Mein VeedelGrün, bunt, dreckig – Künstler Milan Sladek liebt sein Belgisches Viertel

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Stiller Künstler, lautes Leben: Pantomime Milan Sladek lebt seit Jahrzehnten im Belgischen Viertel.

Stiller Künstler, lautes Leben: Pantomime Milan Sladek lebt seit Jahrzehnten im Belgischen Viertel.

Innenstadt – Durch die große, zwei Stockwerke hohe Fensterfront ist die Kellnerin zu sehen, die am Tresen beschäftigt ist. Und nur ein einziger Gast, vorne rechts an der Wand, an der sich eine stilisierte Figur aus Neonröhren in tänzerischer Pose hochreckt. Milan Sladek wartet und trinkt Kaffee.

Es ist ein Vormittag unter der Woche, deshalb ist wenig los im „Hallmackenreuther“ am Brüsseler Platz. Abends, vor allem am Freitag und Samstags, kann es brechend voll sein in dem Lokal, das nach der Figur eines Bettenverkäufers aus einem Loriot-Sketch benannt ist. Sladek, der jenseits von St. Michael am Brüsseler Platz wohnt, kommt ab und zu her; und regelmäßig treffen sich hier die Freunde des legendären Theaters Kefka, das er in den 70er Jahren an der Aachener Straße gründete.

Ausstattung im 50er-Jahre-Stil

Das „Hallmackenreuther“ ist aus einer Druckerei entstanden und im 50er-Jahre-Stil ausgestattet . Eine breite Treppe führt vom Parterre zu Empore, hinter der ein weiterer Gastraum liegt; auch im Untergeschoss ist Platz für Gäste.

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So viel Ruhe im Moment drinnen herrscht, so laut geht es in den Sommernächten draußen zu. Im Streit um den Partylärm, der Anwohnern den Schlaf raubt, will sich Sladek „keiner Position zuordnen“. Sicher: „Es stört, wenn man um halb vier vom Geschrei junger Männer geweckt wird. Und die Müllhalde am nächsten Morgen ist auch nicht schön.“ Doch: „Wo sind andere geeignete Plätze?“

Die Veränderungen hier verfolgt Sladek seit 1976, als er in eine Mietwohnung auf der Südseite des Platzes einzog. Seit 1985 wohnt er mit seiner Frau im eigenen Haus auf der anderen Seite. Viel sei mit der Verbannung des Autoverkehrs gewonnen, sagt er. Und nach einer Phase der Verwahrlosung, in der die Hochbeete vergammelt und die Ratten zur Plage geworden seien, sei das Gelände rund um St. Michael dank der Initiative der Anwohner wieder in einem guten Zustand. Die alten Bäume gehören unbedingt dazu: „Als ich heute Morgen Hemden bügelte, habe ich mich über das Grün der Platanen gefreut.“

Wir brechen auf zum Spaziergang und gehen hinüber zur Kirche, mit der Sladek viel verbindet. 1906 wurde der neoromanische Bau mit der Doppelturmfront eingeweiht. In dem weiten Raum unter der mächtigen Holzdecke hat der weltbekannte Pantomime Stücke wie „Antigone“ und „Der Kreuzweg“ aufgeführt. „Es war eine riesige Überraschung, dass so viele Leute kamen“, sagt er zu den Anfängen, die Pfarrer Winfried Hamelbeck – „ein offener, kommunikativer Mann“ – ermöglichte; von 1975 an leitete er die Gemeinde St. Michael, 2015 starb er 80-jährig.

Früher war das Viertel orange geprägt

Wir biegen in die Brüsseler Straße ein. Ob Blumenladen oder Metzgerei, so manches ist im Laufe der Jahre verschwunden; Namen haben sich geändert. Vor dem „Belgischen Hof“ erinnert sich Sladek, der nächstes Jahr 80 wird, an die Zeit, als das Viertel orange geprägt war. Überall liefen farbig gewandete Anhänger des Gurus Bhagwan herum; geschäftstüchtig, wie sie waren, hatten sie etliche Immobilien erworben. Da, wo heute der Eigenwerbung zufolge „junge, kreative französische Küche in urgemütlichem Ambiente“ geboten wird, war das „Zorba the Buddha“-Restaurant. Die Kölner Zentrale der Bhagwan-Bewegung befand sich an der Lütticher Straße.

Dass die Aachener Straße, auf der wir Richtung Rudolfplatz gehen, einmal eine unansehnliche „Ausfallstraße“ war, wie Sladek sagt, kann man sich kaum vorstellen, wenn man die allabendliche Betriebsamkeit auf dem Abschnitt zwischen Ringen und Moltkestraße kennt. Die Lokale sind bestens besucht, bei gutem Wetter sitzen zahllose Gäste davor. Mittendrin liegt das Theater im Bauturm, mit dem es eine besondere Bewandtnis in Sladeks Karriere hat.

