Friedhof DecksteinEin verwunschener Kölner Park zum Gruseln

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Das Gesicht der großen Madonnen-Statue ist verschwunden – ob verwittert oder zerstört ist unklar.

Das Gesicht der großen Madonnen-Statue ist verschwunden – ob verwittert oder zerstört ist unklar.

  • Der Friedhof an der Decksteiner Straße ist eine wilde Grünanlage mit überwucherten, manchmal von Unbekannten beschädigten Gräbern und geheimnisvoll-schaurigem Ambiente.
  • Seit 100 Jahren wird dort niemand mehr begraben.

Lindenthal – Wenn der Geist des verstorbenen Michael Jackson einen Ort aufsuchen würde, um noch einmal zwischen Gräbern zu dem Song „Thriller“ einen Moonwalk aufzuführen, dann wäre der Friedhof an der Decksteiner Straße im Westen von Köln eine ziemlich perfekte Wahl: Mit seinen verwitterten Grabsteinen aus zerbröselndem Sandstein und umwucherten Kreuzen ist er ein verwunschener, nahezu vergessener Ort, mithin eine perfekte Kulisse für einen lässigen Zombietanz.

Tagsüber finden Besucher des stillgelegten Friedhofs, der heute unter Denkmalschutz und der Öffentlichkeit als Park zur Verfügung steht, ein lauschiges Plätzchen unter hohen Linden, wo sie Stille und Schatten genießen können.

Bunte Freundschaftsbändchen.

Bunte Freundschaftsbändchen.

Von dem abendlichen Treiben zeugen nur noch bunte Freundschaftsbändchen, die junge Besucher, die sich ab und zu dort treffen, um zu quatschen oder ein Bier zu trinken, an eine Bank geknotet haben.

Abgeschraubte und zerstörte Gedenktafeln sowie Statuen, denen Gliedmaßen fehlen, lassen zudem auf bierselige Zerstörungswut mancher Gäste schließen – leider.

Zerstörte Grabtafel.

Zerstörte Grabtafel.

Infos zum Besuch

Der alte Decksteiner Friedhof ist wie ein öffentlicher Park frei zugänglich. Von der Bushaltestelle „Deckstein“ der Linie 146 an der Gleueler Straße sind es nur wenige hundert Meter bis zum Eingang. Versteckt hinter dem Areal befindet sich der 1920 von der Gemeinde Adass Jeschurun erworbene jüdische Friedhof. Dieser ist aber nicht frei zugänglich. Erlaubnis erteilt die Synagogengemeinde Köln. (se)

Wenn Alexander Hess, Vorstandsmitglied des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege, die Spuren der Verwüstung sieht, gerät er ins Seufzen. Der Geograf führt gerne über den kleinen Friedhof und mahnt: „Mit jeder abmontierten Gedenktafel und jedem zerstörten Stein geht ein Stück Erinnerung verloren“.

Grabpflege betreibt hier schon lange niemand mehr. Der Friedhof ist bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr offiziell in Betrieb. Dabei waren erst knapp ein halbes Jahrhundert vorher dort die ersten Menschen beerdigt worden.

Die Geschichte des Friedhofs

Am 2. Mai 1869 fand die offizielle Eröffnung statt. Sie war lange überfällig. Denn der kleine Dorffriedhof am Krieler Dömchen platzte aus allen Nähten.

Die Bevölkerung in den Kölner Vororten wuchs rasant. „Zu Zeiten der Industrialisierung in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zogen viele Menschen in die Nähe der großen Städte. Gleichzeitig war die Kindersterblichkeit ziemlich groß“, sagt Alexander Hess.

Alexander Hess.

Alexander Hess.

Die Wahl eines Ausweichquartiers hatte sich so lange verzögert, bis es nicht mehr anders ging, als schnell eine Lösung zu finden. Dabei gab es natürlich auch einen zünftigen Streit.

In Lindenthal lebten nämlich einige evangelische Kölner, oft wohlhabendere Bürger als die Katholiken. „Viele Fabrikanten waren evangelisch“, sagt Alexander Hess. „Aus der Zeit stammt auch der Spruch in Köln: Sind Sie vermögend oder katholisch?“

Der Streit betraf die Aufteilung des neuen Friedhofs. Die evangelische Bevölkerung wollte nach Konfession geteilte Bereiche, die katholische Kirche ebenfalls, doch die evangelische Gemeinde und die Bezirksregierung waren dagegen. Sie entschieden schließlich, dass evangelische und katholische Gemeindemitglieder gemeinsam ihren letzten Frieden finden sollten.

„Das Grundstück erwarb die Gemeinde von einem Johann-Heinrich Stein-Herstatt, Bankier und Inhaber des Ritterguts Hohenlind, im Austausch gegen eine andere Fläche und eine Zahlung“, schildert Hess. Schnell wurde er bezogen, eine Mauer wurde nicht gebaut, lediglich eine Weißdornhecke sollte „lichtscheues Gesindel“ und Tiere fernhalten.

Eine Reihe hoher Grabsteine steht noch auf dem Friedhof.

Eine Reihe hoher Grabsteine steht noch auf dem Friedhof.

Zwei große Portale und zwei Hauptwege führen hinein, wobei der südlichere später angelegt wurde, weil auch der neue Friedhof schnell wieder zu klein wurde. „Er war für 6000 Einwohner angelegt“, sagt Hess. „1870 wurden dort 72 Menschen beerdigt, 1883 schon 222. Damals war die Bevölkerung der Gemeinde Kriel schon auf 6200 Menschen angewachsen. 1885 war der Friedhof belegt. Die Fläche wurde nach Süden erweitert.“

So schnell wie damals die Gräber aus dem Boden schossen, so wenige bekannte Namen schmücken die Grabsteine im wohlhabenden Kölner Westen. „Die Kölner Prominenz kaufte sich auf Melaten ein“, dem Friedhof der Stadt Köln, sagt Alexander Hess.

