Abo

Frauen des Kölner KarnevalsDeine Sitzung, mit Kebekus und Co.

Lesezeit 29 Minuten
Carolin Kebekus

Carolina Kebekus

Passt das: Büttenreden und Frauen? Nur janz höösch bekamen Frauen einen Fuß in die Saaltür, aber ihre Zahl blieb überschaubar. Erst mit dem alternativen Karneval wurden die Akteurinnen zahlreicher. Wir erinnern in einer Serie an bekannte und fast vergessene Künstlerinnen – von damals bis heute.

Ohne Carolin? Ob das klappt? Die Sorge einiger Fans der alternativen Karnevalsveranstaltung „Deine Sitzung“ war unbegründet. Das Format hat nach der Auszeit von Carolin Kebekus als Präsidentin keinen Schaden genommen. Ihren Platz übernahmen in dieser Session Mirja Boes und Steffi Neu im Wechsel.

Zur Premiere stellte sich die Schauspielerin, Komikerin und Sängerin Boes dem Kebekus-Erbe. Mit großem Erfolg. Ihre Moderationen im Zusammenspiel mit Co-Präsident Olaf Bürger oder solo waren souverän, klug, frech und witzig. Sie überzeugte auch als Sängerin. Ihr Lied über das Ende einer Beziehung klang nicht wirklich traurig: „Wenn du weg bist, dann esse ich wieder Schokolade“. Als Karnevalistin war Mirja Boes bislang nicht aufgefallen. Der gemeinsame Auftritt mit der „Kölschfraktion“ beim Lied „Nä, wat ist dat schön“ während des Jubiläumskonzerts „40 Jahre Peter Horn und F.M. Willizil auf der Bühne“ zählt nicht wirklich.

Alles zum Thema Carolin Kebekus

Warum hat es bei „Deine Sitzung“ trotzdem geklappt? Weil die 45-Jährige aus Viersen ein Multitalent ist. Sie gehörte zu den „Fabulösen Thekenschlampen“ ( „Tony lass es polstern“). Sie studierte unter anderem Musik- und Medienwissenschaften sowie das Fach Musical. Sie gehörte zum Ensemble des Improvisations-Theater „Frizzles“. Sie spielte in diversen TV-Comedy-Sendungen, drehte mit Tom Gerhardt einen Kinofilm und moderiert aktuell die RTL-Sendung „Die Puppenstars“. Und sie war „Möhre“. Unter dem Künstlernamen trat sie in der Diskothek Oberbayern in Palma de Mallorca auf ( „20 Zentimeter“).

Kebekus kommt 2018 zurück

Im kommenden Jahr will Carolin Kebekus wieder auf dem Präsidentinnen-Thron Platz nehmen. Sie musste diesmal pausieren, weil sie mit ihrem Soloprogramm „Alphapussy“ auf Tour war. Vom Erfolg der Tournee wird wohl abhängen, ob sie 2018 tatsächlich zu „Deine Sitzung“ zurückkehrt.

Der Tourplan steht erst einmal bis Mitte Dezember. Dass ihr Herz vor allem für den alternativen Karneval schlägt, ist kein Geheimnis. Sie ist bekennender Fan der Stunksitzung. Dem traditionellen Karneval steht sie nicht ganz so nah, „bei dem dürfen Frauen nichts außer Mariechen sein“. Der Spaß hört bei Carolin Kebekus übrigens genau da auf, wo der Düsseldorfer Narrenruf beginnt. Aus „Hello“ von Adele machte sie mit ihrer Funband „Beer Bitches“ den jecken Hit „Helau“. Erstmals präsentiert im vergangenen Jahr bei „Deine Sitzung“ – und jederzeit im Netz.

Susanne Hermanns, „Chantalls Mutter“

Kult schreibt man mit C. Jedenfalls wenn es um die Figur „Chantalls Mutter“ in der alternativen Sitzung „Fatal Banal“ geht. Seit mehr als 20 Jahren begeistert Susanne Hermanns das Publikum als „Chantalls Mutter“, die ihrer Tochter so gar nichts Liebevolles entgegenbringt. Wenn sich Hermanns ihre braune Lockenperücke überstülpt, Leggings und Weste im Leoparden-Look, den schwarzen Lederrock, das rosa Jäckchen anzieht und auf ihren Stöckelschuhen auf die Bühne stitzelt, erntet sie Auftrittsapplaus. Da hat sie noch kein Wort über ihre Tochter fallengelassen. Aber man ahnt, gleich wird es unterirdisch böse und höllisch komisch. Im aktuellen Programm geht es um Chantalls neues Hobby. „Die geht jetzt Pokémons jagen und ausbrüten. Dabei hatte die noch nie Sex.“

Susanne Hermanns ist die Figur ans Herz gewachsen, obwohl „die sich furchtbar benimmt.“ Das Publikum liebt „Chantalls Mutter“ gerade wegen des rotzigen Tons und der naiv-dumpfen Art. Als Hermanns die Figur auf die Bühne brachte, war die bemitleidenswerte Bühnen-Chantall noch ganz klein. Aus Sandkasten-Geschichten wurden Schul-, Pubertäts- und Erwachsenen-Themen. „Die Figur hat sich weiterentwickelt, ist über die Jahre mitgewachsen. Das Schöne ist, dass die sich nicht abnutzt.“ Eine Trennung kommt ohnehin nicht in Frage. „Als die Figur in einem Jahr nicht im Programm war, waren die Gäste enttäuscht“, sagt die Schauspielerin. Im aktuellen Programm von „Fatal Banal“ ist Hermanns in etlichen starken Nummern zu sehen. Gemeinsam mit Meinolf Schubert trägt sie das Krätzje „Auf Platzsuche in Köln“ vor. Dieses wunderbare Duett könnte der zweite Dauerbrenner für die Mutter von „Chantalls Mutter“ werden.

