50 Meter KölnMiniwelten auf der Kalker Trimbornstraße

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Pendlerachse in Kalk

Pendlerachse in Kalk

Köln – Man kann sich die Trimbornstraße als Ansammlung pittoresker Miniwelten vorstellen, in denen das ganze sprudelnde Multikulti steckt, von dem einige Linke noch immer träumen. Diese Welten werden aber nie zu einem Ganzen verschmelzen – was womöglich auch gut so ist. Der Kongolese Isidore Luyeye vom Afro-Shop muss nicht im Café Istanbul Tee trinken, der gebürtige Kölner Manfred Schwickerath keine Süßkartoffeln aus Kamerun bei Luyeye kaufen. Das „Büro für Brauchbarkeit“, das Ausstellungen für zeitgenössische Kunst kuratiert, kauft eher keine Elastolin-Figuren aus dem Dritten Reich von Schwickerath, der gegenüber mit einem Freund eine als Kiosk deklarierte Sammlerbude betreibt. Oder doch, für eine ironische gebrochene Aktion?

50 Meter Köln heißt unsere Serie, in der die Redaktion die Vielfalt der Stadt ergründet. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennen, sprechen über ihren Alltag – regelmäßig im Lokalteil. (uk)

Zakariás Gajdács ist eine Symbolfigur des Für-sich-seins auf diesen 50 Metern in Kalk, die wie eine Ameisenstraße durchzogen werden von den Pendlern, die zur S-Bahn Haltestelle Trimbornstraße gespült werden und weiterziehen zur U-Bahn an der Kalker Post. Der 62-Jährige hat als Fünfjähriger beim Spielen von der Natronlauge getrunken, mit der seine Mutter die Wäsche wusch. Er musste dann fünf Jahre im Krankenhaus verbringen. Im Hospital flüchtete er sich in Fantasiewelten. Gajdács sitzt in seinem WG-Zimmer vor einem roten Baldachin. Von der Decke baumelt ein Käfig mit nacktem Plastiktarzan und einer Blondine, den er „meinen Vögel-Käfig“ nennt. An den Wänden hängen Tierfelle, Instrumente, Familienaquarelle, Fotos – der Raum ist sein Museum der Unschuld.

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Gajdács beschreibt sich als „Ein-Mann-Künstler mit Kaspar-Hauser-Robinson-Crusoe-Syndrom“. Er sei weit weg von den Menschen und habe keine Freunde. Sein Universum besteht aus sich selbst und seiner Kunst. Er ist fast nie allein und immer einsam. Er sagt: „Im Prinzip gilt das für die ganze Straße. Es sind alles Parallelwelten, jeder kämpft für sich. Alles andere ist Verklärung.“

Bernd A. Hartwig vom Büro für Brauchbarkeit, einer von vier Kuratoren des Ausstellungsraums, wäre dann ein Verklärer. Im vergangenen Jahr hat der 45-Jährige Haarabfall von 13 Kalker Friseuren zusammengetragen und als Kunstwerk ausgestellt. „Da kamen auch die Friseurazubis mit ihren Kumpels und sagten: Guck mal, da sind auch Haare von mir“. Fanden einige entwürdigend oder eklig, andere sahen die Haare, so alle vermischt, und grübelten vor sich hin. Hartwig sagt, er möge die „raue Vielfalt des Ortes“, die Künstler anzieht. Das Büro für Brauchbarkeit ist ein Pionier – vor 16 Jahren siedelten sich die Gründer Martina Höfflin und Tilmann Reiff hier an. Ihre Kalk-Post-T-Shirts waren ein Marketingerfolg; Höfflin hat den Miró-Preis gewonnen, Reiff und Volker Morawe haben ihr Kunstobjekt PainStation im New Yorker MoMa und der ganzen Welt ausgestellt – an der selbst gebauten Konsole lassen sich kunstinteressierte Computerspieler freiwillig foltern. Nach einem Fehler bekommen sie einen Stromstoß. Es gab schon viele Verletzte.

