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Kölner LexikonDer Herr der Straßennamen

Lesezeit 3 Minuten
Recherche mit Stadtplan: Rüdiger Schünemann-Steffen hat in seinem Werk mehr als 5500 Straßen aufgeführt.

Recherche mit Stadtplan: Rüdiger Schünemann-Steffen hat in seinem Werk mehr als 5500 Straßen aufgeführt.

Köln – Natürlich weiß Rüdiger Schünemann-Steffen auch, warum die Schildergasse Schildergasse heißt. Er kennt die vielen Anekdoten, die sich um die mittelalterlichen Straßennamen der Kölner Innenstadt ranken. Doch sie interessieren ihn nur am Rande. „Das können Sie alles in den gängigen Stadtführern nachlesen“, sagt der 58-Jährige.

Der gelernte Schriftsetzer ist Herausgeber des Kölner Straßennamen-Lexikons. Sämtliche Straßen sind darin mit Namenserklärung aufgeführt, mehr als 5500, außerdem Länge und Postleitzahl. Bei Straßen, die nach Personen benannt sind, hat Schünemann-Steffen nach Möglichkeit auch ein Foto aufgetrieben.

Seine Leidenschaft ist das Unbekannte. „Beim Willy-Brandt-Platz muss ich den Namen nicht erklären. Aber es gibt viele Namen, deren Herkunft man nicht so einfach nachvollziehen kann.“ Schünemann-Steffen will wissen, warum eine Straße so heißt, wie sie heißt, und dafür muss er nicht selten hinaus, bis dorthin, wohin es keinen Touristen verschlägt, in die Peripherie von Köln, um nach ersten Anhaltspunkten zu suchen. „Ich bin Jäger und Sammler“, sagt er.

In Pfarrbüros und auf Standesämtern sucht Schünemann-Steffen in Heiratsurkunden und Sterbebriefen, nach Angehörigen der Namensgeber, nach Landschaftsbezeichnungen oder längst untergegangenen Firmen. In seiner Wohnung in Holweide stapeln sich Ordner in Regalen bis unter die Zimmerdecke, nummeriert und alphabetisch geordnet. Beim Katasteramt ist er Dauergast: „Anfangs waren sie zurückhaltend, als ich die Akten einsehen wollte, aber jetzt kennen sie mich da schon sehr gut.“ Inzwischen schlagen die Mitarbeiter bei Bürgeranfragen sogar in seinem Lexikon nach.

Schünemann-Steffen lief bereits als Knirps durch Kölns Straßen und stellte sich die Geschichten hinter den Namen vor. Die Faszination hält bis heute an. „Ich wollte eine Antwort haben, wenn meine Kinder mich nach Straßennamen fragen“, sagt er. Was als Hobby anfing, ist mittlerweile fast zum Vollzeitjob geworden.

Vor einem Vierteljahrhundert beschloss der Experte, sein Wissen als Lexikon herauszugeben. Bis zur ersten Auflage im Jahr 2000 vergingen zehn Jahre, in denen er sich durch Berge von Ratsprotokollen, Urkunden und Briefen wühlte.

Manchmal gibt es bei seiner Arbeit Glücksmomente. Wenn sich auf einmal, nach Monaten, ein Rätsel löst, wenn sich plötzlich ein Weg auftut, der durch das Dickicht der Stadtgeschichte führt. Wenn sich eine Welt hinter den scheinbar unbekannten Namen auftut. Wie beim Merrillweg im Hahnwald, benannt nach Hervey Cotton Merrill, einem Bostoner Zahnarzt, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Köln lebte. Weitere Spuren, die auf Herkunft und Wirken des Arztes hinwiesen, führten ins Leere. Irgendwann stieß Schünemann-Steffen im Internet auf ein Bostoner Archiv. Dort gab es Unterlagen über den jungen Hervey, dazu ein Foto in einem alten Universitätsjahrbuch. Schünemann-Steffen strahlt vor lauter Forscherglück.

Abgeschlossen ist sein Werk nie, Köln wächst, neue Straßen kommen hinzu und neue Geschichten. Die dritte Auflage ist bereits fertig. Gedruckt ist sie noch nicht, dafür fehlt das Geld. Ein Verlag wollte das Lexikon kaufen und bot für die Rechte 1000 Euro. Schünemann-Steffen lehnte ab. Ihm missfällt der Gedanke, die Verantwortung aus der Hand zu geben. „Ich bin mein eigener Herr. Reich werde ich damit nicht, aber das will ich auch gar nicht.“

Der Straßenforscher sucht Geldgeber, die den Druck vorfinanzieren, er wirbt auf seiner Facebook-Seite für das Projekt. „Ich mache das ja nicht nur für mich, ich will das Wissen anderen zugänglich machen.“

Kritiker haben ihm vorgeworfen, bei seiner Arbeit nicht sorgfältig genug vorzugehen. „Ich bin kein Wissenschaftler und habe nicht den Anspruch, die gesamte Stadtgeschichte abzubilden“, sagt Schünemann-Steffen dazu. „Ich möchte entdecken und erforschen und lasse mich von meiner Neugier leiten.“ Und dann ist er so nett und erzählt doch noch, dass die Schildergasse Schildergasse heißt, weil dort im Mittelalter besonders viele Schilder- und Wappenmaler ansässig waren.

Nur für den Fall, dass es jemand noch nicht wusste.

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