Nicht nur im Karneval unterwegs

Hermanns ist Diplom- und Theaterpädagogin, Schauspielerin und Kabarettistin. Sie hat zwei Jahrzehnte als Jugendreferentin bei der Evangelischen Kircher im Rheinland gearbeitet, seit zwei Jahren ist die 54-Jährige hauptberuflich als Schauspielerin, Autorin und Regisseurin im Einsatz. Nicht nur im Karneval. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Sabine Putzler aus dem „Fatal-Banal“-Ensemble tritt sie außerhalb der Session als Kabarettduo „Hermanns & Putzler“ auf. Manchmal nimmt sie „Chantalls Mutter“ bei Soloauftritten mit auf die Bühne

Immisitzung

„Karneval ist für mich Köln“, nicht Rio de Janeiro. Dabei wäre das für die gebürtige Brasilianerin Myriam Chebabi viel naheliegender. Doch in ihrer ersten Heimat war sie gegen das Karnevalsfieber immun. „Ich war in Rio ein Karnevalsflüchtling“. In ihrer zweiten Heimat wirkten diese Antikörper nicht, am Rhein hat sie der jecke Virus umso heftiger befallen. Vor über 25 Jahren kam Chebabi nach Köln und schunkelte sich mitten hinein in eins der alternativen Karnevals-Epizentren. Sie hob als Gründungsmitglied vor acht Jahren die „Immisitzung“ mit aus der Taufe, seit vier Jahren ist sie deren Präsidentin. In einem prächtigen Gewand in den Farben grün-gelb (ein Gruß an Brasilien; Ähnlichkeiten mit den Farben der Ehrengarde sind rein zufällig), mit einer Mauerkrone auf dem Kopf und dem Kölner Stadtwappen auf dem Wams ist sie die „brasilianische Jungfrau, ImmiMymmi I.“.

Die Schauspieler und Musiker des Ensembles kommen aus elf verschiedenen Ländern. Ihre familiären Wurzeln reichen von Albanien bis Tansania. Das Motto der „Immisitzung“ lautet „Jede Jeck is von woanders“. Die jecke Präsidentin – „Ihre Leiblichkeit“ – ist auf der Bühne äußerst wandelbar. Sie begegnet dem Publikum in dieser Session unter anderem als Chefin eines China-Restaurants, als Sexbombe, als Volksmusikstar „Marianne“ oder als vom Pech verfolgte Frau, die so gern einen netten Mann finden würde, aber nur ein „Pittermännchen“ als verlässlichen Partner an sich binden kann. „ImmiMymmi“ tritt kraftvoll, sexy, witzig, klug und schlagfertig auf. Das Publikum liegt seiner „Jungfrau“ zu Füßen.

Freiheit und Lebensfreude

Für Myriam Chebabi verkörpert der Karneval in Köln in erster Linie „Freiheit und Lebensfreude. Man darf mal loslassen und unbeschwert feiern. Das möchten wir auch bei unseren Vorstellungen vermitteln.“ Die Kölnerin aus Brasilien arbeitet auch jenseits der Session als Schauspielerin und Regisseurin. Die 48-Jährige war Dozentin an der Comedia-Schauspielschule für Erwachsene und Kinder, spielte und führte Regie am Comedia Theater und am Casamax Theater. Dort inszenierte sie vor Jahren ein Kindertheaterstück, in dem Katja Solange Wiesner mitwirkte. Die beiden Frauen kannten sich da schon gut.

Die Kölnerin mit Wurzeln in Kamerun war die erste Präsidentin der „Immisitzung“. Sie sorgte gleich bei ihrem Sitzungsdebut für einen Paukenschlag: Die dunkelhäutige Karnevalistin sprach Kölsch, konnte fantastisch singen, war textsicher bei den kölschen Liedern, trat in einer Art Funkenmariechen-Kostüm auf und gab sich als glühende Verehrerin des FC zu erkennen – des FC Liverpool. Sie prägte die ersten Jahre des neuen Sitzungsformats durch ihre freche und unbekümmerte Art. Katja Wiesner gefiel vor allem die familiäre Atmosphäre im Ensemble. „Ich habe mich in dem Team sehr wohl gefühlt.“ Der Abschied von der „Immisitzung“ vor vier Jahren ist ihr nicht leicht gefallen. Aber die Chance, Puppenspielerin im Hänneschen-Theater zu werden, konnte sie nun wirklich nicht ausschlagen.

Hella, die rhetorische Begabung

Beim Thema Karneval kann die Entertainerin Hella von Sinnen zwei Kapitel aufschlagen. Ihre erste Karriere im Karneval startete sie als Büttenrednerin „Putzfrau Schmitz“ in der Session 1983/84.

Mit dieser Type stellte sich die in Gummersbach geborene Komödiantin beim Vorstellabend des Festkomitees Kölner Karneval in der Wolkenburg vor und erntete großen Zuspruch. Norbert Ramme schrieb seinerzeit im „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Die Schauspielerin vom Keller-Theater, die sich erstmals auf das karnevalistische Parkett wagte, avancierte schnell zum Publikumsliebling.“ Sie bekam aus dem Stand über 60 Auftritte.

Ihre „Putzfrau Schmitz“ trug ein pinkfarbenes Kopftuch, ausgelatschte Pantoffeln, einen blauen Kittel und hatte einen roten Eimer und gelben Schrubber dabei. Die Figur war keine Erfindung für die Karnevalsbühne. Raumpflegerin Hella tauchte schon vorher als „singendes Telegramm“ zum Beispiel als „Geschenk“ auf einer Geburtstagsfeier auf. So schlitterte sie auch in die Karnevalswelt.

Hella von Sinnen als „zweite Greta Fluss“

Manfred Wolff von der Agentur Ahrens war bei einem Fest auf Hella aufmerksam geworden und ermutigte die junge Frau, es als Rednerin im Karneval zu versuchen. Rhetorische Begabung, Gestik und Mimik seien perfekt. Hella habe eine große Karriere vor sich:  „eine zweite Grete Fluss.“ Das hat nicht ganz gefluppt.

In ihrer Biografie „Ich bin’s, von Sinnen“ beschreibt sie ihre erste Session, die auch ihre letzte werden sollte, als durchwachsen. „Manchmal bekam ich Raketen, und manchmal wurde ich ausgepfiffen.“ Die Künstlerin machte auf der Karnevalsbühne eine für sie völlig neue Erfahrung. Ob ein Auftritt erfolgreich verlief, hing sehr stark davon ab, wann man auf die Bühne ging.