1888 wurden Lindenthal und die benachbarten Vororte nach Köln eingemeindet. Der Friedhof in Deckstein blieb so etwas wie ein Dorffriedhof. So erinnern die wenigen Grabsteine, die heute noch dort stehen, an wichtige Personen in einem kleinen Ort: eine Lehrerin, einen Polizisten und einen Pfarrer.

„Hier ruht in Gott Fräulein Sibilla Niehl“, steht auf einer Grabsäule, die inzwischen sehr viel älter ist als die Dame selbst wurde. „Es handelt sich um einen neugotischen Grabstein. Damals wurden die Steine oft mehrfach verwendet“, sagt Alexander Hess. Die am 16. März 1926 im Alter von 60 Jahren verstorbene Dame war laut Inschrift Hauptschullehrerin in Kriel. Ein wenig von ihrem Wesen hat sich dort niedergeschlagen.

„Betet für mich!“ steht fordernd auf dem Grabstein. Die Dame sei das gewesen, was man auf Kölsch eine „Quissel“ nennt, eine Betschwester, „ und sie war sehr forsch“, sagt Hess. „Sie hat sich ständig mit dem Schulleiter gezofft.“ Hess hat ein Bild von ihr. Dort sitzt sie in der Mitte des Lehrerkollegiums, eine kleine Person in schwarzem Kleid.

Jesus-Statue ohne Hände.

Jesus-Statue ohne Hände.

Fräulein Niehl ist auf dem Friedhof in bester Gesellschaft: In unmittelbarer Nähe zu ihrer letzten Ruhestätte befindet sich das Grab der Familie Ploog, den ehemaligen Besitzern des bekannten Stüttgenhofs in Junkersdorf. Bis dorthin erstreckte sich das Einzugsgebiet der Pfarrei Kriel, der Kirchbesuch, jede Beerdigung, Hochzeit und Taufe, bedeutete für die dort lebenden Menschen einen gewaltigen Fußmarsch.

Nicht ganz so weit hatte es die Bauernfamilie Heuser aus Sülz. „Es gab drei Brüder Heuser, die alle drei einen Bauernhof betrieben und bis ins hohe Alter recht fruchtbar waren“, erzählt Alexander Hess vor dem Grabmal der Familie. „Sie hatten viele Kinder. Wenn eine Ehefrau starb, hatten sie keine Skrupel, noch im hohen Alter eine sehr junge Frau zu heiraten.“

28 Jahre war Peter Heuser laut Grabstein älter als seine dort mit ihm beerdigte Ehefrau. Sie starb aber zwölf Jahre vor ihm am 12. September 1876 – auf tragische Weise, wie sich der Inschrift entnehmen lässt. „Hier ruht Anna Elise Heuser mit ihrem Kind im Arm.“ Möglicherweise sei sie bei der Geburt gestorben, mutmaßt Alexander Hess, damals eine häufige Todesursache.

„Wer treu gewirkt bis ihm die Kraft gebricht, und liebend stirbt, ach den vergisst man nicht“, heißt es auf dem Grabmal eines preußischen Beamten, das einige Meter weiter steht. Immerhin bis zum königlichen Polizeikommissar hatte er es der Inschrift zufolge gebracht. Wohl mit seiner Mutter Helene ist Ferdinand Joseph Sieberg beerdigt. Eine große Madonnenstatue auf dem Grabstein zeugt von dem Ansehen des Verstorbenen und seiner Familie. Mittlerweile fehlt der Statue das Gesicht, was der Figur ein einigermaßen schauriges Aussehen verleiht – das zum Friedhof passt.

Einige Meter neben dem Polizisten ruht der Pfarrer Henricus Josephus Tietz. In Oberkassel wurde er 1837 geboren, in Braunsfeld verstarb er 1896, gewirkt hat er in Kriel. Doch leider nehme sich die katholische Gemeinde seines Grabes nicht mehr an, sagt Hess. Zwei kleine Eiben wurden einst zur Zierde darauf gepflanzt. Heute sind es mächtige Bäume, die mit ihren Wurzeln das Grab samt Stein attackieren.

Tipps in der Umgebung

Das Gasthaus Decksteiner Mühle mit Biergarten liegt wenige Minuten Fußweg vom Friedhof entfernt. Es befindet sich an der Gleueler Straße 371.

Mit einem kurzen Fußmarsch entlang der Gleueler Straße über den Militärring gelangt man an den Decksteiner Weiher mit dem Ausflugslokal „Haus am See“ samt Minigolfplatz und Bootsverleih. (se)

Auch der Lindenthaler und Mitglied der Bürgergesellschaft Köln, Peter Geppert, der regelmäßig mit Hund Caruso eine Runde über den Friedhof dreht, bedauert die mangelnde Pflege des Areals, weiß aber seine Besonderheiten zu schätzen wie beispielsweise die Jesusstatue, der mittlerweile die Hände wie auch eine Tafel mit dem Namen des an ihrem Fuße beerdigten Kölners fehlen. Sie kehrt dem Friedhof den Rücken zu und blickt stolz über die Hecke in Richtung Norden. „So einen Jesus“, sagt Geppert, gibt es auf ganz Melaten nicht.“

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