Interview mit Emitis Pohl„Der Staat macht sich zum Affen“

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Emitis Pohl

Emitis Pohl

Köln – Emitis Pohl sprach mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ über ihr neues Buch „Deutschsein für Anfänger“, falsche Toleranz und Integration.

„Die Deutschen sind bescheuert“, sagen Sie. Das hören „die bescheuerten Deutschen“ sicher gern. Aber wie kommen Sie darauf, Frau Pohl?

Die Deutschen sind bescheuert, weil sie sich gerade alles, was auf der ganzen Welt in einem positiven Sinn als „typisch deutsch“ gilt, aus der Hand nehmen lassen: Ordnung, Präzision, Pünktlichkeit, Disziplin. Eine Verwaltung, deren Effizienz sprichwörtlich ist, versagt bei der Registrierung der Flüchtlinge. Die Deutschen sind bescheuert, weil sie sich nicht mehr trauen, Zuwanderern etwas abzuverlangen. Vor lauter Toleranz und Liberalität, auf die sie zu Recht stolz sein könnten, lassen sie sich von kriminellen Migranten auf der Nase herumtanzen. Entschuldigung, das ist bescheuert – und naiv!

Sie hören sich an, als sprächen Sie auf einer AfD-Kundgebung.

Finden Sie? Da hätte ich als Migrantin doch nichts verloren. Die würden mich nicht wollen, und ich hätte denen nichts zu sagen – außer dass sie mit ihren rassistischen, fremdenfeindlichen Sprüchen das andere Deutschland kaputtmachen, auf das ich als Deutsch-Iranerin auch stolz bin: das großzügige, hilfsbereite, humane Deutschland. Das sollten wir uns von den Populisten nicht nehmen lassen. Sie merken, wie sehr mich diese Botschaft umtreibt. Was ich in meinem Buch „Deutschsein für Anfänger“ geschrieben habe, das würde ich am liebsten ständig herausschreien: Deutschland ist so ein tolles Land, ihr Deutsche seid toll! Warum versteckt ihr euch? Warum wählt ihr aus Protest falsche Parteien wie die AfD? Warum seid ihr so defensiv, so verschüchtert? Warum geht ihr nicht stärker aus euch raus?

Zur Person und zum Buch

Emitis Pohl, geboren 1973 in Teheran (Iran), kam im Alter von 13 Jahren allein nach Deutschland. Sie wuchs bei ihrer Großmutter in Hamburg auf. Heute hat sie in Köln eine Firma für Kommunikations- und PR-Beratung.

Sie ist CDU-Mitglied und engagiert sich in der Industrie- und Handelskammer. Emitis Pohl ist verheiratet, hat zwei Töchter und kümmert sich ehrenamtlich um den 16 Jahre alten Sami, einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling aus Afghanistan.

Das Buch: Emitis Pohl, Deutschsein für Anfänger. Integration ist meine Pflicht, Fontis – Brunnen Verlag, Basel, 256 Seiten, 19,99 Euro. (jf)

Ja, warum eigentlich nicht? Was meinen Sie?

Ich glaube, das ist immer noch der Schatten der Vergangenheit. Selbst ich wurde als Nazi beschimpft, weil ich nach der Kölner Silvesternacht gesagt habe: „Wer als Flüchtling hierherkommt und sich so danebenbenimmt wie diese Männer am Hauptbahnhof, der hat hier nichts verloren.“ Ein Freund, der jetzt in Amerika lebt und das las, schrieb mir: „Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben. Du bist ja gegen Ausländer, gegen Flüchtlinge. Du brauchst auch gar nichts mehr zu erklären. Ich weiß schon, wie du es gemeint hast.“ Das fand ich erbärmlich. Darüber kann ich mich so was von aufregen. Wissen Sie, schon im Dezember hatte ich einen Haufen Geld für Flüchtlinge gespendet. Warum hätte ich das tun sollen, wenn ich was gegen sie hätte? Ich bin doch selber einer …

…und Sie versuchen es aus Ihrer Erfahrung heraus mit gutem Rat.