„Wenn du erst um 23.30 Uhr auftrittst und vor dir Starkapellen wie De Höhner oder Bläck Fööss waren, dann redest du dir einen Wolf.“ Um die Zeit wollte niemand mehr pointierte oder nuancierte Geschichten hören.

„Zoten sind gefragt. Je frauenfeindlicher, je lieber. Dann häufen sich auch die Rufe »Ausziehen, Ausziehen« oder »Geh nach Hause«“, erinnert sich Hella von Sinnen, „für mich als Schauspielerin  – hart. Ganz hart!“.  

„Stunksitzung“

Die jungen Leute, die am 26. Februar 1984 die erste „Stunksitzung“ in der Alten Mensa der Universität zu Köln auf die Bühne brachten, wollten dem traditionellen Gesellschaftskarneval etwas entgegensetzen. Präsident war Jürgen Becker in seiner Rolle als „Irokesen-Heinz“. Das Programm war alternativ, artistisch, politisch, satirisch und kabarettistisch.

Schunkeln gab es nur als Parodie, Kostüme im Saal gar nicht.  Auch kulinarisch gingen die „Neu-und-vor-allem-anders-Karnevalisten“  eigene Wege: Statt Käse-Igel und „Kalte Ente“ wurden zwei Sorten Kartoffelsalat (mit und ohne Ei) und Kölsch angeboten. Und noch etwas war völlig anders. Bei den „Stunkern“ standen von Beginn an die Frauen mit in der ersten Reihe.

Seit 1999 gibt es mit Biggi Wanninger eine Präsidentin an der Spitze. Martina Bajohr, die ebenso wie Doris Dietzold, Martina Klinke und Doro Egelhaaf bereits zum Start mit dabei war, erlebt die Position der Frauen „als sehr stark. Die Frauen in unserem Ensemble achten gemeinsam auf eine gerechte, gleichwertige Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen.“ Manchmal mit leichten Vorteilen für eine Seite. Der stärkste Beitrag in der aktuellen Sitzung kommt von einer Frau: Anne Rixmann brilliert als Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Wutrede.

In der Stunksitzung treten Frauen in Männerrollen auf

Im Karneval werden die herrschenden Verhältnisse häufig auf den Kopf gestellt. Der Narr wird König, der Metzger wird Prinz und Männer schlüpfen in Frauenrollen. In den Stunksitzungs-Programmen treten häufig Frauen in Männerrollen auf. „Das ist Teil unserer Idee, Rollenklischees aufzubrechen und den von Männern dominierten Karneval auf die Schippe zu nehmen“, sagt Martina Bajohr. Die Frau mit der kräftigen, durchdringenden Stimme spielte zum Beispiel im ersten Dreigestirn der Stunksitzung, dem „Breigehirn“, Prinz Karneval mit Badekappe auf dem Kopf, dicker Hornbrille, ausgestopftem Bauch und schwarz angepinselten Schneidezähnen. Verkehrte Welt einst auch in einer Nummer, in der der damalige Kardinal Meisner im Begriff ist, einen Stein in das von ihm wenig geliebte Richterfenster zu werfen.

Im letzten Moment taucht eine Göttin im Cocktailkleid und mit Zigarettenspitze auf, um ihn davon abzuhalten. „Da wurde die Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche besonders sichtbar, weil das Klischee von Gott als Mann wie eine Tatsache, eine Wahrheit daherkommt und selbst aufgeklärten Köpfen der liebe Gott als Frau nicht so recht vorstellbar ist“, erinnert sich Martina Bajohr. Starke Männerrollen verkörpert auch Präsidentin Biggi Wanninger.

Vor allem dann, wenn sie als Rainer Calmund „meine Blutgruppe ist Nutella positiv“ oder als  „Stivvels Jupp“ auftritt. Der träumt von einem selbstfahrenden Rosenmontagszug und einem selbstdenkenden Dreigestirn. Ob damit  das erste weibliche Dreigestirn in Köln gemeint ist, bleibt zunächst einmal offen.

Ingrid Kühne

„Selbst der größte Star war mal ein blutiger Anfänger. Ich bin irgendwas dazwischen“. Diese Selbsteinschätzung stammt von Ingrid Kühne, muss aber korrigiert werden. Die Rednerin nimmt als „De Frau Kühne“ Kurs auf „oben“, „dazwischen“ war gestern. In ihrem Programm plaudert sie über den Alltag einer Ehefrau und Mutter, Probleme mit Männern allgemein und eigene Schwächen. Sie überzeugt mit gutem Timing, starker Bühnenpräsenz und zündenden Pointen.

„Auf dem, was mein Mann trinkt, könnte ein Schiff wenden“; „Das Sportlichste an mir ist mein Ei-Sprung“. Angefangen hat die 48-Jährige  Büttenrednerin am Niederrhein und im Raum Aachen. 2010 schloss sie sich dem literarischen Komitee beim Festkomitee  an. Vorstellabende ebneten ihr den Weg in die Kölner Säle. Auftrieb gab der erste Platz bei der WDR-Talent-Show „Blötschkopp und die Rampensäue“.

Ingrid Kühne nimmt kein Blatt vor den Mund

„Der Weg ist auch nach etlichen Jahren noch sehr steil. Die großen Gesellschaften beobachten sehr intensiv und lange, wie man sich entwickelt.  Du musst konstant gute Leistungen abliefern. Was mich verblüfft, ist die Aussage einiger Literaten, dass sie auf einer Sitzung nicht zwei Rednerinnen ins Programm nehmen können. Ich sehe mich um und sehe häufig gar keine“, sagt „de Frau Kühne“.

Mittlerweile tritt die gelernte Schriftsetzerin aus Kerken am Niederrhein ganzjährig als Kabarettistin mit ihrem Solo-Programm auf. Im vergangenen Jahr errang sie den 1. Platz beim Nachwuchs-Wettbewerb „Paulaner Solo+“.

