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Interview mit der Chefin der Filmstiftung NRW„Filmstars drehen gerne in Köln“

Lesezeit 8 Minuten
Petra Müller

Petra Müller

Köln – Frau Müller, „Toni Erdmann“ von Regisseurin Maren Ade war nominiert für den Oscar als bester ausländischer Film. Leider hat es nicht gereicht. Sind Sie enttäuscht?

Natürlich hätte man sich über einen Oscar gefreut. Ist doch klar. Andererseits war man schon ein wenig darauf eingestellt, dass der iranische Film „The Salesman“ von Asghar Farhadi das Rennen machen könnte, angesichts der Debatte um die Einreisepolitik der Trump-Regierung. Die Regisseurin Maren Ade hat gemeinsam mit den Regiekollegen der nominierten ausländischen Filme eine Erklärung für Weltoffenheit und Toleranz und gegen ein Klima des Fanatismus und Nationalismus abgegeben. Gerade in diesem Jahr war die politische Botschaft wichtig.

Ohne die Förderung durch die Filmstiftung NRW, deren Chefin Sie sind, hätte es den Film nicht gegeben…

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Erfolg hat ja immer viele Väter und Mütter. Aber tatsächlich war die Unterstützung der Filmstiftung wesentlich für das Entstehen des Films, weil wir sehr früh als Hauptförderer eingestiegen sind.

Zur Person

Petra Müller ist seit September 2010 die Leiterin der Film- und Medienstiftung NRW. Davor war sie Geschäftsführerin des Medienboard Berlin-Brandenburg. Sie lebt in Köln.

Waren Sie bei der Oscar-Verleihung im Saal?

Nein. Es gibt je Nominierung eine begrenzte Anzahl von Plätzen und die gingen an die Regisseurin, die Hauptdarsteller und die Produzenten. Die übrigen Beteiligten und die Förderer haben sich zu einer sogenannten „Viewing Party“ getroffen, zu der am Ende auch das „Toni Erdmann“-Team dazukam. Aber ich war schon einmal im Saal, als Wim Wenders 3D-Dokumentarfilm „Pina“ nominiert war.

Wie war das?

Überraschend, weil im Saal ganz anders, als man sich das vorstellt. Die Zeremonie beginnt am frühen Nachmittag mit einem unglaublichen Starauflauf auf dem roten Teppich. Die Verleihung dauert dann an die vier Stunden. Stars und Nominierte sitzen im Parkett, Normalsterbliche in den oberen Rängen, so weit entfernt von der Bühne, dass sich ein Fernglas empfiehlt. Jeder Preiskategorie folgt ein Werbeblock. Währenddessen verlassen manche den Saal auf eine Zigarette oder einen Drink, um nach unüberhörbaren Countdown aus der Regie beim Start der nächsten Kategorie wieder pünktlich auf ihren Plätzen zu sitzen und zu applaudieren. Spätestens dann ist klar, dass man Teil einer Showproduktion ist.

Köln als Kinostadt

Als Chefin der Filmstiftung sind Sie oft für Premieren in Kinos in NRW unterwegs. Ist Köln eine gute Kinostadt?

Wer ein gewisses Alter hat, erinnert sich ein bisschen wehmütig an die großen alten Kinos am Ring. Wie in fast allen Städten wurden sie nach und nach geschlossen, weil sie sich nicht mehr rentierten. Heute müssen Kinos, wenn sie erfolgreich sein wollen, einen Mehrwert haben. Es braucht einen besonderen Ort, ein unterscheidbares Programmprofil und gerne auch ein gastronomisches Angebot um erfolgreich zu sein. In der Essener Lichtburg, wo es häufig NRW-Premieren gibt, ist es der komplett erhaltene historische Kinosaal von 1928, der Produzenten und Schauspieler immer wieder begeistert. Aber auch Köln ist auf einem guten Weg. Mit der Astor-Lounge im Residenz und dem neuen Filmpalast im alten Ufa-Kino wurden zwei wichtige Ringkinos renoviert, und wir freuen uns auf das Comeback der Kalker Lichtspiele. Last but not least ist Kino 4 im Cinedom der erfolgreichste Saal Deutschlands.

In welchen Kölner Kinos werden denn Premieren gefeiert?

Blockbuster, Komödien und Familienfilme gehen gerne in den Cinedom, Arthouse-Filme bevorzugen das Cinenova in Ehrenfeld, das Residenz oder auch das Odeon in der Südstadt. Der Filmpalast will sich ebenfalls als Premieren-Kino profilieren.

Viele Hollywood-Stars drehen in Deutschland, vor allem in Berlin. Aber auch in Köln steigt die Stardichte.

Stimmt. Hilary Swank, Helena Bonham Carter und Tilda Swinton haben in den MMC-Studios gedreht, Ben Kingsley und Anthony Hopkins auf der Zülpicher Straße, Halle Berry und Tom Hanks standen in Düsseldorf vor der Kamera. Helen Mirren hat uns erzählt, dass sie gerne hier dreht, weil man sich ganz auf die Arbeit konzentrieren kann. Demnächst kommen Robert Pattinson und Patricia Arquette zum Dreh.

Der Rhein prägt die Stadt und ist so auch eine der wichtigsten Drehkulissen. An welchen anderen Orten in Köln drehen die Produzenten gerne?

In letzter Zeit haben wir in der Tat einige Filme mit großartigen Rheinbildern gesehen. Eine Zeitlang wurde viel am Eigelstein gedreht, in Nippes sind die schönen Häuserzeilen aus der Gründerzeit sehr beliebt, ebenso das Gerling-Quartier mit seiner klaren Architektur. „Fritz Bauer“ wurde im ehemaligen Kinderheim in Sülz gedreht, „Babylon Berlin“ im wunderbaren Rheinischen Industriebahn-Museum. Im Verhältnis zum vergleichsweise kleinen Stadtraum gibt es in Köln sehr vielfältige Locations.

