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Veedel-PorträtKöln-Kalk ist In-Viertel und Kriminellen-Treffpunkt

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Bunte Vielfalt: Die belebte Kalker Hauptstraße ist das Herz des Viertels.

Bunte Vielfalt: Die belebte Kalker Hauptstraße ist das Herz des Viertels.

Kalk – „Ich möchte Kalk ein neues Gesicht geben“, sagt Abdelali Karim. Besucher aus anderen Vierteln sollen positiv überrascht werden. „Wir haben was zu bieten.“. Sein Lokal „Blauer König“ am Kalker Markt gilt seit Jahren als Sinnbild für einen Stadtteil im Aufbruch. Kreative, Studenten und Alternative sind hier her gezogen. Kalk-Kenner wie der Historiker Fritz Bilz warnen bereits vor einer „Gentrifizierung“. Alt-Eingesessene könnten verdrängt werden, wenn der alte Arbeiterstadtteil zum In-Viertel wird. „Kalk ist in einer Umbruchsituation. Ich befürchte, dass der Stadtteil eine Entwicklung nimmt wie Ehrenfeld oder Nippes.“

Ein Stadtteil voller Widersprüche

Der 37-jährige Gastronom Karim würde soweit nicht gehen. Der Wirt des Trend-Lokals sieht die Chancen der Aufwertung, aber auch die vielen Probleme, die Kalk immer wieder in negative Schlagzeilen geraten lassen. Gleich in der Nähe werde mit Heroin gedealt. Alkoholiker würden den Spielplatz in Besitz nehmen. Und als vor seinem Lokal sein Fahrrad geklaut wurde, habe die Polizei die Ermittlungen eingestellt, obwohl ein Zeuge den Namen des Täters nennen konnte. „Die Polizei tut zu wenig“, sagt der Marokkaner.

Kalk ist ein Stadtteil voller Widersprüche: ein Wallfahrtsort mit einer Wunder wirkenden Madonna und großer Industriegeschichte , mit Technischer Hochschule und Treffpunkten arbeitsloser Jugendlicher, mit Künstlerateliers und einem zu großen Einkaufszentrum. Ein Multikulti-Schmelztiegel, darin neben den alteingesessenen Familien mit Kalker, türkischen und italienischen Wurzeln auch die vielen, die noch nicht lange hier sind: Asiaten, Rumänen, Bulgaren und Nordafrikaner.

Schon länger im Fokus der Polizei

Abdelali Karim ist schon vor vierzehn Jahren aus Frankreich nach Deutschland gekommen, seit zehn Jahren wohnt er in Kalk. Er merkt, dass er nach der Silvesternacht anders angeschaut wird, wenn er die Nachbarschaft verlässt, wo man ihn kennt. Rund 350 Meter sind es von seinem Lokal bis zur Kalk-Mülheimer Straße, die schon vor Silvester im Fokus der Polizei stand. Viele der Gaststätten und Wettbüros gelten als Treffpunkt und Rückzugsraum für Kleinkriminelle. Besonders im Visier sind nordafrikanische „Jungs im besten Alter“, wie ein Ermittler sagt, „schlank, schnell, durchtrainiert.“ Viele seien aggressiv. „Wir wurden bei Festnahmen schon bespuckt und beleidigt und gehen inzwischen nur noch mindestens zu zweit an die ran.“

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In dieser Woche hat die Polizei bei zwei Razzien fast 200 Personen kontrolliert. Solche Aktionen sollen die Szene verunsichern. Die Täter machten „alles, was Geld bringt“, sagt der Fahnder: Wohnungseinbruch, Ladendiebstahl, Autoaufbruch, Trickdiebstahl und Straßenraub. Auch bei ihren Überfällen gehen sie nicht zimperlich vor, reißen etwa ihren Opfern Ketten kurzerhand vom Hals.

Auf die verschärfte Beobachtung reagieren die Verdächtigen mittlerweile mit eigenen Observationstrupps: Biegt ein Streifenwagen in die Kalk-Mülheimer Straße ein, ertönt ein Pfiff, und die Männer verschwinden in den Cafés und Restaurants. Vor allem bestimmte Häuser in der nicht weit entfernten Taunusstraße in Humboldt-Gremberg seien als beliebter Unterschlupf unter den Tätern „europaweit bekannt“, berichtet der Ermittler.

Lebendig und gut angebunden

Udo Färber, der an der Kalk-Mülheimer Straße als selbstständiger Buchhalter ein Büro hat, berichtet von zunehmender Unruhe in der Nachbarschaft. Vor allem die italienische Community sei verunsichert. Er befürchtet, dass sie damit beginnt, Gegenwehr selbst zu organisieren. Das klingt Besorgnis erregend.

Saskia Kaden, Vorsitzende des Kalker Bürgervereins, sieht die Lage deutlich gelassener. Sie fühle sich auch abends sicher und wohl.