Annette Esser

Zum Jubiläum hat sich „Achnes Kasulke“ was gegönnt. Die „letzte deutschsprachige Putzfrau vor der Autobahn“ tritt in ihrer zehnten Session im Kölner Karneval in einem mit Strass-Steinchen veredelten Glitzerkittel auf. Und fegt – so gut es geht – auf High-Heels über die Bühne. Gut, dass sie sich auf ihren Wischmopp stützen kann. Die plumpen und leicht ausgetretenen Schluffen hat die Rednerin Annette Esser ihrer „Achnes“ vom Fuß genommen.

Mit witzigen Geschichten über ihren chaotischen Gatten Erwin, das eigene Gewicht „aus meiner Wespentaille ist im Laufe der Jahre ein Hummelhüfte geworden. Erwin findet das toll, mehr erotische Nutzfläche“ und die Alltagssorgen einer Hausfrau und Mutter kommt die 46-Jährige prächtig an. Vor allem auf Damen- und Mädchensitzungen. Die Frauen im Saal finden sich und ihre Erlebnisse bei „Achnes“ wieder.

Annette Esser sind Herrensitzungen „zu anstrengend“

Für große Galasitzungen wird sie nicht häufig gebucht, auf Herrensitzungen verzichtet sie freiwillig. „Zu anstrengend“, sagt Annette Esser, die übrigens nur als „Achnes Kasulke“ im XXL-Format auf der Bühne erscheint.

Das Kostüm ist bewusst überzeichnet. „Mit der komischen Dicken mit Staubfänger und Kittelschürze kommen alle im Saal am besten klar. Männer und Frauen.“ Nach zehn Jahren im Kölner Karneval zählt sie zu den etablierten Kräften. Einfacher ist es im Laufe der Jahre nicht geworden.

Esser kritisiert: Karneval ist männerdominiert

„Machen wir uns nichts vor: Der Karneval ist Männerdominiert. Überzeugen kann eine Frau nur durch kontinuierlich gute Leistungen und harte Arbeit.  Es wäre schön, wenn sich mehr Literaten ein Herz fassen und uns Rednerinnen häufiger berücksichtigen würden.“ Die gelernte Gärtnerin startete als Karnevalistin beim Kolping-Karneval in ihrem Heimatort Kaldenkirchen.

Ihre Zeit als Tanzmariechen endete nach einem Bänderriss und Sprunggelenkverletzung. Danach ging Annette Esser in die Bütt und liefert seither als „Achnes Kasulke“ vom Niederrhein bis ins Rheinland saubere Leistungen ab. 

Marita Köllner, das „Fussich Julche“

Die Gäste des karnevalistischen Nachmittags in einer Bäckerei in der Darmstädter Straße dürften einigermaßen überrascht gewesen sein. Von der als „harmlose Irre“ angekündigten Rednerin hatten sie bislang noch nichts gehört. Der Nachwuchsbüttenstar war erst acht Jahre alt und trug gekonnt eine Rede von Hans Hachenberg (Doof Noss) vor.

Das ist 50 Jahre her. Das pfiffige Mädchen aus dem Vringsveedel ist noch immer im Karneval aktiv. Nicht mehr als Rednerin: Seit 30 Jahren kennt man Marita Köllner als „Fussich Julche“ und als Sängerin.

Als „harmlose Irre“ trat sie zunächst auf Schul- und Pfarrsitzungen auf. Mit elf Jahren stellte sie sich mit einer Rede bei der Karnevalistenvereinigung Kajuja vor. „Die fanden das gut. Geleitet wurde die Veranstaltung, bei der sich etliche Nachwuchsleute vorstellten, von Ludwig Sebus“, erinnert sich Marita Köllner.

Ein gehäkeltes Etwas auf dem Kopf

Sie hatte nicht nur ihre Rede sorgfältig zusammengebastelt, sondern auch ihr Erscheinungsbild typgerecht gestaltet. Auf dem Kopf trug sie ein gehäkeltes Etwas, das ursprünglich für eine Toilettenpapierrolle gedacht war. An einer Hundeleine zog sie einen Handfeger hinter sich her. Ungewöhnliche Aufmachungen waren damals wohl gerade hipp. Eine aufstrebende Newcomer-Band nannte sich „Ne Höhnerhoff“ und die Musiker gingen in Kostümen mit echten Hühnerfedern auf die Bühne. Das machten die „Höhner“ später nicht mehr.

Die junge Rednerin bekam von der Kajuja drei Paten zur Seite gestellt. Sie wurde unterstützt von Heri Blum (Ne ärme Deuvel), Gerd und Karl Jansen (Tünnes und Schäl) und Franz Unrein (Schütze Bumm). „Die haben mit mir meine Bühnenauftritte geübt, mir Tipps fürs Redenschreiben gegeben und erklärt, wie man sich und seine Type auf der Bühne gut präsentiert“, sagt Marita Köllner. Die Starthilfe hat gezündet.

20 Jahre lang war die Karnevalistin, die hauptberuflich bei der Stadt Köln arbeitete, als Rednerin erfolgreich. Nicht durchgängig als „harmlose Irre“. Als sie älter wurde, legte sie das Klopapiermützchen weg, nahm den Handfeger von der Leine und trat mit langem Jeansrock, Bluse und Schlapphut als „Emanzipierte Bützmamsell“ auf die Bühne.

Wirklich gebützt fühlte sie sich von den Literaten einiger Gesellschaften nicht. „Mein Eindruck: Als Kind lief alles relativ gut, als Jugendliche wurde es schwierig. Eine Frau als Rednerin in der Bütt wurde gar nicht gern gesehen.“

Eine Frau wurde nicht gern gesehen

Dass Marita von der „Emanzipierten Bützmamsell“ Abschied nahm und als „Fussich Julche“ wiedergeboren wurde, war Zufall. 1988 schrieb sie gemeinsam mit Henning Krautmacher von den Höhnern den Liedtext „Denn mir sin kölsche Mädcher“. Selber singen wollte sie den Titel eigentlich nicht, schon gar nicht auf Karnevalssitzungen.

