SelbstversuchWie es sich anfühlt, als Neu-Kölner allein in die Kneipe zu gehen

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Betrinkt sich sonst nie alleine in der Öffentlichkeit: der Autor.

Innenstadt – Wie fühlt es sich an, als Neu-Kölner in Köln alleine in die Kneipe zu gehen? Ein Abend im neu eröffneten „Schnörres“ in der Südstadt.

  • [Lesedauer: rund 7 Minuten]

Am Ende des Abends streckt mir Michael die Hand entgegen. „Schön, dich kennengelernt zu haben“, sagt er und nimmt den letzten Schluck aus seinem Kölsch. Ich bin nicht sicher, was ich antworten soll und nicke. Am nächsten Morgen schickt er mir eine Anfrage bei Facebook. Wir sind jetzt Freunde.

Michael hat, so scheint es mir, mein Wesen durchblickt. Das ist nicht so einfach. Eigentlich nämlich bin ich ein Waschbär. Ich lebe in der Stadt, obwohl ich nicht dorthin gehöre. Ich bin mir sicher, ich bin nicht der einzige, dem es so geht. Während einige sich allerdings angepasst haben und freudig die Vorgärten der Nachbarn zertrampeln, bin ich scheu geblieben. Die meiste Zeit verbringe ich in meinem kleinen Bau, den ich „WG-Zimmer“ nenne. Da ist es ruhig. Da kann ich warten, bis es Nacht wird.

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Auf die Straße gehe ich nicht gern. Ich bin also kein besonders mutiger Waschbär. Aber wer hat nicht schon einen toten Waschbär am Straßenrand liegen sehen? Eben. Straßen sind gefährlich, besonders in der Stadt, besonders nachts, wenn nicht nur Autos, sondern schon Menschen drohen, einen zu überrollen.

Schluss mit dem Waschbärsein

Ich hasse es, mit fremden Menschen zu reden, wenn ich nicht muss. Nicht, weil ich Menschen nicht mag. Sondern, weil es mir  unangenehm ist, mit Menschen, die ich gar nicht kenne, über „dies und das“ zu plaudern. Generell weiß ich gar nicht, worum es bei „dies und das“ eigentlich geht. Ganz offensichtlich also bin ich kein Kölner.

Nicht schlimm, sind die Hälfte der Kölner doch auch keine Kölner - sondern Zugezogene, „Imis“ wie ich. Als Gesprächseinstieg taugt das aber auch nicht. Habe ich mal versucht, vergangene Woche erst, beim Rauchen. „Hey, ich komme nicht aus Köln“, sagte ich. „Ich auch nicht, sondern aus Bad Rappenau“, bekam ich als Antwort. Unangenehme Stille. Und ich flitzte davon. Womit wir wieder beim Thema wären.

Ich bin auch hierhin, nach Köln, gezogen, um mir das verdammte Waschbärsein abzugewöhnen. Deswegen möchte ich raus. Kalter Entzug. Unter Menschen. Nachts. Auf die Straße.

Gastfreundlich sollen sie ja sein, die Kölner. Sehr sogar. Sagte man mir zumindest. Ich fühle mich wie ein Gast. Uneingeladen zwar, aber jetzt bin ich nun mal hier. Und kenne niemanden. Wo könnte ich also besser hin als in eine kölsche Bar? Da müssen sie sich doch freuen, dass ich da bin, denke ich. „Drink doch eine met“, werden sie rufen. Hoffentlich. „Wenn du alleine in Köln in die Kneipe gehst und dort niemanden kennenlernst, dann stimmt etwas nicht mit dir“, schrieb mir eine Freundin kürzlich.

Mit Verlaub: Ich will nicht abstreiten, dass mit mir vielleicht etwas nicht stimmt. Schließlich bezeichne ich mich selbst als Waschbären. Leute kennenlernen will ich trotzdem.

Also ab in eine kölsche Bar. Keine traditionelle. Ich bin 21 Jahre alt und finde Blutwurst ungefähr so lecker wie Raufasertapete. Also in eine neumodische. In den „Schnörres“, die beste Kneipe Kölns. Sagt zumindest mein Mitbewohner. Also ab in den „Schnörres“. Linie 3, Richtung: kaltes Wasser.

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Das "Schnörres" in der Südstadt.

Orientierungslos wackle ich zehn Minuten später die Treppe des U-Bahnhofs hoch. Es blendet. Die Südstadt ist auch nach Sonnenuntergang hell. Ungewohnt, wenn man aus dem Ruhrgebiet kommt, da, wo die Menschen froh sind, Schatten zu finden, unter denen sie ihre grimmigen Mienen verstecken können. Hier ist das anders. Die Laternenlichter sind Scheinwerfer für, so scheint es mir, Dutzende perfekte Gesichter, hinter denen irgendwo Menschen stecken, die Waschbären nur aus dem Zoo kennen dürften.

Der Instagram-Filter Kölns

Glücklich quiekend flanieren sie über ihren roten Teppich, die Severinstraße, ihr Feierabend-Kölsch in der einen, das Smartphone in der anderen Hand. So fest umklammernd, als wäre es ihr Eintrittspass für das Viertel, das sie traditionsbewusst „Veedel“ nennen. Ihre Gesichter sind alle so schön, man könnte jedes auf ein fassadengroßes Werbeplakat drucken. Zumindest in meiner Vorstellung. Dazu die Altbauten und die sauberen Straßen. Alles hier ist zu optimiert, um nicht nachbearbeitet zu sein. Alles hier ist zu vollkommen. Die Südstadt ist der Instagram-Filter Kölns. Meine Selfie-Cam ist kaputt.