Ich kenne beide Welten, die hiesige und die des Orients. Wer von dort kommt, nimmt den Staat und seine Institutionen nur für voll, wenn sie mit Autorität auftreten. Ich rede nicht von Polizeiknüppeln, aber von klaren Grenzen. Eine Polizistin, der ein Mann an Silvester vor dem Hauptbahnhof in den Schritt fasst und die es dann bei einer Ermahnung belässt – die steht in den Augen des Täters nicht für ein liberales Land, sondern für einen Staat, der sich zum Affen macht. „Du, du, du – mach das bitte nicht noch mal…“ So bringt man keinem Jugendlichen aus unseren Breiten Respekt bei.

Wie dann?

Indem wir ihnen sagen, was wir von ihnen erwarten. Indem wir die belohnen, die sich dann auch wirklich integrieren wollen. Und indem wir denen Grenzen setzen, die sich weigern. Ich höre von „Bio-Deutschen“ jetzt immer wieder: „Du darfst das sagen. Wenn wir das sagen, werden wir mundtot gemacht oder in die rechte Ecke gestellt.“ Entschuldigung, da haben wir es doch wieder: Das ist bescheuert!

Wie sieht es mit dem Verhältnis der Geschlechter aus?

Das ist eines der wichtigsten, aber auch heikelsten Themen. Die Zuwanderer haben ganz andere Schamschwellen, auch einen ganz anderen Kenntnisstand. Ich zum Beispiel habe noch mit 16 gedacht, durch Küssen wird man schwanger. Also, da braucht es Zeit und ein langsames Herantasten. Mit Aufklärungsplakaten, die kopulierende Paare in allen möglichen Stellungen zeigen, erreichen Sie das Gegenteil von dem, was Sie wollen. Das verstärkt nur die Vorurteile von einer Gesellschaft, in der sexuell angeblich „alles geht“.

Ihr Gegenvorschlag?

Auch da: klare Ansage, dass Frauen gleichberechtigt sind; dass sie sich kleiden und benehmen dürfen, wie sie wollen. Und dass sie deshalb weder Schlampen noch Freiwild sind. Und bitte, nie wieder diese kranke „Die Frauen sind ja selber schuld, wenn sie sich so aufreizend anziehen“-Debatte! Nein, keine Frau in Deutschland muss sich irgendwelchen pseudo-religiösen Kleidervorschriften unterwerfen, schon gar nicht, weil Männer das wollen. Im Gegenteil: „Ihr Männer habt euch im Umgang mit Frauen gefälligst an Regeln zu halten!“ Integration ist auch Willenssache. Wenn ein Mann einer Frau nicht die Hand geben oder sich von einer Frau nichts sagen lassen will, dann soll er die Folgen tragen. Manchmal muss man die Menschen zwingen. Zu ihrem Glück zwingen.

Wie hat sich die Stimmung nach der Silvesternacht verändert?

Es macht mich traurig, dass ich jetzt – nach 28 Jahren in Deutschland – als Frau mit Migrationsvordergrund schief angeguckt und abschätzig behandelt werde.

Was meinen Sie mit Migrationsvordergrund?

Weil ich halt nicht aussehe wie eine „Bio-Deutsche“. Trotzdem ticke ich deutsch, denke deutsch, träume deutsch. Und ich ertappe mich selbst dabei, dass ich die Leute taxiere und mich frage, ob ich vor dem „Fremden“ auf der Straße Angst haben muss; oder dass ich denke, ich müsste noch mehr auf meine Töchter aufpassen. Eigentlich will ich das nicht. Ich will raus aus diesem Schubladendenken. Umgekehrt hat ein afghanisch-stämmiger Freund sich nicht mehr getraut, sich einen Hipster-Bart wachsen zu lassen. Weil man ihn sonst für einen Islamisten halten könnte. So weit sind wir inzwischen. Auch deshalb habe ich mein Buch geschrieben.

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