Wieder waren drei gute Geister an ihrer Seite und überredeten sie, es als Sängerin zu versuchen. Das waren neben Krautmacher Karl-Heinz Brand und Nobby Campmann von den „Räubern“. Es waren weitsichtige Ratgeber, das Lied wurde ein Hit. Ein paar Jahre kombinierte Marita Köllner bei ihren Auftritten Rede und Lied, dann gab sie dem Gesang den Vorzug – bis heute.

Jutta Gersten, seit 66 Jahren im Kölner Karneval

Mittwoch, 10. Januar 1951: Jutta Gersten tritt beim „Hausfrauennachmittag im Zeichen des Kölner Karnevals“ in den Flora-Gaststätten auf. Sonntag, 22. Januar 2017: Jutta Gersten tritt auf der „Matinée der leisen kölschen Töne“ in der Flora auf. Dazwischen liegen 66 Jahre. Dieses närrische Jubiläum dürfte im Kölner Karneval einmalig sein. Selbst die große Grete Fluss beendete ihre Karriere nach „nur“ sechs Jahrzehnten auf der Bühne.

85 Jahre ist Jutta Gersten jetzt alt. Sie spielt Akkordeon, singt, redet und würzt ihren Vortrag mit Komik-Einlagen. „Heute würde man dazu Comedy sagen, ich bleibe bei Gags“, sagt die gebürtige Wuppertalerin. „Die Frau ist der Hammer. Zum Brüllen komisch. Granate“, Sven und Carina, beide 26, sind zu Gast beim „Jeckespill“ und erleben die agile Künstlerin zum ersten Mal. Die stellt sich als „Teenager in Spätlese“ vor und schon mit den ersten Sätzen wird klar, in welche Richtung der Vortrag geht.

„Ich grüße Sie und Ihre seelischen Belastungen“

„Hallo meine Damen. Ich grüße Sie und Ihre seelischen Belastungen, die Sie mitgebracht haben.“ Männer haben bei Jutta Gersten einen etwas schwierigen Stand. „Die nehme ich gern auf die Schippe und ziehe sie und ihre Eigenarten durch den Kakao. Da müssen die durch“, sagt Gersten und gibt eine kleine Kostprobe: „Die Männer haben nur zwei Dinge im Kopf. Das andere ist Geld.“

Ihre Art ist unnachahmlich. Die Künstlerin ist schwungvoll, energiegeladen, witzig und schlagfertig. Sie hat ein feines Gespür für die Stimmung im Saal, ihr Timing ist perfekt, sie weiß genau, wie sie ihr Publikum ansprechen muss. „Mein Programm ist ja immer ein wenig pikant. Aber nicht derb oder deftig. Ich gehe bis an die Kante, niemals drunter.“

„Immer jung und immer am Ball“ heißt eins ihrer Lieder. Das ist gleichsam ihr Lebensmotto. Mit zehn Jahren kam sie ans Konservatorium und lernte dort das Akkordeon-Spielen. „Ich habe dieses Instrument und die Musik von Beginn an geliebt.“ Dennoch hatte sie einen anderen Traumberuf. „Ich wollte Medizin studieren und Kinderärztin werden. Das ging wegen des Krieges und der Zeit danach nicht. Meinen Eltern fehlte das Geld.“

Mit 15 Jahren Berufsmusikerin

So wurde Jutta Gersten schon mit 15 Jahren Berufsmusikerin. Als Jugendliche machte sie mit ihrem Akkordeon Tanz- und Schlagermusik in Weinlokalen und Kaffeehäusern. „Stundenlohn drei Mark. Das war damals viel Geld. Ich spielte an einem Nachmittag fünf bis sechs Stunden. Dazu kamen noch Trinkgelder.“

Später ging sie in ganz Deutschland auf Tournee und trat in unzähligen Hörfunksendungen bei allen großen Radiostationen auf. Peter Frankenfeld und Hans Rosenthal engagierten sie für ihre Radio- und Fernsehsendungen. „Das waren alles Livesendungen. Playback ist mir bis zum heutigen Tag fremd.“ Als einziges Zugeständnis an den technischen Fortschritt gönnt sie sich und ihrem über 50 Jahre alten Akkordeon mittlerweile einen kleinen Verstärker.

Obwohl sie sich drolligerweise nie als Karnevalistin gesehen hat – „ich bin eine Kabarettistin volkstümlicher Art“ – sagt Jutta Gersten: „Meine Karriere verdanke ich dem Kölner Karneval. Ich bin ab 1951 regelmäßig auf Sitzungen aufgetreten, auch auf den großen Bühnen. Die Topleute wie Karl Berbuer, Jupp Schmitz und Jupp Schlösser haben mich sehr gut aufgenommen. Zu meinen Förderern gehörten vor allem Max Mauel, Toni Steingass und Ludwig Sebus. Ich war auf der Bühne vom Typ her so ein richtig lecker Mädchen.“

Otto Hofner engagierte das „Fräulein Gersten“ für die Premiere der „Lachenden Sporthalle“ am 27. Februar 1965. Eine Kopie des Plakates von damals bewahrt die Unterhaltungskünstlerin in ihrem privaten Archiv auf. „Interessant, wer da alles dabei war. Willy Millowitsch, Karl Schmitz-Grön, die Vier Botze, Horst Muys und Trude Herr. Das war eine tolle Zeit. Och, ich stelle gerade fest: Ich bin die letzte Überlebende. Doch keine Sorge: Ich bin fit und fröhlich.“

Gelegentlich werde sie gefragt, ob sie nicht so langsam ans Aufhören denke. „Die Frage finde ich seltsam. Ruhestand? Künstler kennen weder den Begriff noch den Zustand. Nicht das Alter ist entscheidend, sondern die Verfassung. Und so lange mich die Leute hören und sehen wollen, trete ich auf. Und bevor jemand auf falsche Gedanken kommt: Ich habe eine Rente, mit der ich klarkomme.“ Außerdem hatte sie unlängst ihre Premiere als Nachwuchs-Büttenrednerin. Ungeplant, aber erfolgreich. „Ich sollte in Porz auf einem Geburtstag auftreten und bei meinem Akkordeon klemmten die Bässe. Ist vorher noch nie passiert. Was tun? Ich habe tief Luft geholt, auf meine Lieder verzichtet und einfach nur meine Rede gehalten. War prima.“  

Gertie Ransohoff, die „Sensation“

Ganz anders als die stattliche Grete Fluss präsentierte sich Ende der 1920er Jahre die Büttenrednerin Gertie Ransohoff. Bei Marcus Leifeld („Der Kölner Karneval in der Zeit des Nationalsozialismus“) wird sie als „kleines, natürlich-heiteres und burschikoses kölsches Mädchen ...mit einem spitzbübischen Lächeln“ beschrieben.

