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Wohngemeinschaft36 Jahre WG-Leben in Kalk

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Die Wohngemeinschaft in der Dillenburgerstr. 3 gibt es jetzt 35 Jahre.

Die Wohngemeinschaft in der Dillenburgerstr. 3 gibt es jetzt 35 Jahre.

Kalk – Eine Lichterkette mit roten, blauen und gelben Lampen hängt hoch über dem hölzernen Gartentisch. Blumentöpfe stehen neben den Treppenstufen, die hinab führen in den gepflasterten Hinterhof. Ein Grill komplettiert die Gemütlichkeit. Dieser Ort ist für die Bewohner der Wohngemeinschaft in der Dillenburger Straße 3 vor allem im Sommer ein beliebter Treffpunkt. Doch diese WG beheimatet keine gewöhnliche Gruppe von Studenten oder jungen Berufstätigen, die in ihrem Hof Grillpartys feiern und zusammen in einer Wohnung leben. In der Dillenburger Straße 3 wohnen zehn Menschen in einem Haus mit acht Wohnungen in vier Stockwerken in einer Wohngemeinschaft, die bereits seit 36 Jahren existiert.

Kurt Rogowski ist heute 57 Jahre alt und hat die 20-, 25- und 35-Jahr-Feiern miterlebt. „Die letzte Party war ziemlich groß“, erinnert er sich und lächelt. „Wir hatten eine Live-Band, die im Esszimmer für uns und unsere 200 Gäste gespielt hat, und der Keller wurde zur Disko umfunktioniert.“

1976 gegründet

1976 hat er mit 21 Jahren die WG zusammen mit einem Freund gegründet. Noch heute wohnt er dort – jedoch ganz anders als noch in den Anfangszeiten der Wohngemeinschaft. „Zuerst hatten wir zwei einzelne Wohnungen auf der ersten Etage des Hauses gemietet“, erinnert sich Rogowski, der sein Geld als Schmuckverkäufer verdient, an die WG-Gründung. In den anderen sechs Appartements wohnten normale Einzelmieter. „Die sind aber nach und nach aus- und Freunde von uns eingezogen.“

Rogowski und sein Kumpel kamen aus der Nähe von Gummersbach. „Nach vier bis fünf Jahren war das ganze Haus eine WG, und alle kamen aus Oberberg“, sagt Rogowski. Von den insgesamt 60 ehemaligen Mitbewohnern kommen heute noch viele zu Besuch. „Gleichzeitig werden aber viele Dauer-Besucher mit der Zeit zu vollständigen WG-Mitgliedern.“ Rogowski wohnt immer noch gern in der Dillenburger Straße. Da zwischen Januar und April kaum Einkommen mit den Schmuckverkäufen auf der Straße erzielt werden kann, fährt er in dieser Zeit oft in andere Länder. „In der WG sind die Mieten sehr günstig, weshalb ich mir das Reisen eher leisten kann“, sagt Rogowski.

Geheizt wird mit Kohle

In dem um das Jahr 1880 erbauten Haus steht in jedem zweiten Zimmer ein Kohleofen. Mit dieser Heizart wird das gesamte Gebäude erwärmt – bis heute. Somit müssen regelmäßig Kohlebriketts in die Kellerräume bugsiert werden, womit sich aber jeder arrangiert hat. „Als wir 1976 einzogen, gab es auch noch keine Badezimmer in den Wohnungen“, berichtet Kurt Rogowski. „Wir sind damals in das Kalk-Wannenbad zum Duschen gegangen.“ Mittlerweile hat die Vermieterin allerdings Waschräume einbauen lassen. „Als das geschah, war das ein echter Luxus“, sagt der WG-Gründer.

In der Küche steht ein antiker Schrank mit unzähligen Tellern und Gläsern. Daneben eine lange Arbeitsplatte, denn für zehn WG-Bewohner will gekocht werden. Dafür braucht man nicht nur große Töpfe, sondern auch einen immensen Kühlschrank. „Wir haben eine Gemeinschaftskasse, in die jeder 160 Euro pro Monat einzahlt“, berichtet Britta, die gerade an einem mächtigen Esstisch Müsli frühstückt. Von dem Geld werden die Zeitung, Lebensmittel, die Miete für die zwei Gemeinschaftsräume, Küche und Esszimmer, gezahlt, die extra berechnet wird – und die Putzfrau. Das ist ein kleiner Luxus, der viele Reibereien in der WG verhindert, denn sie kümmert sich ausschließlich um die Reinigung des Treppenhauses, der gemeinsamen Küche und des Esszimmers. „Alles, was im Kühlschrank liegt, ist für jeden da“, sagt Britta. „Irgendwie funktioniert das Einkaufen immer reibungslos und erstaunlich gut. Wenn sich einer raushält aus den Gemeinschaftsaufgaben, fällt das schnell auf.“ Und wenn einer für die Gruppe gekocht hat, werden an der Haustür die Wohnungsklingeln gedrückt, damit jeder Bescheid weiß, dass es etwas gibt.

Studenten in der Minderheit

Als Kurt Rogowski in das Haus einzog und viele seiner Kumpels folgten, waren sie alle Anfang 20 und studierten. Heute wohnen überwiegend Berufstätige wie ein Restaurator, ein Fotograf oder ein Artist in der Wohngemeinschaft. Die drei Studenten sind in der Minderheit.

In der Dillenburger Straße 3 wurden sogar schon Familien gegründet. Momentan werden Mirjam und Gavin Eltern, die gemeinsam eine Etage bewohnen. „Erst einmal wollen wir hier bleiben“, sagt Mirjam. „Eine Zeit lang haben hier sogar zwei Kinder gewohnt“, berichtet Kurt Rogowski.

„Das Besondere an unserer Wohngemeinschaft ist wohl, dass jeder seine eigene Wohnung hat und sich dorthin zurückziehen kann“, beschreibt Annika. „Gleichzeitig machen wir als Gruppe recht viel zusammen, sei es kochen, etwas trinken oder feiern.“Ob ein neuer, potenzieller Mitbewohner auch in die WG passt, wird nach einem Vorkochen und einem gemeinsamen Abend entschieden. „Ich glaube, es ist schon etwas anderes, hier zu wohnen, als in kleineren Gemeinschaften“, sagt Britta. „Man sollte eine gewisse persönliche Stärke mitbringen. Sonst geht man als schüchterner Mensch schnell unter bei so vielen Leuten.“

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