Mein VeedelLiebeskummer in Lindenthal

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Stephan Grünewald schätzt die beiden Seiten Lindenthals: die Nahversorgung auf der Dürener Straße wie die Ruhe an den Alleen entlang des Rautenstrauchkanals.

Stephan Grünewald schätzt die beiden Seiten Lindenthals: die Nahversorgung auf der Dürener Straße wie die Ruhe an den Alleen entlang des Rautenstrauchkanals.

Lindenthal – Liebeskummer, damit begann das Verhältnis zwischen Stephan Grünewald und Lindenthal. Vor 23 Jahren war das. Der gebürtige Mönchengladbacher, der heute Geschäftsführer des Kölner Rheingold-Instituts ist und als einer von Deutschlands bedeutendsten Gesellschaftsforschern gilt, lebte damals in einer Fernbeziehung. Seine Freundin war Sportstudentin in Kiel, er auf der Suche nach einem Studienplatz in Psychologie. Sie beschlossen, bewerben wir uns beide in Köln, ziehen zusammen.

Grünewald verwirklichte den Plan auch, die Freundin jedoch verliebte sich in einen anderen. „Also saß ich alleine da mit meinem Liebeskummer in einer fremden Stadt, hatte eine Kellerwohnung an der Gleueler Straße. Durch die Fenster konnte ich die Grasnarbe sehen und die Schulglocke hören“, erinnert er sich. Ans Grundstück grenzte die Katholische Grundschule an der Lindenburger Allee. „Die hatte so eine Rrrrrrh-Klingel“, beschreibt er, „gefolgt von Kindergebrüll. Das werde ich nie vergessen.“

Fünf-Zentner-Bombe im Sandkasten

Hat er auch nicht. Heute verbindet er die Schule mit schöneren Erlebnissen. Sein acht Jahre alter Sohn lernt zum Beispiel dort. Und der Junge ist nur das jüngste der vier Kinder – die anderen drei sind elf, 13 und 19 Jahre alt – die zu Grünewalds Patchwork-Familie mit Ehefrau Katharina gehören. Überhaupt – seine zweite Frau. Als Grünewalds größte Kölner Glücksgeschichte muss sie wohl gelten. Er hat sie hier kennen gelernt. Und wie sehr er sie mag, das wird auf dem Weg zur Schule deutlich. Grünewald läuft durch die Reihen der viergeschossigen Häuser, erzählt. Plötzlich hält er an, dreht sich zur Straße hin und winkt, die Lachfältchen rings um seine blau-grauen Augen kräuseln sich, er ruft einer Frau auf dem Fahrrad zu: „Katharina!“ Sie hatte dem Sohn Wassermelone in die große Pause gebracht.

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Seit zehn Jahren lebt der Psychologe mit seiner Familie an der Behringstraße. Ein Zuzug, der den Nachbarn erstmal eine Zwangsevakuierung bescherte. Und das kam so: „ Wir haben für die Kinder im Garten eine Sandkasten-Grube ausgehoben“, beschreibt Grünewald. „Dabei stieß meine Frau auf etwas Metallenes. Wir haben uns angeschaut und gefragt: Was ist das?“ Die herbeigerufenen Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes stellten fest: Es war eine Fünf-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Anwohner mussten sich im Apostelgymnasium in Sicherheit bringen. „Danach kannten uns alle“, scherzt Grünewald.

Zweigstelle in Kalifornien

Dieser neue Nachbar also, er hatte vor 26 Jahren mit Jens Lönneker Rheingold gegründet, ein Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen. Sie beschäftigen heute mit fünf weiteren Partnern 70 feste und etwa 100 freie Mitarbeiter im Institut, dem angeschlossenen Rheingold Salon sowie der Zweigstelle im kalifornischen San Francisco. In gut 5000 jeweils zweistündigen Interviews pro Jahr findet das Team die Befindlichkeiten der Deutschen heraus. Zu den Kunden gehören Konzerne wie Beiersdorf, Ferrero, Lorenz Bahlsen oder Ikea.