Eine Autogrammkarte von 1930 zeigt eine schlanke junge Frau mit Karnevalsmütze auf dem Kopf und Sektglas in der Hand. Wann genau die am 24. März 1897 als Tochter eines Arztes in Köln geborene Künstlerin zum ersten Mal im Karneval aufgetreten ist, lässt sich nicht mehr feststellen.

Gertie Ransohoff arbeitete eng mit dem jüdischen Sänger, Büttenredner und Autor Hans Tobar zusammen. Sie trug von allem von ihm geschriebene Reden vor. Diese hatten Titel wie „Mittagessen bei der Familie Körnchen“ oder „Eine lustige, aber wahre Betrachtung über die Männer“.

Mit einem „Beifallsorkan“ bedachte „Sensation“ 

Sie muss sehr erfolgreich gewesen sein. Ihr Auftritt beim Damenkränzchen der „Großen Karnevalsgesellschaft von 1823“ am 29. Januar 1929 im Gürzenich wird in der „Rheinischen Zeitung“ als eine mit einem „Beifallsorkan“ bedachte „Sensation“ beschrieben. In der Session 1930/31 war sie in etlichen Radiosendungen zu hören und hatte zahlreiche Engagements.

Am 28. Januar 1931 war sie Gast beim Jubiläum 25 Jahre  „Prinzen-Garde“ und am 4. Februar 1931 beim Damenkomitee der „Altstädter“, beide Male im Gürzenich. Es war ihre letzte Session, in der folgenden trat sie nicht mehr auf. Die Gründe sind nicht bekannt. Womöglich deutete sich schon die folgende Tragödie an. Am 11. Mai 1932 nahm sich ihr Mann Paul das Leben. Der Textilhändler war jüdischen Glaubens, seine Frau  Christin. Die Hintergründe seines Freitods sollen, so Leifeld, „neben antisemitischen Agitationen,  die Eskalation von Gewalt zwischen SA und dem Rote Frontkämpferbund“ im Vorfeld der Reichstagswahlen 1932 gewesen sein.

Wenige Tage nach ihrem Mann nahm sich am 16. Mai 1932 auch Gertie Ransohoff das Leben.

Herren als Damen im Karneval

Neben Grete Fluss und Gertie Ransohoff bereicherten einige falsche Damen die Sitzungsprogramme. Männer in Frauenrollen waren Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre keine Seltenheit auf der Bühne.

In den Zeitschriften "Kölner Karnevals-Ulk" und "Lustige Kölner Zeitung" tauchen unter anderem folgende Typen auf: Matthias Wüst als "Et Fräulein Schrupp"; Wilhelm Hilken "Et Zöbbels Lis";

Heinz Paffenholz "Moderne Köchin", "Wirtin" und "En Blumenfrau us d'r Markthalle"; Gerhard Ebeler "Frau Dillendopp als Zemmervermeederin" und Barthel Schmitz "Gespräch mit einer Barfrau" und als "Moderne Frau Richmodis".

Trude Herr, die Legende

Der Einstieg von Trude Herr in den Karneval 1954 entsprang einer Notlage. Trude Herr war zu dem Zeitpunkt eine Schauspielerin in Wartestellung. Nach ihrem Engagement im Millowitsch-Theater ab 1947/48 gründete sie 1949 mit ihrem Freund und Kollegen Gustl Schellhardt die „Kölner Lustspielbühne“, mit der sie aber schon nach kurzer Zeit pleitegingen. Gustl wurde Nachtportier, Trude arbeitete als Bardame in dem Etablissement „Barbarina“, ein Szene-Lokal, das vor allem homosexuelle Männer besuchten.

Im Herbst 1954 geschah zwar kein Wunder, aber so etwas Ähnliches. Trude Herr stellte sich mit einer Büttenrede als „Wunderkind“ den Programmgestaltern der Karnevalssitzungen vor und wurde trotz einiger Skepsis engagiert. Eine Rednerin im Karneval war noch immer etwas Wundersames. Und dieses Exemplar wollte zwar auf die Bühne, aber gar nicht in die Bütt, sondern daneben stehen. „Das Wunderkind“ kam als naives, um nicht zu sagen, unbedarftes, dickes, kölsches Mädchen daher und erzählte seine Erlebnisse als Nachwuchsfilmstar. Es gab vor, alle Stars zwischen Hollywood und Venedig persönlich zu kennen. Die gemeinsam mit Schellhardt entwickelte Rede basierte auf einer raffinierten Naivität, die leicht Anrüchiges verdeckte. So behauptete das Filmsternchen, es habe die Filmgesellschaft gebeten, den Titel „Die Jungfrau von Orléans“ in „Das Mädchen von Orléans“ zu ändern. Die Leute im Vringsveedel würden sonst dumme Bemerkungen machen.

Gefeierter Karnevalsstar

Die 27 Jahre alte Trude Herr aus Kalk wurde zum gefeierten Karnevalsstar. Das Publikum liebte ihren Vortrag, der ebenso komisch wie gesellschaftskritisch war. In ihrer ersten Session hatte sie mehr als 50 Engagements. Weil sie keinen Führerschein besaß, fuhr ihre ältere Schwester Agathe sie von Saal zu Saal. Sie lenkte bereits während des Zweiten Weltkrieges schwere Lastwagen durchs Land und war nach 1945 eine der ersten Fahrlehrerinnen in Deutschland. War Agi verhindert, sprang häufig ein Freund als Chauffeur ein. Sein Name: Karl-Heinz Hargesheimer, der später als Fotograf unter dem Künstlernamen Chargesheimer Bedeutung erlangte.

