Interview mit Preisträger Ilija Trojanow„Die deutsche Sprache ist ein Geschenk“

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Ilija Trojanow hat den Heinrich-Böll-Preis von der Stadt Köln erhalten. Die Preisverleihung findet im November statt.

Köln – Schriftsteller Ilija Trojanow, der von der Stadt Köln den Heinrich-Böll-Preis erhält, spricht in seinem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ über Heinrich Böll, die Nachwirkungen der Flucht und die Heimat. 

Welche Verbindungen haben Sie als Leser und Autor zu Heinrich Böll?

Da gibt es für mich starke und spannende Verbindungen. Ich habe im Alter von 12 Jahren Deutsch gelernt.  Und zu den frühen Sachen, die ich dann mit 13 oder 14 gelesen habe, gehörte  tatsächlich Böll. Die Auszeichnung mit dem Böllpreis freut mich sehr – und das Lustige ist, dass das nun ein Kölner Jahr  für mich ist. Die Kölner Sporthochschule hat bei dem Wettbewerb „Eine Uni – ein Buch“ gewonnen und wird im Sommersemester aus meinem Buch „Meine Olympiade“ lesen.  Außerdem wurde ich schon vor   Wochen zu einer Ringvorlesung über Böll an der Kölner Uni eingeladen.

Wie haben Sie den Zeitgenossen Böll in Erinnerung?

Sein politisches Engagement war mir ein Leben lang sehr gegenwärtig. Auch als Trost. Denn ich bin ja auch immer wieder angefeindet worden – zum Beispiel als ich mit Juli Zeh das Buch gegen den Überwachungsstaat geschrieben habe: „Angriff auf die Freiheit“. Da wurde uns vorgeworfen, wir seien paranoid und hysterisch. Als dann Snowden mit seinen Enthüllungen daherkam, hat man herausgefunden, dass wir eher untertrieben haben. Und da ist es tröstlich zu sehen, was so ein großartiger Mensch wie Böll alles ertragen hat an Diffamierungen, Beschimpfungen und Unterstellungen.

Wobei Böll selbst diesen Trost wohl oft vermisst hat in seiner Zeit ...

Das kann ich mir  gut vorstellen. Ich habe mal einen O-Ton von ihm gehört aus der Zeit, als es um die RAF ging,  da klang seine Stimme  richtig gebrochen. Da hat man gehört, wie tief verletzt er war.

Sehen Sie Böll eher als literarischen Autor oder als gesellschaftlichen Streiter?

Ganz einfach Antwort: Ich freue mich jetzt sehr darauf, ihn wiederzulesen. Meine Böll-Lektüre endete erst einmal mit etwa 20.   Der Preis ist nun eine weitere Veranlassung, dass ich mich mit dem Werk beschäftige. Ich bin ein bisschen misstrauisch, was dieses Böll-Bashing betrifft. Der Literaturbetrieb hat so Herdentrieb-Mechanismen. Ich weiß nicht, ob sich  diese Leute wirklich mit dem Werk befasst haben – oder ob das nur ein Nachplappern dessen ist, was der Zeitgeist mal vorgegeben hat.

Soeben ist Ihr Buch „Nach der Flucht“ herausgekommen. Sehen Sie darin eine Verbindung zu dem Werk Bölls?

Ich erinnere mich an die starke Empathie bei Böll. Das ist auch für mich ein ganz zentrales Prinzip.  In diesem Fall geht es darum, dem Leser zu vermitteln, was ein Flüchtlings-Dasein bedeutet – und zwar auf langer Strecke: Die Prägungen und Zumutungen und Herausforderungen ein Leben lang. Das sind auch persönliche Erfahrungen. Zufälligerweise habe ich vorhin mit meiner Mutter telefoniert, die das Buch gerade gelesene hat. Sie hat am Telefon geweint  und gesagt, sie hätte gar nicht gewusst, dass ich das so mitbekommen habe.  Und dann habe ich für das Buch mit vielen Leuten geredet, die ihr ursprüngliches Land vor vielen Jahren verlassen mussten.  Es ist eine poetisch-philosophisch verdichtete Betrachtung des Schicksals von entwurzelten Menschen.

Sie haben sich formal für eine Vielzahl kurzer Kapitel entschieden ...

In meiner Selbstwahrnehmung geht es um ein Leben in der Heterogenität. Dieses Leben definiert sich durch sehr viele verschiedene Fragmente. Mir erschien eine homogene, durchstrukturierte, lineare oder gar chronologische Abhandlung fehl am Platz.  Ich habe das Gefühl, dass die Risse ästhetisch nur sichtbar gemacht werden können, indem man ein Kaleidoskop konstruiert. 

Haben Sie während  des Schreibens noch Entdeckungen gemacht?

Es war wie eine archäologische Arbeit im eigenen Bewusstsein. Vieles kam ganz überraschend für mich heraus. Das ist der erste Text meines Lebens, der so eine Art „écriture automatique“ ist, wie die Surrealisten das nannten – der kam also eher eruptiv aus mir heraus.

Sie schreiben darin auch, wie wichtig die Sprache ist: „Sprache ist Ermächtigung“, heißt es da. „Wer das Alphabet beherrscht, kann sich selbst verteidigen.“

Das kann ich gar nicht oft genug wiederholen.  Die inzwischen etwas nervige Frage nach Heimat kann ich nur beantworten mit: die deutsche Sprache.  Ich glaube, dass manche von denen, die bewusst in diese Sprache hineingekommen sind und immer wieder um sie ringen mussten, diese besonders wertschätzen. Für mich ist die deutsche Sprache ein Geschenk und ein Segen, wie es „eingeborene“ Autorinnen und Autoren  nicht haben. Denn für sie ist die deutsche Sprache eine Normalität. Ich habe beim Schreiben immer noch ein Sich-beseelt-wundern über die Möglichkeiten und Schönheiten dieser Sprache.

Das Gespräch führte Martin Oehlen

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