Brand in Höhenberg„Gibt es so viele Zufälle?“

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Die Ursache für das verheerende Feuer in Höhenberg ist nach wie vor unklar.

Die Ursache für das verheerende Feuer in Höhenberg ist nach wie vor unklar.

Köln – Zwischen Yusuf Kiziltas und Bekir Bozdag liegen an diesem Dienstagmittag 2873 Kilometer. Der eine, Bozdag, ist Vize-Ministerpräsident der Türkei. Er sitzt in Ankara. Nach dem Hausbrand in Köln-Höhenberg mit zwei Toten hat er kritisiert, zu selten würden deutsche Behörden nach Hausbränden mit türkischen Opfern einen rechtsextremen Anschlag in Erwägung ziehen. Es sei lächerlich, wenn sie „fünf Minuten nach Beginn der Ermittlungen“ eine Tat von Neonazis ausschließen. Der andere, Kiziltas, ist der Eigentümer des Mehrfamilienhauses in Höhenberg. Er steht davor auf dem Gehweg und sagt, er habe „zu hundert Prozent Vertrauen“ in die Kölner Polizei und die Staatsanwaltschaft, er verschwende keinen Gedanken daran, dass sie etwas vertuschen könnten. „Sie machen einen Superjob.“

Kiziltas sieht aus wie ein Bär von einem Mann – stark, bullig, wehrhaft. „Wir nennen ihn Riesenbaby“, sagt sein Bruder Yüksel und lächelt. „Er ist ein Riesenkerl mit einem weichen Herzen.“ Ein Herz, das seit Samstagabend im Ausnahmezustand schlägt.

Yussuf Kiziltas, türkischstämmig mit deutschem Pass, schläft wenig, er telefoniert viel, muss immer wieder weinen, sagt sein Bruder. Täglich rufe er seine 36 Mieter an, fragt, wie es ihnen gehe, ob er ihnen irgendwie helfen könne. Dabei hat er selber nichts bei sich außer seinem Handy. Der 31-Jährige wohnt in der ersten Etage seines Hauses, war aber nicht daheim, als der Brand ausbrach. „Es ist Wahnsinn, wie Herr Kiziltas sich reinhängt“, sagt Nicole Köckeritz, die zwei Mieter aus dem Dachgeschoss des Brandhauses in ihrer Wohnung aufgenommen hat.

Am Dienstagmittag hat die Kriminalpolizei das versiegelte Haus wieder freigegeben. Ein Brandsachverständiger hat seine Untersuchungen abgeschlossen, die Bewohner dürfen kurzfristig in ihre Wohnungen zurück, um das Nötigste herauszuholen. Ob und wann die Wohnungen wieder bewohnbar sein werden, ist derzeit noch unklar. Rauch und Ruß haben vieles verwüstet.

Offenbar reine Zufallsopfer

Am heutigen Mittwoch will die Polizei erste Ermittlungsergebnisse offiziell bekanntgeben. Aber schon jetzt kristallisiert sich heraus, dass die Mieterin Elvira B. (19) und ihr Bekannter Marco N. (30) offenbar reine Zufallsopfer geworden sind. Das Feuer entstand mutmaßlich in einem von zwei Kinderwagen, die hinter der Haustür im Flur abgestellt waren – oder von einer Kiste mit Zeitungen, die danebenstand. Ob der Brand gelegt wurde oder ob jemand womöglich eine glimmende Zigarette achtlos weggeworfen hat, steht noch nicht fest.

Elvira B. und Marco N. – so die bisherigen Ermittlungen – haben den Rauch vermutlich in ihrer Wohnung unter dem Dach gerochen und sind nach unten gestürmt. Aus Neugierde? Oder um auf die Straße zu flüchten? Das ist noch unklar. Sicher ist: Sie ließen die Wohnungstür offen stehen, der sogenannte Kamineffekt setzte ein: Rasend schnell zog das heiße Rauchgas durch das Treppenhaus bis unter das Dach. Elvira B. und Marco N. atmeten den giftigen Qualm ein, verloren womöglich im dicht verrauchten Hausflur die Orientierung und entzündeten sich an den Flammen.

