Veedels-SpaziergangWas Alice Schwarzer an Köln liebt - und was nicht

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Alice Schwarzer spaziert täglich von ihrer Wohnung in der Altstadt zum „Frauen-Media-Turm“ – „um in die Gänge zu kommen, und weil es schön ist“, sagt sie. 

Alice Schwarzer spaziert täglich von ihrer Wohnung in der Altstadt zum „Frauen-Media-Turm“ – „um in die Gänge zu kommen, und weil es schön ist“, sagt sie. 

Köln-Innenstadt – Das Glück im Leben ist oft nur eine Frage des Standpunkts. Jemandem, der wie Alice Schwarzer aus Wuppertal kommt, leuchtet das unmittelbar ein.

Man stelle sich nur einmal vor, die heute 74-Jährige wäre Ende 1942 nicht im Stadtteil Elberfeld zur Welt gekommen, sondern ein paar Kilometer weiter östlich in Langerfeld oder gar im benachbarten Schwelm, dann wäre aus Alice Schwarzer statt einer waschechten Rheinländerin eine Westfälin geworden. Ein schrecklicher Gedanke!

Wenn die Herkunft nach Ansicht der von jeher sozialpolitisch wachen Autorin auch sonst keine Rolle für den Werdegang eines Menschen spielen sollte – in diesem speziellen Fall ist sie Alice Schwarzer ausgesprochen wichtig.

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Als „Kölnerin“ mag sie sich nicht bezeichnen, obwohl sie seit Jahrzehnten in der Stadt lebt und arbeitet. „Ich will mich nicht anbiedern. Rheinländerin bin ich – und Wahl-Kölnerin, ja, das dann doch.“ Die Liebe zur Stadt am Rhein ist ihr in die sprichwörtliche Wiege gelegt worden.

Schwarzer wuchs als uneheliches Kind bei ihren Großeltern im Bergischen auf. „In der harten Nachkriegszeit ließ sich meine eher unsentimentale, zum Sarkasmus neigende Großmutter nur von einer Sache anrühren: Wenn Kölner zum Hamstern kamen. Das war ihr ganzes Glück. Und sangen die Kölner dann noch, was sie immer taten: »Wenn ich su an ming Heimat denke…«, dann gab es feuchte Augen.“ Das Jeföhl ist auf die Enkelin übergegangen.

Alice Schwarzer hat als Treffpunkt das Café des Museums Ludwig vorgeschlagen, einen Platz, den sie jedem empfiehlt, der Fühlung mit Köln aufnehmen möchte: im Rücken den Dom, vor ihr die Hohenzollernbrücke mit dem Rheingarten und auf der gegenüberliegenden Seite der neue Rheinboulevard.

„Was hier beiderseits des Rheins entstanden ist, finde ich extrem gelungen. Man will ja stolz sein auf seine Stadt. In Köln ist das nicht immer einfach. Aber hierher komme ich jedes Mal, wenn ich Besucher aus dem Ausland habe. Ich gehe mit ihnen bis zur Mitte der Brücke, drehe mich um und breite mit großer Geste die Arme aus: »Schaut mal, alles meins hier, habe ich das nicht schön gemacht?!«“

Selfie mit Promi

Ganz so dick trägt sie nicht auf, als sie an diesem Morgen auf der Brücke von einer Frau aus Fernost erkannt wird, deren Schwester gerade auf Deutschlandbesuch ist. Die beiden tuscheln und werfen Schwarzer scheue und zugleich anerkennend-bewundernde Blicke zu.

Die berühmte Feministin, das muss sie doch wohl sein. . . Sie ist es – und spricht die beiden an. Man plaudert ein wenig, und am Schluss steht das obligatorische Selfie mit Promi. Schwarzer hat kein Problem damit, erkannt zu werden, sagt sie. Gerade die Kölner seien gelassen im Umgang mit einem „öffentlichen Gesicht“ wie ihrem: „Anderswo gaffen die Leute hinter einem her. Hier sagen sie, »hallo, Alice, wie geht’s?«, und das ist nett.“

Vor den Köln-Touristinnen schluckt sie den Groll hinunter, den sie gegenüber denen hegt, die heute für das Image der Stadt Verantwortung tragen. „Die Stadt könnte stolz sein. Manchmal denke ich: Ich bräuchte höchstens zehn Minuten, um einen Werbeprospekt zu schreiben, warum Köln, diese Metropole, mindestens so bedeutend ist wie Berlin, die Hauptstadt. Aber das will hier partout niemandem einfallen. Das amtliche Köln weiß nicht mehr, was die wahren Werte Kölns sind. Und so kommt es leider zu diesem Sog Berlins auch auf Kreative und Intellektuelle, der Köln ärmer macht.“

Auf dem Weg hinunter zur Rheinpromenade erinnert sich Schwarzer an die Situation, als sie vor 40 Jahren nach Köln kam. Man musste wie ein Hase hakenschlagend eine vierspurige Schnellstraße überqueren, die die Stadt vom Rhein abschnitt.

Drei Kölner Highlights

„Aus Paris kannte ich das ganz anders. Da ist der Fluss ein Teil der Stadt.“ Umso mehr genieße sie es jetzt, dass die Stadt den Rhein zurückgewonnen habe. Denn die drei Highlights in Köln, das seien doch nun mal „der Rhein, der Dom und – mit Verlaub – der Bayenturm“.