Berlin war nicht zuletzt wegen niedriger Mieten für Künstler und Kreative über viele Jahre attraktiv. Sind die hohen Immobilienpreise Kölns kreativfeindlich?

Wohnungen, Ateliers und Büroräume, wie sie in Berlin zur Verfügung standen und stehen, sind in Köln, Düsseldorf und Bonn selten bezahlbar. Das hat sich inzwischen zwar ein wenig relativiert, aber preiswerte Räume für Kreative und Gründer sind nach wie vor ein wichtiges Thema. Was Förderung und Unterstützung angeht, tun Filmstiftung, Land und die Stadt viel dafür, dass es dem Mediennachwuchs in Köln und NRW gut geht. Viele studieren an der Kunsthochschule für Medien, der Internationalen Filmschule oder dem Cologne Game Lab. Wir stellen fest, dass sich gerade in Köln eine neue Generation von jungen erfolgreichen Produzenten etabliert hat und immer mehr Kreative hier bleiben.

Der Blick von außen – wie Köln im Umland wirkt

Wie betrachten Sie Köln als Kölnerin, die in Düsseldorf arbeitet und auch in Berlin gelebt hat: Spricht Köln Ihren Kopf an oder Ihr Herz?

Das Herz natürlich. Der Kopf ärgert sich manchmal, oder besser, er stellt sich Fragen und macht sich gelegentlich Sorgen.

Worüber?

Die Stadt ist keine Schönheit, sie wurde im Krieg fast vollständig zerstört und schnell wieder aufgebaut. Das wird oft beklagt, ist aber nicht zu ändern. Ich frage mich eher, wie Köln seine Zukunft gestalten will. Köln ist ein Gefühl, sagt man. Aber es braucht Ambitionen und Ideen, um als zukunftsfähige Metropole mit eigener Identität bestehen zu können. Köln hat alles, was es dazu braucht. Die Stadt bewegt sich auf dem Fundament einer mehr als zweitausendjährigen Geschichte, sie hat eine der größten Universitäten Deutschlands, Messen von Weltrang, eine international agierende Medienindustrie. Aber welche Rolle spielt all das für das Selbstverständnis der Stadt? Und wie finden Bürger und Politiker zusammen, um gemeinsam nach vorne denken?

Immerhin gibt es einen Masterplan.

Der ist nach meiner Wahrnehmung fast in Vergessenheit geraten. Wenn Sie einen Kölner auf der Straße danach fragen, wird er – jede Wette – nichts oder fast nichts davon wissen. Und es geht ja hier um mehr als Architektur und Verkehrsführung, obwohl auch die mehr als wichtig ist, wenn man die schier unglaubliche Anzahl an Baustellen bedenkt.

Sie haben einige Jahre in Berlin gelebt. Wie denkt man da über Köln?

Wenn man in Berlin sagt, dass man aus Köln kommt, kassiert man fast immer einen Spruch zum Karneval oder zum Klüngel. Ansonsten gibt es durchaus Ähnlichkeiten zwischen den Städten, beide sind multikulturell, offen und tolerant.

Die Kölner gelten ja auch als Italiener Deutschlands.

Stimmt. Kölner gelten als äußerst kontaktfreudig, gleichzeitig aber auch als unverbindlich, vor allem, wenn es um Freundschaften angeht. Ich habe den Berlinern dann immer erklärt, dass es im Rheinland genauso lange dauert wie überall sonst, echte Freunde zu finden. Nur der Weg dahin wird kommunikativer gestaltet. Gerade das gefällt mir an Köln: die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit der man hier ins Gespräch kommt.

Was sind Ihre Lieblingsorte in Köln?

Der Rathenauplatz gefällt mir, da habe ich in der WG-Zeit gewohnt. Ehrenfeld mag ich sehr, auch das belgische Viertel. Ganz besonders liebe ich die romanischen Kirchen. Sankt Pantaleon mit seinem Park oder Sankt Aposteln. Ich mag Kölns alte Brauhäuser, beeindruckend ist auch die offen gelegte Grabung im Kolumba-Museum. An vielen Orten und Plätzen fragt man sich jedoch, ob sie nicht mehr Wertschätzung verdient hätten.

Sie haben unter anderem Ethnologie studiert. Was haben Sie da fürs Leben gelernt?

Tatsächlich war mein Hauptfach Germanistik, dann Kunstgeschichte und später auch Ethnologie. Bei den Ethnologen lernt man unter anderem, dass soziale Verabredungen so, aber auch ganz anders sein können, dass Kulturen und Gesellschaften mit ihren unterschiedlichen Formen und Regeln als Funktionen von ökonomischen und sozialen Herausforderungen verstanden werden können. Und das passt dann wieder zu unserer Betrachtung von Köln.

Inwiefern das?

Die Mentalität von Köln hat vermutlich viel mit dem Rhein zu tun. Historisch der wichtigste Handels- und Transportweg Europas, verdankt die Stadt dem Fluss ihren Wohlstand und ihre Bedeutung. Reisende und Händler blieben in der Regel nur wenige Tage. Da ging es dann nicht um Abgrenzung, sondern darum, schnell in Kontakt und dann ins Geschäft zu kommen. Offenheit und Toleranz gehören also auch in diesem Sinne zur DNA Kölns, als Grundlage des Wirtschaftens und Zusammenlebens. Wie viel das wert ist, lernen wir in der aktuellen politischen Situation – nach Flüchtlingsdebatte, Silvesternacht und Trump-Wahl – gerade wieder aufs Neue.

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