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Köln-OssendorfNordafrikanische Häftlinge sorgen für Ärger in JVA

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Blick aus der Zelle einer JVA. (Symbolbild)

Köln – Gerade mal zwei Tage sitzt Mohammed (Name geändert) in einer Einzelzelle in der JVA Köln-Ossendorf, als er zu einem Plastikmesser greift und sich den Oberarm aufschneidet. Vollzugsbeamten eilen herbei, um ihn festzuhalten, ein Arzt stoppt die schwere Blutung. Dann bringen sie den jungen Marokkaner in den „besonders gesicherten Haftraum“, eine kahle Zelle mit Matratze, weichen Wänden und zwei Kameras, hier soll er sich beruhigen. Der Anlass für den Suizidversuch: Mohammed betätigte den Lichtruf und verlangte nach Tabak. Die Vollzugsbeamten machten ihm klar, dass er dafür einen Antrag hätte stellen müssen. Eine Stunde später verlor er die Nerven und verletzte sich mit dem Plastikbesteck.

Zwei bis drei Mal pro Woche kommt es in der JVA Köln zu Suizidversuchen und Selbstverletzungen von Häftlingen aus den Maghreb-Staaten, berichtet der stellvertretende Anstaltsleiter Wolfgang Schriever. „Wir sind manchmal fassungslos, dass die Insassen sich wegen absoluter Kleinigkeiten die Pulsadern aufschneiden. Wirklich umbringen wollen sie sich nicht. Sie glauben, dass sie damit ihre Forderungen durchsetzen können.“ Mal sind es Zigaretten, mal ein Fernseher oder der Wunsch, von der Einzel- in eine Gemeinschaftszelle verlegt zu werden. „Wir lassen uns nicht erpressen“, sagt Schriever, „niemand bekommt seinen Willen dadurch schneller“.

Weibliche Bedienstete als „Huren“ beschimpft

Nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht hat die Zahl der Häftlinge aus Marokko, Tunesien und Algerien deutlich zugenommen. Derzeit sitzen rund 830 Häftlinge aus dem Maghreb in NRW-Gefängnissen, das ist ein Zuwachs von 140 Prozent in den vergangenen drei Jahren. Mindestens ein Dutzend der 36 Anstalten in NRW sind überbelegt, die Bediensteten arbeiten am Limit. „Für unsere Mitarbeiter ist das eine große Belastung. Der Zeitaufwand, den wir speziell für diese Häftlinge aufbringen müssen, ist gewaltig“, sagt Schriever.

Im Kölner Knast stammen 68 der 700 Insassen aus dem Maghreb, knapp zehn Prozent. Und sie halten die Bediensteten auf Trab. Die vier besonders gesicherten Hafträume sind seitdem fast immer belegt. Bis zu vier Mitarbeiter sind nötig, um die um sich schlagenden Männer unter Kontrolle zu bringen. Manche wehren sich so heftig, dass sie Beamte verletzen. Weibliche Bedienstete würden bespuckt und als „Hure“ beschimpft, sagt Schriever. „Viele dieser Häftlinge lassen gegenüber Frauen jeden Respekt vermissen. Wir sagen ihnen dann: Du hast dir das falsche Land ausgesucht.“

Erst kürzlich ließ sich NRW-Justizminister Thomas Kutschaty  über die Situation in den Gefängnissen informieren. Danach ging er an die Öffentlichkeit und wurde deutlich:  Das Verhalten der nordafrikanischen Häftlinge sei häufig fordernd und beleidigend. „Diese Entwicklung im Strafvollzug ist neu.“ Ein Maßnahmenpaket soll die Lage nun verbessern.  79 zusätzliche Stellen sollen geschaffen werden, 26 davon sind für Lehrer vorgesehen. Es soll mehr Dolmetscher und Sprachkurse geben. Integrationsbeauftragte sollen helfen, Konflikte zwischen Gefangenen und Angestellten zu überwinden. JVA-Mitarbeiter sollen mit Tablets ausgestattet werden, damit sie Anweisungen zur Not sofort übersetzen können. Budget: 7,2 Millionen Euro jährlich.

Sporadische interkulturelle Trainings

Im Moment sieht die Realität eher nüchtern aus. Die Gefängnisse versuchen, die Lage mit sporadischen interkulturellen Trainings und Sprachkursen halbwegs in den Griff zu bekommen. Doch niemand kann einen Häftling zwingen, deutsch zu erlernen. Deshalb will man in Köln  neue Weg gehen. Um die Attraktivität der Kurse zu erhöhen, sollen die Häftlinge für die Teilnahme Geld bekommen, zwischen neun und zehn Euro täglich. „Das kann doch nicht der richtige Weg sein“, kritisiert Jens Kamieth, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag. „Wir müssen diesen Leuten mit aller Härte begegnen, die die Vollzugsgesetze bieten. Wir müssen zeigen, dass ein Gefängnisaufenthalt kein Spaß ist.“

Das Problem mit Kriminellen aus dem Maghreb sei hausgemacht, findet Uwe Nelle-Cornelsen, Leiter der Haftanstalt in Bielefeld-Brackwede. Viele dieser Menschen hätten  seit Jahren auf der Straße gelebt und seien durch Europa gereist. „Von der Willkommenskultur fühlten sie sich nach Deutschland gerufen.“ Häftlingswellen habe es immer wieder gegeben, damals nach dem Jugoslawienkrieg oder der EU-Osterweitung. „Wir haben im Vollzug schon viel erlebt, aber die Qualität ist sicher neu, gerade was die Respektlosigkeit angeht“, sagt der JVA-Leiter.

Konflikte zwischen Häftlingen

Mehrmals täglich muss er seine Haftanstalt in den blauen Alarmzustand versetzen. Alle anderen Häftlinge müssen dann umgehend zurück in ihre Zellen, der Spaziergang auf dem Hof oder andere Beschäftigungen, die den tristen Haftalltag auflockern, müssen unterbrochen werden. Das birgt Konfliktstoff. Erst kürzlich habe sich eine Gruppe von Russlanddeutschen die Maghreb-Häftlinge vorgeknöpft und ihnen deutlich gemacht, das Theater zu lassen.

Auch Nelle-Cornelsen beklagt einen Mangel an geeigneten Mitarbeitern. Händeringend suche man nach arabischsprachigen Sozialarbeitern, aber der „Markt ist abgefischt. Das ist schon ein riesiges Problem. Viele Kandidaten fühlen sich der Arbeit im Vollzug nicht gewachsen.“ Derzeit soll es einen tunesischen Sozialarbeiter geben, um den sich die Anstalten balgen. Auch die Kölner haben sich beworben. Wer den Zuschlag bekommt, ist noch unklar.

Bis sich die Lage verbessert, muss auch Nelle-Cornelsen mit körperlicher Disziplinierung arbeiten. Und die kann drastisch sein. Vor wenigen Wochen ist ein Maghreb-Häftling im besonders gesicherten Haftraum so lange gegen die Wand gelaufen, bis sein Kopf blutig war. Anschließend haben ihn die Beamten vier Tage lang auf einem Fesselbett fixiert. Für seine Notdurft trug er Windeln. „Das ist natürlich eine sehr heftige, wenn auch seltene Maßnahme. Aber sie hat Wirkung gezeigt.“       

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