Ins Büro am Kaiser-Wilhelm-Ring fährt Grünewald oft mit dem Rad, 15 Minuten sind das von Lindenthal aus. Der Weg führt vorbei am Universitätsgebäude 211 an der Herbert-Lewin-Straße, dort lehrte Grünewalds Psychologie-Professor Wilhelm Salber („er hat mein Berufsleben nachhaltig beeinflusst“). Und dann verläuft die Strecke auch den Rautenstrauchkanal entlang, vorbei an der Schwanenfamilie, die mit ihren vier Jungen durch die Algen paddelt. Hier joggt Grünewald zwei- bis dreimal pro Woche. „Aber nur eine halbe Stunde“, betont er. „Ich bin kein ehrgeiziger Läufer, ich mache das bloß für den Rücken und bin jedes Mal froh, wenn es vorbei ist.“ Zeit nimmt er sich dagegen gern für die Besuche im Café Pascher an der Dürener Straße 165 b. „Hallo, Stephan“, heißt ihn Juniorchefin Katrin Röllgen willkommen. Gemeinsam überlegen sie, wie es war, als Grünewald zum ersten Mal mit seiner Familie einkehrte. „Meine Eltern waren auch dabei“, weiß er noch. „Wir wollten ihnen das neue Haus zeigen und haben das hier gefeiert.“ Seither ist die Rundbank mit den beiden 60er-Jahre-Flechtsesseln vorm Eingang zur Backstube der Stammplatz der Familie.

Der beste Kaffee von Köln

Ist ihm mal nach einem Cappuccino für zwischendurch, bestellt Grünewald den dagegen im Lindenkiosk an der Theresienstraße 72. „Hier gibt es einen der besten Kaffees von Köln“, schwärmt er, als er das begehbare Büdchen betritt. Er entdeckte es, als ihm zu Hause die Kaffeemaschine kaputtging. Ausgerechnet zu der Zeit, als er seinen aktuellen Bestseller „Die erschöpfte Gesellschaft“ (Campus) schrieb. „Da ging gar nichts mehr“, sagt er und schüttelt den Kopf. Aber zum Glück erledigt er ja samstags den Familieneinkauf, geht durch die Theresienstraße zum Supermarkt an der Dürener Straße und fand so den Kiosk.

Cappuccino für alle bestellt er. Und während Rafik Mihoub die Kaffee-Mühle mit den Espresso-Bohnen füllt, das Pulver in einer Faema-E-61-Legend aufbrüht, der verchromten Mutter der modernen Profi-Geräte, erzählt Grünewald, warum es nichts Kölscheres als solch eine Kaffeebud gebe. „Die Kölner“, veranschaulicht er, „leben mit zwei Seelen in ihrer Brust: Einerseits möchten sie in einer Metropole leben, dat Hätz vun der Welt sein.

Andererseits lieben sie ihre Gemütlichkeit, ihre Besuche in der Kaffeebud, die Zeit für ein Verzällcher zwischendurch.“ Während der Deutsche an sich der Betriebsamkeit hinterherlaufe, so hatte es Grünewald auch in seiner Betrachtung „Köln auf der Couch“ (Kiepenheuer & Witsch) beschrieben, schließe sich der Kölner aus dieser Hamsterradlogik einfach aus und genieße nebenbei noch sein Leben.

Leibgericht Sauerbraten

Der rheinischen Gemütlichkeit frönt Grünewald auch gern im Hotel Haus Schwan an der Dürener Straße 235. „Ich bin ein Freund deftiger Hausmannskost“, bekennt er. „Und ob Sie im Haus Schwan nun Bratwurst, Sauerbraten oder Möhrengemüse bestellen, das schmeckt alles lecker.“

Wenngleich der Sauerbraten sein Leibgericht sei. „Den bereite ich Heilig Abend für die Familie zu“, verrät er. Alle fünf Jahre führe das zwar zur Diskussion, ob es nicht doch mal eine andere Speise geben könnte. Aber am Ende bleibt es doch beim Sauerbraten. „Nach einem alten Familienrezept“, gibt Grünewald preis, „mit Rübenkraut und Printen in der Sauce.“ Überhaupt das Kochen – das gefalle ihm. Einmal die Woche stehe er daheim am Herd. „Da sieht man nach 30, 40 Minuten, was man geschaffen hat. Das ist im Arbeitsalltag ja nicht immer so.“

Rundum glücklich sei er inzwischen in seinem Veedel. Nur in einem Punkt, da werde er in seiner Wahlheimat Köln nie ankommen: im Fußball. Grünewald ist Fan von Borussia Mönchengladbach. Dauerkartenbesitzer. In zwei von drei Spielen löst er die auch ein, den Rest schaut er im Fernsehen. „Ein Spiel zu verpassen“, sagt er, „wäre die Höchststrafe.“ Sein Vater habe ihn da genauso geprägt, wie er seine Kinder. „Alle Borussia-Fans“, betont Grünewald, der Kopf des vielleicht größten Borussen-Fanclubs von Lindenthal.

www.stephangruenewald.de

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