1970 kam Sladek nach Köln

1938 in einem Dorf in der Slowakei geboren, besuchte er die Kunstfachschule in Bratislava, studierte dort und in Prag Schauspiel und gründete ein Pantomimen-Ensemble. Nachdem 1968 Panzer den „Prager Frühling“ niedergewalzt hatten, kehrte er von einer Auslandstournee nicht zurück und setzte sich nach Schweden ab. Warum siedelte er 1970 nach Köln über? „Bei Gastspielen in der Bundesrepublik hatte mir Köln am besten gefallen. Woanders lag Schnee, hier nicht. Aber das war nicht das Entscheidende. Die Atmosphäre gefiel mir, die Reaktion der Zuschauer.“

Es verging einige Zeit, bis er beschloss, auf der Aachener Straße gegenüber dem Millowitsch-Theater in einer verlassenen Druckerei ein Theater zu eröffnen. Nach Umbauarbeiten eröffnete am 28. Mai 1974 das Theater Kefka, benannt nach einer Figur, die Sladek seit 1960 auf der Bühne verkörperte.

Wir haben Glück, Bauturm-Chef Laurenz Leky ist da und führt uns durch eine Passage zum Trakt mit dem Theatersaal. Viel von dem, was Sladek damals in Eigenregie umgestaltete, ist erhalten, zum Beispiel der mit einer Luke verschließbare Aufgang von der Garderobe hoch zur Bühne. Anfangs sei es schwierig gewesen, das „Hinterhoftheater mit 86 Plätzen“ zu füllen, erzählt Sladek. Nur allmählich habe sich der Erfolg eingestellt.

Als Werbegag hätten sie Aufführungen um 20.07 Uhr anfangen lassen, sieben Minuten später als im Millowitsch-Theater, so dass Zuschauer, die dort keine Karten mehr bekamen, rechtzeitig zur „Konkurrenz“ hätten hinüberwechseln können. Als im Theater Kefka von Öl- auf Gasheizung umgestellt wurde, habe die Stadt einen Zuschuss von 10.000 Mark gegeben. Dafür habe „der fantastische Kulturdezernent Kurt Hackenberg“ gesorgt. Mit seiner Hilfe habe sich 1976 auch das erste internationale „Gaukler“-Festival aus der Taufe heben lassen, aus dem eine Reihe werden sollte.

1982 schloss das Theater Kefka, im Jahr darauf folgte an derselben Stelle das Theater im Bauturm. Dort wird Sladek, der seit gut 60 Jahren auf der Bühne steht, in diesem Herbst in abgeänderter Version das Stück „Das Geschenk“ wiederaufführen, mit dessen Premiere das „Kefka“ eröffnete.

Augenfällige Kölsch-Reklame

Zurück auf der Straße, weist er auf die Reissdorf-Figur aus Leuchtstoffröhren hin, die seit den 60er Jahren an einer Fassade so ausdauernd Kölsch in sich hineinschüttet, wie sie das Geschlecht wechselt. Dann erzählt Sladek, der Dutzende Tourneen absolviert hat, von neuen Projekten. In der Brabanter Straße kommen wir an einem Nachtclub vorbei, auf dessen Rollladen eine mit einem Regenschirm fliegende Figur abgebildet ist: Pan Tau, der Mann im Anzug und mit Melone aus der deutsch-tschechoslowakischen Fernsehserie der 70er Jahre. „Den kannte ich persönlich“, sagt Sladek. Bei einem Gastspiel in Prag habe er Hauptdarsteller Otto Šimánek kennen gelernt, „ein sehr netter Mensch mit toller Ausstrahlung“.

In der Maastrichter Straße werden gerade die Gehwege erneuert, und die Fahrbahn wird saniert. „Ich mag deutsche Weine“, sagt Sladek, als er durch das Schaufenster des Weinhauses Linke blickt, in dem er gelegentlich einkauft, mal Riesling, mal Grauburgunder.

Wir gelangen wieder zum Zentrum des Viertels mit all seinen Boutiquen, Galerien, Cafés, Kneipen und Restaurants. Sladek kommt zurück auf den endlosen Streit um nächtlichen Lärm und bringt ihn überraschend in eine ursächliche Beziehung zu Papst Benedikt XVI. Tatsächlich: Seit dem Weltjugendtag 2005, als es ein kirchlich organisiertes Bühnenprogramm vor St. Michael gab, eroberten vor allem junge Leute im Sommer immer wieder den Brüsseler Platz. Sladek, Meister einer stillen Kunst, hat Glück: Sein Haus liegt weiter hinten zur Moltkestraße hin, wo es leiser ist.  

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