die ehemalige Metzgerei im Agnesviertel steht seit Jahren leer und ist Symbol für den Leerstand.

Innenstadt – Das Agnesviertel gehört zu den begehrtesten Wohngebieten in der Innenstadt, und dennoch stehen entlang der Neusser Straße regelmäßig Ladenlokale leer. Zurzeit sind es gleich sechs Geschäfte, bei denen Passanten in leere Schaufenster blicken. Früher befanden sich dort ein Blumenladen, eine Metzgerei, ein Schreibwarengeschäft, eine Apotheke, ein Weinlokal und die Traditionskneipe Stüsser.

Die Situation vor Ort spiegelt ein Phänomen wider, das sich auch anderenorts in Köln finden lässt, wie etwa an der Mittelstraße und der Severinstraße. Viele Ladenlokale werden zwar von neuen Einzelhändlern übernommen, doch viele müssen nach kurzer Zeit schon wieder schließen, weil ihr Konzept nicht aufgegangen ist.

In Zukunft wird es in Köln nicht leichter

„Wer hier heute noch ein Geschäft eröffnet, der wird es in Zukunft schwer haben“, sagt Goldschmiedemeister Kurt-Martin Claßen, der sein Uhren- und Schmuckgeschäft an der Neusser Straße 1962 eröffnet hat. In den vergangenen fünf Jahrzehnten hat er viele Läden kommen und gehen gesehen, die Veränderungen der letzten Zeit seien besonders auffällig gewesen. Er beobachte oft, dass Geschäfte neu eröffnet werden und nicht lange danach schon wieder der Möbelwagen vor der Tür stehe.

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„Ich werde in den nächsten Monaten auch aufgeben, ich werde hier nicht mehr gebraucht“, sagt Claßen. Die jungen Menschen kauften ohnehin nur noch im Internet ein, Schmuck würden sie kaum noch tragen. „Heutzutage kauft kein Mensch mehr Broschen, die Zeit ist vorbei“, so Claßen. Immerhin habe sein Vermieter die Preise realistisch gehalten.

Hohe Mietpreise und Internet setzen den Händlern zu

Das gilt allerdings nur für die wenigsten Ladenlokale. „Die hohen Mietpreise sind aus meiner Sicht die Hauptursache“, sagt Claudia Wolter vom Blumengeschäft „A und Z“, das sich seit 30 Jahren an der Neusser Straße befindet. Das Internet sei das zweite Problem für die Einzelhändler. „Ich finde es sehr schade, dass die speziellen Geschäfte, die besondere Waren verkaufen, hier im Agnesviertel weniger werden“, so Wolter. Bäckereien, Nagelstudios und Cafés gebe es im Gegensatz dazu mehr als genug.

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„Die Mieten sind zu teuer, die Eigentümer der Ladenlokale müssen umdenken“, sagt Hülya Tinazay, deren Ehemann im Agnesviertel die Geschäfte „Mrs. Goodwill“ und „Agnes und Astaire“ betreibt. Wenn die Einzelhändler am Ende des Monats nur wenig von ihren Einnahmen behalten könnten, könne auch niemand erwarten, dass man lange durchhält. Zudem gebe es vermehrt Ketten, die auch gezielt in kleine Viertel gingen und nicht mehr nur in die großen Einkaufsstraßen.

Das Schreibwarengeschäft ein paar Häuser weiter habe auch deshalb geschlossen, weil die Kunden nur noch wenig gekauft hätten. „Mir wurde erzählt, dass eine Kundin im Schreibwarengeschäft mit ihrem Handy eine Postkarte fotografiert hat und als die Ladenbesitzerin sie fragte, warum sie das mache, antwortete die Frau, dass sie das Motiv über das Internet verschicken wolle“, sagt Tinazay. „Das ist doch dreist.“

Trotz steigender Mieten bleiben einige Händler optimistisch

In eben jenem Schreibwarengeschäft wird Nicolette Rosin Ende August ein Geschäft für Damenmode eröffnen, zusätzlich zum benachbarten Laden, der ihr ebenfalls gehört. „Ich bleibe optimistisch, aber die Mieten sind tatsächlich extrem gestiegen und deshalb haben wir hier die vielen Leerstände“, sagt Rosin.

Helmut Gymnich, Wirt der traditionellen Gaststätte Balthasar an der Neusser Straße, bestätigt ebenfalls, dass das Mietniveau angezogen habe. Er plädiert dafür, dass die Geschäftsleute und vor allem die Kneipen mehr unternehmen müssten, um attraktiv zu bleiben. „Der Kleine kann nur überleben, wenn er etwas Spezielles macht“, sagt Gymnich. Das sei der Vorteil gegenüber großen Ketten.

„Eigentümer mit Konzepten überzeugen“ – 3 Fragen an Tim Rieniets von Stadt-Bau-Kultur NRW

Tim Rieniets ist Architekt und Geschäftsführer von Stadt-Bau-Kultur NRW. Der gemeinnützige Verein setzt sich für eine lebenswerte, nachhaltige und qualitätvoll gestaltete bauliche Umwelt ein.

Herr Rieniets, ein angesagter Stadtteil, in dem Ladenlokale leerstehen  – wie passt das zusammen?

Auch Menschen, die in angesagten Vierteln leben, haben ein anderes Konsumverhalten als früher. Sie sind viel unterwegs und kaufen im Internet ein. In solchen Quartieren steigen außerdem nicht nur die Mieten für die Wohnungen, sondern auch für die Ladenlokale. Auf dem Wohnungsmarkt herrscht eine hohe Fluktuation. Da ist es für die Einzelhändler schwierig, eine Stammkundschaft zu gewinnen.

Was passiert, wenn Ladenlokale zu lange nicht genutzt werden?

Das offene Ladenlokal ist ein Grundbaustein der europäischen Stadt. Wir erwarten, dass das Erdgeschoss zugänglich ist und dass es dort eine gewisse soziale Kontrolle gibt. Wenn das wegfällt, wird das Viertel unattraktiver, weil das urbane Lebensgefühl fehlt.

Wie kann man solchen Entwicklungen entgegenwirken?

Solange es um veränderte Konsumgewohnheiten geht, ist das schwierig. Stadt und Politik können auf die Eigentümer einwirken, die trotz der geringeren Verdienstmöglichkeiten der Geschäftsleute von zehn Euro Miete pro Quadratmeter träumen. Man muss sie von innovativen Konzepten überzeugen. In Wien gibt es das Grätzlhotel. Das sind umgestaltete Ladenlokale, in denen man übernachtet. Den Hotelschlüssel bezieht man an einem zentral gelegenen Safe, das Frühstück gibt es im Café. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass so etwas auch in Köln funktioniert.

Das Gespräch führte Tim Attenberger

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