Dem „Wunderkind“ folgte ein Jahr später „Das Besatzungskind“. Diesmal ließ Trude ihrer Rede über ein Kind, dessen Vater ein schwarzer Besatzungssoldat aus Amerika war, noch ein Lied folgen. Dessen Text war nicht komisch, sondern ging sehr zu Herzen. An einer Stelle heißt es: „Un ben ich och e schwaz Jeblöt, ich han trotzdem e kölsch Jemöt“. Mit dem „Besatzungskind“ gewann Trude Herr 1956 den „Wettstreit der rheinischen Nachwuchskarnevalisten“ des WDR. Es war ein grandioser Erfolg in der live übertragenen Veranstaltung. Der spätere Leiter der Lokalredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“, Horst Schubert, lobte den Auftritts Herrs überschwänglich.

„Was aus den Radios tönte, sprengte den landläufigen Begriff von einer karnevalistischen Büttenrede. Hier quollen so offensichtlich echte tragikomische Töne aus einem übervoll mit komödiantischem Blut angereicherten Herzen, dass der Wettbewerb eigentlich schon entschieden war, ehe er recht begonnen hatte ...“

Der Weg zu weiteren Erfolgen war geebnet. Die Künstlerin ließ sich von Hermann Ahrens als Manager vertreten und blieb ihm bis zu ihrem Tod 1991 verbunden. Als sie sich kennenlernten, war Ahrens Mitarbeiter der Rheinischen Künstleragentur Ludwig H. Weskamp. Dessen Ehefrau war Grete Fluss. Weskamp und Ahrens engagierten Trude für die Karnevals-Revuen im Kaiserhof, die von Silvester bis Aschermittwoch stattfanden. Daneben trat sie weiter in Sitzungen auf. Jedes Jahr mit einer neuen Type: Mal als beleibtes Rotkäppchen, mal als „Madame Wirtschaftswunder“, mal als „Gangsterbraut vom Eigelstein“. Das Publikum liebte sie, die Karnevals-Offiziellen nicht immer.

Und auch Trude liebte den organisierten Gesellschaftskarneval nicht. Im Laufe der Jahre wurde sie in ihren Reden immer frecher, manche Zeitgenossen sagen aggressiver. 1958 knirschte es kräftig im Karnevalsgebälk, ihre für die kommende Session angekündigte Rede als „Karnevalspräsidentengattin“ war nicht erwünscht. Trude schmollte und kehrte den Präsidenten samt Gattinnen den Rücken. Ganz brach sie nicht mit dem Karneval. Sie spielte weiter im „Kaiserhof“ und hatte 1964 bei der Prinzenproklamation einen umjubelten Auftritt als „Kölsche Cleopatra“.

„Eine Kanone im Karneval“

Später trat sie in der von der Gastspieldirektion Otto Hofner organisierten „Lachenden Sporthalle“ auf. Hofner sagte später: „Trude war eine Kanone im Karneval“. Zurück in die Bütt wollte sie aber nicht mehr. Die verschmähte Rede über die Karnevalspräsidentengattin kramte sie 1980 wieder hervor und verarbeitete sie in der Produktion „Drei Glas Kölsch“ für ihr „Theater im Vringsveedel“ in dem Einakter „Auftakt zur Session“, Untertitel: „Karnevalästerische Klamotteske“.

Die Autorinnen Anja Katzmarzik und Silke Palm („Frauen, Weiber, Karneval“) sehen darin eine endgültige Abrechnung von Trude Herr „mit dem Traditionskarneval und dem Kölner Klüngel“. Die Künstlerin lässt zum Schluss die Karnevalspräsidentengattin sagen: „Wahrheit hat mit dem Sitzungskarneval nix zu tun“. Von Trude Herr selbst sind die Sätze überliefert. „Dat mit der Heiterkeit nehmen wir ernst“ und „Das Festkomitee und sein Karneval sind humorlos“.

Grete Fluss, die Pionierin

Die Pionierin in der Bütt wäre nach heutigen Maßstäben ein Superstar mit eigenen Fernseh-Shows beziehungsweise unzähligen Followern auf Youtube. Eine über die Grenzen Kölns bekannte Künstlerin war Grete Fluss auch zu ihrer Zeit. Sie wurde 1892 in der Straße „Unter Krahnenbäumen“ (UKB) im Eigelstein-Viertel als Spross einer kinderreichen Familie geboren. Ihr Vater Anton war Polsterer, handelte nebenbei mit Kohlen und trat am Wochenende mit seiner Geige auf Kirmesplätzen auf.

Tochter Grete legte eine beispiellose Karriere hin. Sie trat 1907 als 15-Jährige zum ersten Mal im Karneval auf. Als Sängerin bei der „Greesberger Gesellschaft“ im „Fränkischen Hof“. Sie bekam, zunächst gemeinsam mit ihrem Bruder Toni und ihrer Schwester Julchen, ein Engagement im „Colosseum“ in der Schildergasse, später wechselte sie ans „Metropol-Theater“ in der Apostelnstraße. Gastspiele in Essen, Trier, Saarbrücken, Düsseldorf und Koblenz folgten. Die junge Frau aus „UKB“ war bereits eine erfahrene Bühnenkünstlerin, als sie ab 1910 zu einer festen Größe im Karneval avancierte. Grete Fluss war die erste Frau in der Bütt. Sie stellte verschiedene Typen dar, war unter anderem „das Schutzweib“, „die Straßenbahnschaffnerin“, „das Schulmädchen“ und „das Blitzmädel“, später auch „Seebär“ und „Finsterputzer“. Viele ihrer Texte schrieb Hubert Ebeler. Von ihm stammte 1910 auch ihr erstes Mundartlied „Ech ben et Flusse, Flusse Griet“.

