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Soziales ProjektKölner verschenkt Wohnboxen an Obdachlose

Lesezeit 6 Minuten
Sven Lüdecke vor einer seiner Wohnboxen: „Ich will auch eine Diskussion anregen“, sagt er und sucht Unterstützer für sein Projekt.

Sven Lüdecke vor einer seiner Wohnboxen: „Ich will auch eine Diskussion anregen“, sagt er und sucht Unterstützer für sein Projekt.

Köln – Die Rollhäuser, die Sven Lüdecke an Kölner Obdachlose verschenkt, sind 2,40 Meter lang, 1,60 Meter hoch und 1,40 Meter breit. Sie haben einen Teppich, Fenster, ein Tischchen, eine Matratze und, je nachdem, was für Material gerade da ist, eine Kleiderstange, Kleiderhaken, ein Wandschränkchen oder eine Halterung für einen Bierkasten an einer Außenwand, um Flaschen zu sammeln. Die Boxen bestehen aus Europaletten (Boden), imprägniertem Pressholz, Dachpappe und Rollen aus dem Baumarkt. Gut eine Woche braucht Lüdecke, um ein Häuschen zu zimmern und zu streichen.

Heute schenkt er eine seiner Wohnboxen der obdachlosen Iwona, die seit fast sechs Jahren vor einem Haus in der Kölner City schläft.

Kein selbstloser Mensch

Bevor das Haus in einen Transporter verladen und zum Breslauer Platz transportiert wird, hämmert Lüdecke noch ein paar Katzenaugen an die grellgrün gestrichenen Wände. Sven Lüdecke sagt, er sei kein selbstloser Mensch. „Ich habe erst mal einen normalen Job, um Geld zu verdienen.“

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Der 39-Jährige ist angestellter Fotograf einer Hotelkette. „In meiner Freizeit baue ich gern – und wenn ich Menschen damit etwas Gutes tun kann, umso besser.“ Kinder, sagt der 39-Jährige, „gehen auf andere Kinder zu und fragen: Spielst du mit mir? Wir Erwachsenen haben diese Leichtigkeit, auf Fremde zuzugehen, ein bisschen verloren.“ Lüdecke redet mit den Obdachlosen, bevor er ihnen eine Wohnbox schenkt. „Ich möchte möglichst nicht, dass sie Alkoholiker sind oder andere Drogen nehmen. Aber letztlich finde ich das natürlich nicht immer heraus.“

Ende September hat er sein erstes Häuschen übergeben. Alle zwei Monate will er eine Box bauen und verschenken. Dafür freut er sich über jede Hilfe und Materialspenden – bislang unterstützt ihn seine Hotelkette Centro, der in Köln zum Beispiel das Ayung Hotel an der Messe, das Arcadia und das Hotel Central am Dom gehört. Der Konzern spendet Matratzen, Möbel und Teppiche, die Kölnmesse hat schon Stellplätze in Aussicht gestellt, ein Messebauer spendete Holz.

Europaletten, Farbe, Katzenaugen, kleine Wandschränkchen, ein Lkw oder Abschleppwagen samt Hebebühne mit Fahrer für zwei Stunden, Handwerker – Lüdecke freut sich über jede Unterstützung, die dazu beiträgt, dass die Kosten für ihn sinken und das Projekt wachsen kann.

Die Stadt reagiert verwundert und distanziert auf das Projekt. Für das Stadtbild seien die Minihäuser „undenkbar“, sagt eine Sprecherin spontan. „Das hört sich nach einem Schnellschuss an. Die Boxen können auch die Sicherheitsstandards nicht erfüllen.“

Rainer Straub, stellvertretender Leiter der Bauaufsicht, sieht die Sache etwas differenzierter: Die beschriebenen Boxen würden rechtlich wohl als „Aufenthaltsraum“ (und nicht, wie Lüdecke glaubt, als „Fahrzeug“) bewertet, sagt er: „Und Aufenthaltsräume sind genehmigungspflichtig. Sie müssen Wärmeschutz-, Brandschutz-, Schallschutz und andere Vorgaben erfüllen.“

Lüdecke müsse also „eigentlich eine Baugenehmigung beantragen“. Wie die Stadt mit den Wohnboxen umgehe, wollen Straub und Lüdecke in einem persönlichen Gespräch klären. „Man muss so etwas nicht direkt verbieten“, sagt Straub.