Ihr Schicksal ist auch am Dienstag noch ein großes Thema auf der Rothenburger Straße. Aber ebenso sehr beschäftigen die Äußerungen von Vize-Premierminister Bozdag die vielen türkischen Bewohner der Straße. Auch der Zentralrat der Muslime (ZMD) hat die Kölner Ermittler inzwischen aufgerufen, keine vorschnellen Äußerungen zur Brandursache zu machen. Dabei tun sie das gar nicht. „Die muslimische Bevölkerung ist stark verunsichert“, sagte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek. „Deutsche Bürger mit türkischer Herkunft haben große Angst, weil in den letzten Wochen immer wieder türkische Wohnhäuser mit tödlichem Ausgang brannten oder Moscheen angegriffen wurden.“ Die Staatsanwaltschaft betont stets, „in alle Richtungen“ zu ermitteln und nichts auszuschließen.

Auf der Rothenburger Straße haben sich indes Bewohner des Brandhauses versammelt, darunter viele Türken. Auch Verwandte, Freunde und Nachbarn sind gekommen. Jemand hat eine aktuelle Ausgabe der „Hürriyet“ dabei. „Wieder ein Brand in einem türkischen Haus in Deutschland“, titelt die Zeitung. Es wohnten auch viele Italiener und Iraker in dem Haus. Die tote Elvira B. stammte aus dem Kosovo, Marco N. war Deutscher.

Er könne die Vorwürfe von Bekir Bozdag nicht nachvollziehen, sagt Yüksel Kiziltas, der Bruder des Eigentümers. „Er darf nicht zu voreilig sein.“ Ein türkischer Journalist meint: „Bozdag macht Politik. Er sitzt im fernen Ankara und weiß gar nicht, wie es in Köln-Höhenberg aussieht.“ Bozdags Äußerungen seien für das friedliche Zusammenleben von Türken und Deutschen nicht gerade förderlich.

„In Marienburg wäre es anders gelaufen"

Vor einem Haus serviert eine Bewohnerin schwarzen Tee mit Würfelzucker. Süleyman Cosar nimmt sich ein Glas vom Tablett. Der 49-Jährige ist am Samstag über die Feuerleiter vor den Flammen geflüchtet. Er sagt: „Bozdag sagt das, weil er vor seinem Publikum Präsenz zeigen muss.“ Cosar hält inne, er sieht aus, als überlege er, ob er noch etwas hinzufügen solle. „Wie soll ich das sagen“, fährt er fort. „Manchmal frage ich mich aber schon: Warum trifft es bei Hausbränden so oft Türken? Warum passiert es immer nachts? Und warum sind angeblich immer Kurzschlüsse in einer Stromleitung schuld? Gibt es so viele Zufälle?“ Was ist seiner Meinung nach der wahre Grund? „Das weiß ich nicht. Ich weiß nur: Die deutsche Regierung sollte die Aufklärung nach solchen Bränden zu einer Herzenssache machen.“

Trotz deutschen Passes fühlt sich der gebürtige Türke häufig als Deutscher zweiter Klasse. Das Feuer in seinem Haus sei mal wieder so ein Beispiel. „Was ich vermisse, ist, dass sich nach dem Brand mal ein offizieller Vertreter der Stadt Köln hier vor Ort bei uns erkundigt hätte, wie es uns geht, ob wir etwas brauchen. Einfach als Geste.“ Aber nur der türkische Generalkonsul kam und Vertreter türkischer Vereine und Verbände wie der Ditib. Und eine CDU-Politikerin mit türkischen Wurzeln. Auch Hausbesitzer Yussuf Kiziltas ist sicher: „Wäre das Feuer in Marienburg passiert, wäre es anders gelaufen.“ Die Solidarität, die er nach dem Unglück von Deutschen erfahren hätte, sei von den deutschen Nachbarn gekommen.

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