Komisch, direkt, derb, schlagfertig und witzig

Der Journalist und Buchautor Gérard Schmidt („Kölsche Stars“) bezeichnete Grete Fluss als Multitalent, das singen, sprechen, tanzen, extemporieren und schauspielern konnte. Sie war komisch, direkt, derb, schlagfertig und witzig. „Wenn sie auftrat, dann war sie nicht einfach präsent, sondern füllte die Bühne, entfesselte körperlich und stimmlich ihr Temperament, riss mit vulkanischer Urkraft ihre Zuschauer mit sich.“

Diese Urkraft entlud sich nicht nur während der Session. In den 1920er und 1930er Jahren trat Fluss in zahlreichen Karnevals- und Herbstrevuen auf. Sie ging regelmäßig auf Tournee, trat in ganz Deutschland auf. Nur während der Karnevalszeit konnte sie kein noch so lukratives Angebot aus Köln weglocken. Viele namhafte Lieder- und Textautoren wie Hans Jonen oder Gerhard Ebeler arbeiteten ihr zu. Willi Ostermann komponierte 1930 die Revue „Die „Fastelovendspräsidentin“ im Theater „Groß-Köln“ mit ihr in der Hauptrolle und dem unvergessenen Lied „Och, wat wor dat fröher schön doch en Colonia“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte die Volkssängerin und Vortragskünstlerin nahtlos an ihre Karriere und Erfolge an. In der Revue „Kölner Leben“ ist sie als „Mutter Colonia“, in „Heidewitzka“ als der „Kölsche Bauer“ zu sehen. Bis 1956 wirkte sie in annähernd 30 Revuen mit. Am 6. Januar 1957 feierte Grete Fluss im Kaiserhof-Theater ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum und ihren 65. Geburtstag als „Petronell vun der Damenkapell“ in der Revue „Stell dich geck“ mit der Musik des Komponisten Gerhard Jussenhoven. Fünf Jahre später nahm sie mit einem Gastspiel in „Do sidder paff“ Abschied von der Bühne.

Überragende Bedeutung für den Kölner Karneval 

Am 25. Juli 1964 starb die große Kölner Komödiantin, die vier Mal verheiratet war, mit 72 Jahren in Unkel am Rhein. Ihre überragende Bedeutung für und im Kölner Karneval zeigt eine Begebenheit abseits der Theaterbühne. 1950 fuhr Grete Fluss als Agrippina mit dem Zusatz „Mutter der Stadt Colonia Claudia Agrippina“ im Rosenmontagszug mit. Er gilt als der erste nach dem Zweiten Weltkrieg, der Umzug ein Jahr zuvor firmierte unter der Bezeichnung „erweiterte Kappenfahrt“. Die Teilnahme der Künstlerin ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass erst seit 1979 auf Betreiben des damaligen Zugleiters Ralf Bernd Assenmacher Frauen offiziell im Rosenmontagszug mitfahren dürfen.  

Weniger bekannte Rednerinnen

In den 1950er, 60er und 70er Jahren gab es eine Handvoll Rednerinnen, die seinerzeit erfolgreich waren, deren Namen heute aber weitgehend vergessen sind. Die Quellenlage ist dürftig, es gibt kaum Informationen über sie.

Aus Hürth stammte die Rednerin Maria Porschen. Sie erreichte 1956 beim „Wettstreit der rheinischen Nachwuchskarnevalisten“ des WDR den zweiten Platz. „Sie war so gut, dass sie den Wettbewerb womöglich gewonnen hätte, wäre da nicht der überragende Vortrag von Trude Herr als ,Besatzungskind“ gewesen“, erzählt Brauchtumsforscher Reinold Louis.

Auch die heute 83 Jahre alte Margareta Schäning aus Hürth erinnert sich an Maria Porschen. „Sie war recht füllig und verarbeitete das auch in ihren Vorträgen.“ In einer im Radio übertragenen Rede beschrieb Porschen zum Beispiel einen Schiffsausflug von mehreren wohlbeleibten Damen zum Drachenfels. Dort hätten sich die berühmten Esel am Fuße des Bergs sofort versteckt, als sich die Reisegruppe näherte. Aus Mitleid hätten dann die Damen die Esel den Drachenfels hochgetragen. Die Tiere seien aber sehr undankbar gewesen und hätten auf dem Weg nach oben alle „Botterramme opjefresse“.

Margareta Schäning trat von 1984 bis 2003 selber in der Figur „Wilde Grete“ im Karneval auf.

Die Rednerin Lene Pelzer ist dem Sänger und Texter Ludwig Sebus noch ein Begriff. „Sie war in den 1950er Jahren sehr gefragt. Ihre Art war recht deftig, ihre Statur sehr kräftig.“ In den Heften „Lachende Bütt“ sind Reden von Lene Pelzer als „Et Stina“, „Miß Putzfrau“ und „Schwiegermutter immerfein“ enthalten.

Der Düsseldorfer Humorist Wolfgang Reich erwähnt in einem Text über Trude Herr, dass es in den 1950er Jahren die Komikerin Claire Schlichting gab, die „im Karneval tüchtig abräumte“. Die Wuppertalerin trat schon vor dem Krieg als „komische Alte“ auf. Ihr Humor wird als derb und direkt beschrieben. Sie hat zwei berühmte Enkel: die Schauspieler Ben und Meret Becker.

Carla Grassmann war mehr Sängerin als Rednerin. Sie hatte laut Ludwig Sebus eine ähnliche Art wie Grete Fluss. „Sie war resolut und hatte eine kräftige Stimme“, sagt Sebus. Wohl auch eine imposante Gestalt. In einem ihrer Lieder heißt es: „Ich bin nicht die Venus von Milo. Ich bin jetzt die Venus mit Kilo“. Sie trat zum Beispiel als „Dollarprinzessin“ und in der „Lachenden Sporthalle“ der Gastspieldirektion Otto Hofner auf.

Der Vortragskünstlerin Jutta Gersten ist die Kollegin lebhaft in Erinnerung geblieben. „Wir trafen uns häufig auf Veranstaltungen. Vor allem einen Satz von Carla habe ich nicht vergessen. Sie sagte vor ihrem Auftritt: ,Ich singe ne janze Hungk kapott“. Ich habe nie verstanden, was das genau heißen sollte, klang aber witzig.“

KStA abonnieren