Interview mit Kölner Polizei-Ermittlern„Diebe betreiben regelrecht Gegenobservation“

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Fünf Täter (weiß) schirmen das Opfer ab; einer (rot) greift zu.

Fünf Täter (weiß) schirmen das Opfer ab; einer (rot) greift zu.

Köln – Knapp 10.000 Taschendiebstähle wurden im vorigen Jahr in Köln angezeigt – eine Zahl, die in manchen Jahren sogar bei fast 15.000 gelegen hatte. Dennoch zu viel, meinen die Kölner Polizei-Ermittler Günther Korn und Roland Dingfeld.

Im Interview sprechen die erfahrenen Ermittler über Profi-Diebe und zu geringe Strafen für die Täter.

Warum ist Taschendiebstahl das Delikt mit der geringsten Aufklärungsquote – gerade einmal um die sechs Prozent?

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Günther Korn: Weil zumindest die Profis unter den Tätern sehr gut sind. Weil es für uns extrem schwer ist, Taten im Nachhinein nachzuweisen, und weil der Taschendiebstahl als Delikt häufig noch ein bisschen belächelt wird.

Wie meinen Sie das?

Korn: Wenn jemand mit einer Waffe eine Bank überfällt, bekommt er für ein paar Tausend Euro Beute eine Freiheitsstrafe. Ein professioneller Taschendieb macht vielleicht 7000 Euro Beute – pro Tag. Und der bekommt vor Gericht hundert Tagessätze á vier Euro. Und jetzt sagen Sie mir mal, wie ich es schaffen soll, einen solchen Täter davon abzuhalten, immer weiter zu machen.

Sie fordern also härtere Strafen?

Korn: Ich möchte keine Justizschelte betreiben. Ich habe auch durchaus den Eindruck, dass unsere jahrelange Überzeugungsarbeit bei Staatsanwälten und Richtern Früchte trägt.

Roland Dingfeld: Bei unseren Ermittlungen gegen eine siebenköpfige Bande, die Diebstähle auf Rolltreppen gemacht hat, haben wir zum Beispiel einen Staatsanwalt gefunden, der unsere Argumentation mitgegangen ist. Wir konnten nicht in allen Fällen nachweisen, dass die Täter tatsächlich in die Taschen gegriffen haben. Aber sie waren immer am Tatort, so dass man in der Indizienkette sagen konnte: Es kann gar nicht anders sein, als dass es sich um die Täter handelt. Sie wurden angeklagt und stehen bald vor Gericht.

Korn: Seit Jahren weisen wir als Polizei zum Beispiel darauf hin, dass das Thema Mittäterschaft anders behandelt werden sollte. Früher war es so: Einer hat gestohlen, zwei haben aufgepasst. Verurteilt wurde aber zumeist nur der, der gestohlen hat. Es hat lange gedauert, bis wir mit unseren Erklärungen durchgedrungen sind, dass der nur stehlen kann, weil die anderen aufpassen. Das sind Mittäter, die auch bestraft werden müssen.

Dingfeld: Eine Mittäterschaft kann auch durchaus schon darin bestehen, dass einer nur mal kurz vorbeigeht und guckt.

Sie sind täglich auch mit Zivilbeamten an bekannten Brennpunkten unterwegs. Warum gelingt es so selten, Täter in flagranti zu erwischen?

Korn: Weil viele regelrecht Gegenobservation betreiben. Die stellen welche ab, die nur darauf achten, ob Polizisten in der Nähe sind. Und die machen das gut. Wenn ich einen neuen Kollegen bekomme, frage ich ihn immer, wie lange er schon Observationen macht. Sagen wir mal: ein Jahr. Viele Täter haben aber schon als Kinder angefangen zu stehlen. Wenn die 30 sind, haben die 20 Jahre Berufserfahrung. Da müssen Sie erstmal besser sein.

Wie kann es denn überhaupt sein, dass jemand seit 20 Jahren seinen Lebensunterhalt in Köln ununterbrochen mit Diebstählen bestreitet?

Korn: Weil es eben nicht so ist, dass man dafür ständig im Gefängnis landet. Unser Strafrecht hat verschiedene Sanktionsstufen. Wenn jemand mehrfach hintereinander erwischt wird, aber jedes Mal nur wegen eines einfachen Diebstahls verurteilt wird, kommt der nicht irgendwann automatisch ins Gefängnis. Als Polizei müssen wir nachweisen, dass jemand einen besonders schweren Diebstahl begeht, zum Beispiel, weil er es gewerbsmäßig tut. Das impliziert rechtlich die Möglichkeit, von Wiederholungsgefahr zu sprechen.

In Köln wurden im Vorjahr knapp 10.000 Taschendiebstähle angezeigt. Es gab schon Jahre mit fast 15.000. Wie ist die Situation im Moment?

Korn: Im Jahr 2008 waren wir sogar mal runter auf 7000. Dann kam die EU-Osterweiterung, und die Zahlen gingen wieder hoch auf 10.000. Seit 2010 kamen dann vermehrt nordafrikanische Täter zu uns – nicht nur nach Köln, das ist ja im Grunde ein Phänomen, das ganz Europa betrifft. Aber unsere Zahlen gingen dadurch hoch bis auf 14.500.

Im Augenblick ist es wieder besser, weil kaum noch nordafrikanische Täter in der Stadt sind. Nachts und am Wochenende haben wir dadurch zum Beispiel nur noch sehr wenige Taten. Das hat auch mit der Silvesternacht zu tun und mit der seitdem gestiegenen Polizeipräsenz.

Wo sind diese Täter denn hin?

Korn: Wir kriegen im Augenblick viele Meldungen von den Polizeibehörden aus Frankreich, Spanien, Finnland oder Schweden. In diesen Ländern fallen vermehrt Leute auf, die bei uns in Köln irgendwann schon einmal eine DNA-Probe abgeben mussten. Was diese Leute da jetzt in den anderen Ländern machen, darüber kann ich nur spekulieren. Aber ich gehe davon aus, dass die dort dasselbe tun, was sie hier auch gemacht haben.

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