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Kölnisches StadtmuseumÄltestes Auto aus Kölner Produktion stammt aus Sülz

Lesezeit 4 Minuten
Der Motorwagen mit den unbekannten Erstbesitzern.

Der Motorwagen mit den unbekannten Erstbesitzern.

  • Seit 2011 steht der Vis-a-Vis-Motorwagen, damals genau 110 Jahre alt, im Kölnischen Stadtmuseum.
  • Eine Familie entdeckte das mehr als 110 Jahre alte Auto in einer Scheune im Allgäu.

Sülz – Mit einem Hammer treibt Philip Mandrys vorsichtig eine abgeflachte Injektionsnadel in den Lack. Ein winziger Querschnitt aus Farbschichten bleibt in der Kanüle zurück – Material für das Mikroskop und der Schlüssel für zumindest eins von vielen Rätseln: War der Vis-a-Vis-Motorwagen von Anfang an knallrot? Oder hatte er vielleicht eine ganz andere Farbe?

Seit 2011 steht der Vis-a-Vis-Motorwagen, damals genau 110 Jahre alt, im Kölnischen Stadtmuseum. Die Stadt hatte ihn einem Händler aus Süddeutschland abgekauft.

Das rote Wägelchen mit einst sechs PS, zwei Gängen und einem Riemenantrieb, der nur dann funktionierte, wenn jemand auf dem hinteren Sitz Platz nahm, stammte von einer Familie, die es nach Jahrzehnte langem Dornröschenschlaf in einer Scheune im Allgäu entdeckt hatte. Für das Museum war es ein Sensationsfund, schließlich handelt es sich um das älteste bekannte Automobil aus Kölner Produktion.

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Hersteller war die „Kölner Motorwagen Fabrik GmbH“, eine kleine Hinterhof-Werkstatt in Sülz, die 1910 als Priamus-Automobilwerke in Zollstock neu gegründet wurde, aber nicht allzu lange durchhielt. Damals dominierten auch in Köln Pferdekutschen, Fahrräder und Straßenbahnen das Stadtbild: „Aber die Leute von der Motorwagen-Fabrik hatten eine Ahnung, dass das Auto die Zukunft ist“, so Museums-Direktor Mario Kramp. Vorerst blieb die motorisierte Fortbewegung jedoch das Privileg der Oberschicht. Die Sülzer Konstrukteure verlangten stolze 2800 Reichsmark für einen ihrer Motorwagen mit den kutschenartigen Aufbauten aus Holz – viel zu viel für einen Normalverdiener.

Nun soll der Vis-a-Vis-Motorwagen, der so heißt, weil sich die Passagiere gegenüber sitzen, restauriert werden. Vor einigen Tagen starteten Studenten und Mitarbeiter der Technischen Hochschule Köln mit chirurgischer Präzision ihre Voruntersuchungen. „Es geht nicht ums Aufpolieren“, sagt Philip Mandrys vom Institut für Fahrzeugtechnik, das wiederum eng mit dem Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften zusammenarbeitet. Vielmehr sei das Ziel, das Auto seinem Originalzustand näher zu bringen. Und dazu könnte auch die Freilegung der ursprünglichen Lackschicht gehören.

Köln gilt als Pionierstadt der Automobilität

Der erste Kraftwagen rappelte schon 1877 durch Kölns Straßen. Es war ein Dampfwagen, den Maschinenbaumeister Johann Adam Scherer konstruiert hatte.

Nicolaus August Otto hatte in Deutz knapp elf Jahre zuvor den ersten Viertakt-Motor erfunden. Einer der ersten Käufer eines Benz-Automobils war der Papiergroßhändler Georg Albach, der 1888 einen Viersitzer (3 PS) fuhr.

Elektro- und Hybridmotoren ist ein weiterer Bereich, in dem Köln um die Jahrhundertwende führend war. Das erste deutsche Elektromobil baute der Kölner Wagenbauer Bernhard Scheele im Jahr 1898, vor allem schwere Nutzfahrzeuge wurden hergestellt. Zum Beispiel für die Müllabfuhr oder die Feuerwehr. (cht)

Dass das jetzige Knallrot nachträglich aufgetragen wurde, ist für den Restaurator mit den weißen Handschuhen offensichtlich. Roter Sprühnebel am Lenkstock ist für den 36-Jährigen ein sicheres Indiz dafür. „Das weist auf den Einsatz von Sprühdosen oder Sprühpistolen hin, aber 1901 konnte man noch nicht sprühen.“ Mit Hilfe der Lackproben will Mandrys der Originalfarbe und ihrer Beschaffenheit auf die Schliche kommen. Er ist sich sicher, dass der originale Lack noch vorhanden ist – womöglich handelte es sich um einen dunkleren Rotton.

In den kommenden Monaten werden sich er und seine Mitstreiter intensiv mit der Geschichte und Technik des Kölner Ur-Autos auseinandersetzen. Philip Mandrys plant eine umfangreiche Dokumentation für das Museum und sein Institut. Dafür wird der Wagen derzeit mit einem Laser-Gerät abgescannt, das von allen Details 3-D-Aufnahmen macht und die genauen Maße erfasst.

Mandrys will unter anderem herausfinden, welche Teile überhaupt aus dem Baujahr 1901 stammen können. Beim Wassertank, der sich wie der Ölstutzen und der nicht mehr funktionstüchtige Einzylinder-Motor unter dem Vordersitz befindet, meldet er bereits Zweifel an: „Da ist die Frage, ob er nachträglich bearbeitet wurde.“ Auch die Lampen stammten wahrscheinlich von anderen Autos, ein altes Foto zeigt die stolzen Erstbesitzer auf dem Vis-a-Vis-Wagen, dessen Beleuchtung damals ganz anders aussah. Insgesamt ist Mandrys mit der Substanz des Scheunenfunds sehr zufrieden: „Der Wagen ist für sein Alter in einem guten Zustand und weitgehend vollständig“, sagt Mandrys.

Im Anschluss an seine Recherchen wird der Experte ein Konzept für die Restaurierung vorlegen. Dann werden er und die Museums-Verantwortlichen entscheiden, was genau an dem Vis-a-Vis-Wagen gemacht wird. „Er soll möglichst nah an das Original herankommen“, sagt Michael Euler-Schmidt, stellvertretender Direktor des Stadtmuseums. Wie teuer das Projekt wird, steht noch nicht fest. Aber Spender seien willkommen, so Direktor Kramp. Dass der Kölner Patentwagen eines Tages mal fährt, ist ihm und Euler-Schmidt nicht so wichtig. Die Besucher sollten in erster Linie sehen, wie der Motorwagen ursprünglich aussah. Philip Mandrys sieht es ein wenig anders. Er würde das knallrote Auto gern in Gang bringen – zumindest für eine kurze Zeit.

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