Günstige Wohnungen

So sieht es auch Guido Sprenger, wie Färber Nachbar am Ort der Razzien. Dass nun bundesweit zu hören sei, dass es hier Ecken gebe, wo man sich nicht mehr hin traue, könne er nicht nachvollziehen. Seit viereinhalb Jahren wohnt der 33-jährige Rundfunk-Mitarbeiter mit seiner Freundin in einer schönen, sanierten Wohnung, die er ohne Wohnberechtigungsschein für 500 Euro Miete bekommen hat – ein gutes Argument für Kalk. Außerdem sei das Viertel „super angebunden“ und „lebendig“. „Kalk ist günstig, Kalk ist zentral und Kalk wartet auf Leute, die hier was machen wollen“, sagt der Engelbert Schlechtrimen, engagierter Chef der Kalker Traditionsbäckerei an der Hauptstraße.

Das Angebot für Jüngere zum Ausgehen oder Einkaufen ist noch recht überschaubar, der Stadtteil kann noch einiges an Neuem vertragen. Der Umgang mit dem Autonomen Zentrum AZ, das bis 2013 jeden Abend Hunderte junger Leute lockte, belegt aber auch, dass nicht alles passt. Das AZ-Publikum war den alt-eingesessenen Kalkern dann doch ein bisschen zu viel an „Szene“. Fritz Bilz meint, mit seiner Vertreibung habe man eine Chance verpasst. Oliver Wessel, als Apotheker in der Standortgemeinschaft der Geschäftsleute aktiv, sieht das anders: „Neue Ideen sind willkommen. Aber die Leute vom AZ haben sich wie die Axt im Wald benommen.“

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Das neue und das alte Kalk – man hat den Eindruck, dass die verschiedenen Bevölkerungsgruppen noch nicht viele gemeinsame Schnittmengen gefunden haben. Die kölschen Kalker sitzen in Schlechtrimens Café am „Stadtgarten“ oder in den weniger werdenden alten Kneipen, die türkische Community trifft sich in ihren Lokalen.

Die jungen Neu-Kalker gehen in den „Blauen König“, ins „Trash Chic“ oder ins „Hopla“. Und das Leben der Italiener scheint sich regelrecht in einem Paralleluniversum abzuspielen. Am eindrucksvollsten präsentiert es sich, wenn über 50 Laiendarsteller vor Ostern den Kreuzweg Jesu nachspielen. Dann sind die Probleme, von denen diese Migrantengruppe nicht wenige hat, für kurze Zeit vergessen. „Man muss die Gruppen mehr zusammenbringen“, sagt die Bürgervereinsvorsitzende Kaden.

17 Prozent Arbeitslose

Kalk ist immer noch ein armes Viertel. Seit dem Niedergang der Industrie fehlt es an Arbeit; die Arbeitslosenquote liegt bei fast 17 Prozent. Das ist fast doppelt so viel wie im Kölner Durchschnitt. Der lieblos im Parkhaus der „Köln-Arkaden“ eingemauerte ehemalige Wasserturm der Chemischen Fabrik Kalk zeugt nicht nur vom schlechten Umgang mit den Denkmälern der Geschichte des einst reichen Ortes. Er ist auch ein Symbol für viele Fehler, die politische Verantwortliche in Zeiten des Strukturwandels gemacht haben. Sie haben verpasst, rechtzeitig Konzepte für die soziale Mischung und neue Arbeitsplätze zu entwickeln. Stattdessen haben sie auf dem einstigen CFK-Gelände einen hässlichen Baumarkt und ein monströses Musik-Kaufhaus genehmigt.

Doch seit einigen Jahren hat man den Eindruck, dass aus den Fehlern auch gelernt wurde. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft GAG geht voran, viele neue Wohnungen werten den Stadtteil auf, alte werden in Schuss gebracht. Der aktuelle Protest gegen den Abriss der erhaltenswerten KHD-Montagehallen neben dem Kalk-Karree zeugt vom erstarkten Bürgerengagement.

Die neuen Kalker setzen neue Akzente, kämpfen für den Erhalt der Industriearchitektur genau wie gegen die Hubschrauber auf dem Kalkberg, oder schaffen in der „Pflanzstelle“ ein Idyll für Großstadtgärtner.

So wird Bürgerengagement bereichert, das den Stadtteil seit je her prägt: Die Stiftung „Kalk gestalten“ fördert seit langem Kunst, Kultur, soziale Projekte und die Ortsgemeinschaft; die christlichen und muslimischen Gemeinden stemmen viel, was städtische Angebote nicht schaffen; viele Initiativen und Vereine kümmern sich um Beschäftigung, Freizeitangebote oder Integration.

Einzelne Ecken als Problem

„Es gibt viel mehr helle Seiten als dunkle“, sagt Apotheker Wessel. Wie viele Kalker glaubt er, dass das Thema Sicherheit und Kriminalität mit dem äußeren Erscheinungsbild bestimmter Straßenzüge zu tun hat. Einzelne Ecken seien das Problem, der Stadtteil als Ganzes dagegen sei „im Kommen“. Er schätze die „friedliche Vielfalt“ und sei gerne hier, auch wegen der Bodenständigkeit der Kalker. „Die haben das Herz am rechten Fleck.“

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