Interview mit einem Tiertherapeuten„Ich zeige Verständnis für Aggressivität oder Wut“

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Masih Samin mit Kangal-Weibchen „Mädchen“

Masih Samin mit Kangal-Weibchen „Mädchen“

Köln – Masih Samin, Kölner mit afghanischen Wurzeln, kam 1994 im Alter von sechs Jahren nach Deutschland. Durch TV-Auftritte ist der Hundeverhaltenstherapeut auch über sein Veedel Lindenthal hinaus bekannt geworden. Sein Bühnenprogramm „Sitz! Platz! Vielleicht?“ feiert am 5. Dezember im Gloria-Theater Premiere.

Herr Samin, welcher Titel gefällt Ihnen besser: Hundeflüsterer oder Hundeverhaltenstherapeut?

In erster Linie bin ich ein Hundemensch. Den Titel als zertifizierter Hundeverhaltenstherapeut und Hundepsychologe habe ich allerdings auch.

Woher kommt Ihre Liebe zu Hunden?

Hunde sind immer auf mich zugekommen. Ich habe stets eine tiefe Verbundenheit und Zugehörigkeit zu ihnen gespürt. In Afghanistan, wo ich geboren bin, kam ich mit vielen Straßenhunden in Kontakt. Vor ihnen hatte ich erst einmal sehr viel Respekt. Es waren Hunde, die nicht mit dem Menschen kompatibel waren, aber ich mochte sie lieber als die Menschen.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Das klingt etwas kitschig, aber als wir kurze Zeit in Russland lebten, habe ich das erste Mal Fernsehen geschaut und Lassie gesehen. Das hat etwas in mir ausgelöst, weil Lassie so loyal war. Diese Loyalität vermisse ich im Menschen häufig. Hunde sind sehr feinfühlig. Man lernt viel über sich selbst, weil der Hund die eigenen Gefühle widerspiegelt. Er reagiert auf mich, aber ohne zu urteilen.

Sie müssen nur eine Handbewegung machen und Ihr Hund „Mädchen“ tut, was sie sagen. Wie funktioniert Ihre Kommunikation mit Hunden?

Zuerst einmal denke ich darüber nach, was ich möchte, und dann gebe ich meinem Hund ein Zeichen. Ich frage mich: „Was verlangst du von deinem Hund?“ Und ich kann nichts von ihm verlangen, was ich ihm nicht beigebracht habe und vorlebe.

Die Kommunikation funktioniert auf vielen Ebenen, verbal und nonverbal. Als Kind war es eher die Intuition, die ich über die Jahre mit erlerntem Wissen kombiniert habe. Bei wichtigen Entscheidungen höre ich heute aber immer auf mein Gefühl.

Wie sprechen Sie mit Hunden, die als Problemfälle gelten?

Ich muss zunächst Vertrauen und Verständnis aufbauen, damit sie mit mir sprechen. Die sogenannten Problemhunde haben viel Schlechtes mit Menschen erlebt. Ich will, dass sie ein Fenster für mich öffnen. Dazu gebe ich ihnen eine Struktur, ändere ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten und zeige Verständnis für ihre Aggressivität oder Wut.

Was war ihr schwierigster Fall?

Mein „Mädchen“. Sie kam vor fünf Jahren als Fundhund zu mir. Es hat eineinhalb Jahre gedauert bis sie resozialisiert war. Ich war extrem frustriert, weil sie mich nicht an sich ranließ. Kangale sind eine schwierige Rasse, eigenständig, mit starkem Charakter. Sie brauchen starke Menschen an ihrer Seite. Es gibt eben nicht nur Leckerli-Hunde. Das vergessen viele, und die Tierheime sind voll.

Meine Geduld mit Mädchen hat sich ausgezahlt, ganz plötzlich waren die Ergebnisse da. Heute ist sie meine rechte Hand. Mein Herz und meine Seele.

Häufig hört man, dass Besitzer ihre Tiere ins Tierheim geben oder aussetzen, weil sie nicht mehr mit ihnen klarkommen. Wer braucht da eher die Therapie: Hunde oder ihre Besitzer?

Es sind immer die Menschen. Sie wollen mit Hunden leben, wissen aber gar nicht, wie sie ticken. Wenn die Hunde zu sehr an der Leine ziehen, Jogger jagen, alle anbellen und -springen, liegen die Ursachen immer in einer Fehlkommunikation mit dem Menschen, nicht beim Hund. Ich würde auch nicht zurückkommen, wenn ich wütend angebrüllt werde. Die Menschen wollen dann nur an den Symptomen arbeiten, aber nicht am Ursprung des Problems: ihrer Interaktion mit dem Tier.

Wie stellen Sie es an, dass sich Zwei- und Vierbeiner wieder näher kommen?

Ich nehme den Menschen unter die Lupe. Gemeinsam arbeiten wir an einer gewaltfreien Kommunikation und markieren die Grenzen für beide Seiten. Der Mensch trifft die Entscheidungen, aber der Hund muss sie verstehen können. Es geht um ein harmonisches Miteinander, dann funktioniert vieles von selbst. Wenn der Mensch nicht mit sich im Reinen ist, merkt der Hund das als erstes. Die Gefühle seines Besitzers übertragen sich auf ihn und so gibt er sie wider.

Gab es Fälle, in denen sie Mensch und Hund nicht helfen konnten?

Ja, das ist sehr hart. Zum einen, wenn Besitzer entscheiden, die Therapie zu beenden, obwohl ich im Hund noch sehr viel Potenzial sehe. Zum anderen, wenn die Menschen nicht stark genug sind, sich um sich selbst und einen Hund zu kümmern, empfehle ich, den Hund abzugeben.

Welchen Tipp haben Sie für alle Hundebesitzer?

Es gibt kein Problem mit einem Hund, dass sich nicht respektvoll und gesund lösen lässt.

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