Das sorgsam restaurierte und modernisierte Architekturdenkmal fungiert seit 1984 unter dem Namen „FrauenMediaTurm“ als Archiv und Dokumentationszentrum zur Geschichte der Frauenbewegung und natürlich als Sitz der „Emma“-Redaktion.

Die wohl berühmteste aller feministischen Zeitschriften ist so eng mit dem Namen Alice Schwarzer verbunden wie der „Spiegel“ mit Rudolf Augstein oder der „Stern“ mit Henri Nannen.

Nur dass beide Herren schon lange tot sind. Schwarzer hingegen ist quicklebendig. Mit ihren Beiträgen bestimmt sie bis heute die publizistische und politische Agenda der „Emma“.

Für viele Kölner und erst recht für Pendler ist der Weg zwischen Wohnort und Arbeitsplatz ein täglicher Horror. Für Alice Schwarzer dagegen ein Privileg und das reine Vergnügen.

Von ihrem Domizil in der Innenstadt spaziert sie vor der Kulisse der Altstadtgiebel am Rhein entlang. „Die Rettung der Promenade haben wir ja einer Nichte Konrad Adenauers zu verdanken“, erzählt sie. „Das Fräulein Adenauer, wie man damals noch sagte, war Stadtkonservatorin und hat es verhindert, dass auch noch die erste Häuserzeile der Altstadt zum Fluss hin abgerissen wurde.“

In einem dieser Häuser ist Schwarzer Lieblings-Eisdiele untergebracht. Dass sie jüngst in der Top-Ten-Liste des „Kölner Stadt-Anzeiger“ fehlte, das habe sie „doch sehr verbittert“, sagt Schwarzer und schmunzelt dabei. „Deswegen habe ich mir fest vorgenommen: Da gehen wir auf unserem Spaziergang auf jeden Fall vorbei und probieren eine Kugel. Mindestens.“

Verpasste Chance für Köln

Die kühle Köstlichkeit stimmt Schwarzer milde, so dass sie an der Stelle, an der die Rheinuferstraße in den Tunnel führt, nur ein- oder zweimal den Kopf schüttelt. „Hier hat die Stadt natürlich auch eine Chance verpasst. Die Untertunnelung hätte bis zum Ubierring gehen müssen. Was wäre das ein Gewinn fürs Lebensgefühl gewesen! Ein Traum! Aber war man wieder mal zu hasenfüßig, zu engherzig, zu kleingeistig. Ich könnte jetzt sagen: »Öfter mal nach Düsseldorf fahren und gucken, wie es geht!« Aber ich habe keine Lust, gelyncht zu werden.“

Etwas weiter südlich passiert sie den Malakoff-Turm. Als „Nachbarn“ kann man den Bau gerade so durchgehen lassen, findet Schwarzer, obwohl er – anders als der Bayenturm – kein originaler Teil der alten Kölner Stadtbefestigung ist, sondern nur eine neugotische Kulisse: „Da wollte halt einer auch sein eigenes Türmchen haben.“ Schwarzer empfiehlt die heute dort angesiedelte Gastronomie. „Man sitzt schön, und es gibt gute Weine.“

Wahrzeichen der Stadt Köln

Am Ende des Spazierwegs steht noch einmal ein Stück Stadtentwicklung. Bei der Bebauung des Rheinauhafens sollte die Front neuer, schicker Stadthäuser auch vor dem Bayenturm durchgezogen werden. „Da habe ich mich auf die Hinterfüße gestellt: »Also ne, Kinder! Das geht nun gar nicht.« Nicht, weil ich von meinem Fenster auch weiterhin Rheinblick haben wollte. Na ja, ein bisschen vielleicht auch deshalb. Aber dass sie allen Ernstes ein Wahrzeichen der Stadt einfach zumauern wollten, das ging mir nicht in den Kopf.“

Historisches Herz des Rheinauhafens

Mit der Macht der bis dato einzigen Anwohnerin erreichte Schwarzer eine Planänderung. Die Architektin Dörte Gatermann schlug vor, die Gebäude rechts und links des Turms abzusenken und eine Freitreppe anzulegen.

Wann immer das Wetter es zulasse, sagt Schwarzer, kämen die Flaneure und lagerten auf den Stufen. „Wenn ich sie da so sitzen sehe, denke ich: »Alice, das hast du gut gemacht«.“ Gatermann habe es zudem geschafft, den Bayenturm architektonisch als historisches Herz des Rheinauhafens zu inszenieren und als einen „stolzen Ort für Frauenliteratur, die sonst ein Besenkammer-Dasein fristet“.

Kölsche Selbstgenügsamkeit

Um diesen Ort, sagt Schwarzer, werde sie in aller Welt beneidet. „Aber in Köln? Nichts!“ Statt mit solch einem „Prunkstück zu protzen“, gebe es in der Stadt „halt dieses Lätscherte, diese kölsche Selbstgenügsamkeit“. Sie nehme das nicht persönlich. „Trotzdem wurmt es mich, weil ich mich gern für diese Stadt engagiere und viel dafür gäbe, wenn sie etwas mehr aus sich machen würde.“

Aber vielleicht, hofft Alice Schwarzer, passiert das ja eines Tages mal wieder. Der Turm jedenfalls steht noch etwas länger da.

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