1000 Euro aus eigener Tasche

Sven Lüdecke weiß, dass er nicht jedes Detail seines Projekts bedacht hat. „Ich will auch zum Nachdenken anregen darüber, wie viel einige haben und wie wenig andere.“

Für Material und Transport des Minihauses hat er knapp 1000 Euro aus eigener Tasche bezahlt. Viele Obdachlose finden seine Boxen attraktiv. Mehr als zehn Namen stehen schon auf einer Warteliste. Als das zweite Minihaus am Breslauer Platz steht, steht nach einigen Minuten Ralf vor der Box und fragt Lüdecke, ob er dort schlafen könne. Ralf lebt seit acht Jahren in einem Zelt am Stadtrand. „So ein Häuschen zum Schlafen finde ich deutlich attraktiver als die Vorstellung, mit Hunderten Menschen in einer Turnhalle zu schlafen“, sagt er.

Als Iwona, die erzählt, dass sie in einem Alkoholikerhaushalt aufgewachsen und abgehauen sei, die Wohnbox samt Matratze sieht, fängt sie an zu weinen. „Ich habe seit sechs Jahren nicht mehr auf einer Matratze geschlafen“, sagt sie. Das hat sie freilich selbst so entschieden: „In Köln muss niemand auf der Straße schlafen“, sagt Dirk Schumacher vom Amt für Soziales und Senioren.

Iwona wollte nicht in einer Sammelunterkunft übernachten. Sven Lüdecke überreicht Iwona ein Vorhängeschloss und eine Holzblume als Dekoration und verabschiedet sich – eine Stunde später ruft die Boxbesitzerin an: Die Tür klemmt. Lüdecke fährt zurück und repariert den Eingang.

Vor einem Erfolg des Projekts stehen nicht nur die Bauaufsicht und das Ordnungsamt. Der Transport der Minihäuser ist kompliziert – beim Schieben übers Kopfsteinpflaster bricht eine Rolle; die Hebebühne eines 7,5-Tonners ist zu klein, um die Box zu transportieren. „Ich brauche bessere Rollen, das Holz muss leichter sein und die Box kleiner“, sagt Lüdecke. „Daraus werde ich lernen.“

Vorbild aus New York

Auf die Wohnbox-Idee gebracht hat den gelernten Restaurantkaufmann, der als Barkeeper gearbeitet und sich die Fotografie selbst beigebracht hat, ein Bericht in der Sendung Galileo. Dort wurde ein Mann porträtiert, der in New York 400 Wohnkisten für Obdachlose aus Sperrmüll gezimmert hat.

Sven Lüdecke sagt, er habe sich bei der Polizei und Anwälten informiert und grünes Licht erhalten. Tatsächlich darf Iwonas Box für einige Tage in der Nähe des Hauptbahnhofs stehen, die Bundespolizei sichert zu, nach dem Rechten zu sehen. Security-Mitarbeiter der Deutschen Bahn bringen Iwona vor ihrer ersten Nacht in dem Häuschen Essen und Decken.

Schwierig wird es für Lüdecke auch, geeignete Plätze zu finden; Stellflächen in der City sind knapp. „Es gibt sicher Orte, an denen einige Boxen niemanden stören würden. Und Menschen, die das ermöglichen“, hofft Lüdecke.

Lüdecke hat nicht alle Fallstricke seiner Idee bedacht und glaubt ans Gute im Menschen. Das mag man naiv finden, aber er hat Erfahrungen gemacht, die ihn bestärken. Nicht, nur, dass ein Kiosk schon Decken für sein Projekt sammelt, ein Baumarkt eine Kreissäge zum Einkaufspreis rausgegeben hat und viele Menschen sagen: Gut, was du machst.

Der gebürtige Berliner setzt sich gern etwas in den Kopf, um es dann zu tun. Seine Ausbildung hat er in Spanien absolviert, ohne zu wissen, was dort auf ihn zukommt (woraufhin er sich gelegentlich ohne genug zu essen wiederfand), im Hotel fing er am Frühstücksbuffet an, zeigte seine Fotomappe, fotografierte Gebäude und bereist die Filialen heute als Fotograf.

Seit 2007 macht er Röntgenbilder von Blumen, 119 Radiologen hielten nichts von der Idee, einer schon – er durfte den Pflanzen Kontrastmittel verabreichen. Längst hat Lüdecke die Technik als Patent angemeldet. Wenn er eine Ausstellung macht, versteigert er fünf Bilder für einen guten Zweck. Viele Tausend Euro sind so schon zusammengekommen.

Lüdecke war Inhaber eines Postkarten-Verlags, er hat Shakira und Robbie Williams als Fotograf auf Tourneen begleitet. Mit den Rollhäuschen Geld verdienen will er nicht. Ein kleines Zeichen setzen schon. Wer Sven Lüdecke unterstützen will, schreibt eine Mail.

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