Die Mehrzahl sind Kulturmenschen

Das Künstlerkollektiv kann sich den Ausstellungsraum in der Trimbornstraße als „teures, spannendes Hobby“ leisten, wie Bernd A. Hartwig sagt. Er spricht von einem „guten Nebeneinander“. Es kämen manche Kalker in die Galerie, die noch nie im Museum waren. Aber die Mehrzahl sind schon Kulturmenschen. „Einige Künstler ziehen aber spätestens dann weg von hier, wenn ihre Kinder in die Schule kommen. Dann ist ihnen die Gegend doch etwas zu heftig.“

Der Ein-Mann-Künstler Gajdács mag es eindeutiger als die Video-Installation von Elisabeth Molin aus Dänemark, die gerade in der Galerie zu sehen ist. In dem Video geht es um „Aspekte des Unterbewussten, des Unheimlichen, des ambivalenten Gefühls der Ohnmacht in einer technisierten Welt“, wie es erläuternd heißt. Was wiederum prima passt zur Trimbornstraße. Ohnmacht und so etwas wie eine PainStation kennen alle hier.

Selbstdarsteller Gajdács geht auf die Straße und demonstriert gegen die Ohnmacht, oder er stellt kopulierende Plastikfiguren auf die Straße und guckt, was passiert. Er wurde 1953 in Jugoslawien geboren, seine Familie gehörte zur ungarischen Minderheit, der Vater kämpfte im Krieg an der Seite der Deutschen, und emigrierte 1968 nach Köln. Gajdács wusste nie, wo er hin gehört. „Nach Kalk nicht.“ Und doch eigentlich gut. Am Freitag steht er auf der Domplatte, um einem Flüchtling ein WG-Zimmer anzubieten. Er plakatiert dort die Frage „Flüchtlinge willkommen?“ und sagt, er stehe „zwischen Pegida und Multikulti. Alles muss erlaubt sein. Pegida wegzubrüllen, das macht man in der Demokratie nicht“. Das machen die Initiatoren von Plakaten wie jenen, die am derzeit geschlossenen Café Vorstadtprinzessin in der Trimbornstraße prangen. „Kein Comeback für Hogesa“, fordern sie. „Viele sind nicht offen, sie tun nur so“, sagt Gajdács, der das Leben als offenes Spiel nimmt.

Ein Laden für Spieler und Sammler ist der von Albert Thoma und Manfred Schwickerath. Der 46-jährige Schwickerath sieht mit seinem mächtigen Körper und den Tätowierungen furchteinflößend aus. Er verkauft aber nur Briefmarken und Disneyzeugs. Und Spielfiguren aus Plastolin. „Ich habe fünfzehntausend zu Hause“, sagt er. „Ich sammle alles, was alt ist, nur keine Frauen.“ Er zeigt Figuren, auch „rein zeitgeschichtliche“ aus dem Dritten Reich. „Es gibt welche, die kosten 500 Euro.“ Für die Burg, vor der er posiert, habe ein Sammler ihm 7500 Euro geboten. „Aber das ist mir zu wenig.“ Er sagt, der Laden laufe ganz gut: „Aber es war lange ein Kampf.“

Das ist der kleinste gemeinsame Nenner hier. Dass jeder vor sich hinkämpft. Die einen ringen um die Vermischung der Welten und die (lieber nicht so vermischte) Schulbildung für ihre Kinder, andere mit der Arbeitsagentur oder der Sucht, Schwickerath mit dem Absatz von Plastikfiguren.

Der Besitzer des Afro-Shops Isidore Luyeye findet nicht, dass das Leben in Kalk ein Kampf ist, „auch wenn man kämpfen muss“. Der 52-Jährige ist vor 25 Jahren aus dem Kongo geflohen, weil er gegen Diktator Mobutu demonstriert hatte und verhaftet worden war. Seit sechs Jahren verkauft er afrikanische Lebensmittel, Kleider und alles fürs Haar. Sein Shop ist ein Treffpunkt für Afrikaner. In Kalk interessiere das keinen, in Brakel im Kreis Hoexter, wo die Luyeyes lange wohnten, fühlte er sich wie ein Alien. „Alle waren nett, aber alle haben geguckt, als wären wir vom anderen Stern.“

In der Trimbornstraße ist jeder vom anderen Stern. Auf jedem Himmelskörper ist Leben, das kaum einer kennt. Man kann das Parallelwelt nennen. Oder Poesie.

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