Am „Schnörres“ angekommen werde ich nervös. Und fühle mich ein bisschen wie bei Tinder: Ein komischer Typ, ein Schnurrbart und die Verzweiflung, Fremde kennenzulernen. Sei’s drum. Ich swipe die Tür nach links.

Schick ist es ja schon hier geworden, finde ich. Wände ohne Tapete, alte Leuchtstrahler als Lampenschirme, Wein ohne Zusätze auf der Speisekarte. Noch im September war der alte „Schnörres“ geschlossen worden. Der Lautstärke wegen musste das Lokal seinen Platz  im Ferkulum räumen.  Kaum vorstellbar, dass hier Menschen wohnen, die sich über zu laute Musik und zu laute Gespräche auf dem Gehsteig beschweren. Nun ist er, 150 Meter weiter die Straße runter, zurück. Stiller zwar, aber in vollem Glanz.  Die Gesichtsbehaarung aus der Asche. Klingt wie ein Berliner. Diese Kneipe sieht auch so aus. 

Ich bestelle trotzdem Kölsch. Die blonden langen Haare des Barmanns machen den Anschein, als verbrächte er die Zeit außerhalb der Bar mit dem Surfen. Das kann ich dann aber doch nicht glauben, da der Rhein mir als gänzlich ungeeignet erscheint. Aber was weiß ich schon, ich bin ja kein Kölner. „Ich mag deine Frisur“, sage ich. „Danke. Aber ich bin hetero“, antwortet er. Nicht der idealste Start.

Der Klotz am Bein

Drei leere Stangen später sitze ich auf einem hölzernen Barhocker und lächle einsam in den Raum hinein. Gott, muss das dämlich aussehen, denke ich. Aber der Typ vom Nebentisch schaut eh nicht zu mir, ist zu sehr damit beschäftigt, wie Christian Lindner auszusehen. Ich halte lieber weiter Ausschau.

Auf einer Couch lehnt eine Gruppe von zehn jungen hippen Severinern,  die, wie ich glaube, heute alle schon auf der Straße gesehen zu haben. Einer hat eine Powerpoint-Präsentation an den Putz geworfen, malt mit seiner Hand Halbkreise in die Luft und benutzt das Wort „Party-Innovations“. Zwischenfazit: Ich bin hier nicht der einzige, der komisch ist. Noch ein Glas.

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Führte durch den Abend: Bier.

Armen bringt es und setzt sich zu mir. Er ist Schichtleiter im „Schnörres“ und weiß über mein Vorhaben Bescheid. Mitleidig schaut er mich an. Wie unangenehm. „Kannst ja mal den ansprechen“, sagt er ein wenig hilflos und zeigt wahllos auf irgendeinen Typen, der sich erst am Kopf kratzt und dann zum Ausgang trottet. Armen bleibt. Und ich fühle mich wie ein Klotz am Knöchel eines Einbeinigen.

Nach ein paar Dialogen über Musik und den Laden verabschiedet sich Armen dann doch. Kurz vor die Tür, telefonieren. Er kommt nicht wieder. Zumindest nicht an meinen Tisch. Freunde sind gekommen. Ich bin bei ihm noch nicht in diesen Status aufgestiegen und wieder ohne Gesprächspartner.

Der Engel der Thekeneremiten

Nach eineinhalb Stunden mag ich nicht mehr. Weder das Rumsitzen, noch mich. Das Kölsch schmeckt schal, ich bin zu alleine, um so betrunken zu sein. Eine Kippe noch, dann nach Hause, zurück in den Bau, zurück in die Isolation, in der mich niemand mit verwirrten Blicken durch sein Hornbrillen-Gestell mustert, wie die drei jungen Frauen neben der Tür, die es offenbar schick finden, Gin Tonic statt Bier zu trinken und so oft in hohen Tonlagen „geil“ in den Raum brüllen, dass ich Angst habe, einen Tinnitus zu bekommen.

Dann erscheint Michael auf dem Bürgersteig. Vielleicht liegt es am Rausch, vielleicht an der Müdigkeit, aber diese Begegnung ist übernatürlich. Mindestens. Wie ein Schutzengel aller Thekeneremiten und Heimlich-Trinker steigt er herunter aus der Rauchwolke seiner gedrehten Zigarette, mit seinem Wodka-Mischgetränk als Weihwasser in der Hand, um alle einsamen Gedanken zu vertreiben. Sein „Hallo" befördert mich schlagartig zurück ins Diesseits.

Er trägt eine rahmenlose Brille, altes Modell, Tendenz „uncool“. Dazu ein blaues T-Shirt, Tendenz „zu klein“. Sympathisch. Wir kommen ins Gespräch. Über „dies und das“. Auf der Straße. Eine Dreiviertelstunde stehen wir so da, wir verstehen uns. Er gähnt. Ich auch. Ein Zeichen. Wir sind vom selben Schlag. Das spüre ich. Michael klopft mir auf die Schulter, dann sagt er, er muss ins Bett. Ich trotte nach Hause. Andere Richtung. Und muss lächeln. Wer in Köln alleine in die Kneipe geht, und niemanden kennenlernt – mit dem stimmt wirklich etwas nicht.

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