Mein VeedelMit Kasalla um den Rathenauplatz

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Spaziergang im Regen: Kasalla-Sänger Bastian Campmann vor dem Museum, das früher seine Stammkneipe war.

Spaziergang im Regen: Kasalla-Sänger Bastian Campmann vor dem Museum, das früher seine Stammkneipe war.

Das ist mal übersichtlich. Sehr übersichtlich sogar. Und das hat nichts damit zu tun, dass es in Strömen regnet, als uns Basti Campmann sein Viertel zeigen will. Die dicken Tropfen eines warmen Frühjahrsregens platschen auf den Rathenauplatz. Doch selbst wenn es draußen 30 Grad und Sonne satt hätte, würden wir nur einmal ums Carrée laufen. So sitzen wir mit dem Sänger von Kasalla, der kölschen Band, die sich in den vergangenen zwei Jahren aus dem Nichts in die Herzen ihrer Heimatstadt gespielt hat, im musikerfreundlichen Café Feynsinn, weil es hier bis mindestens 15 Uhr Frühstück gibt, und warten auf die blaue Lücke am Himmel. Zeit, um über den Platz und das Viertel zu reden.

Seit sieben Jahren wohnt Campmann jetzt hier, davor hat er ein paar Jahre auf der anderen Seite der Roonstraße verbracht. Der Rathenauplatz sei einfach einzigartig im „Flickenteppich Köln“; extrem klein, übersichtlich, eine Oase mitten in der Stadt und dennoch nicht „durchgentrifiziert“ und unbezahlbar wie die Südstadt oder das Belgische Viertel. Obwohl die Mieten je nach Lage auch in diesem Veedel nicht so nebenher zu bezahlen sind. „Das wird hier auch irgendwann kommen.“

Was den Sänger immer wieder wundert. Obwohl die Zülpicher Straße von seiner Haustüre keine 200 Meter entfernt ist, „gibt es hier so gut wie kein Nachtleben“. Das Kwartier Latäng zählt Campmann nicht mehr zu seinem Viertel, einen Abstecher dorthin werden wir später trotzdem machen, „aber das hat mehr mit meiner Vergangenheit und Kasalla zu tun“. Wenn es überhaupt einen Ansatz von Nachtleben im Rathenauviertel gibt, dann ist es das KGB, das ehemalige Hotellux, dessen Haus-Spezialität eine Mischung von sieben Wodka-Sorten in einem Glas für 7,90 Euro sind. KGB – keiner geht breiter, heißt es warnend auf der Getränkekarte und das scheint auch zu stimmen. Gut, dass wir das an diesem verregneten Nachmittag um halb vier nicht austesten können. Da hat das KGB noch geschlossen.

Blumensträuße wie selbstgepflückt

Starten wir also bei Campmanns Lieblings-Blumenladen, der ihm vor allem deshalb so gut gefällt, „weil ich keine Ahnung von den ganzen Salatsorten habe und das hier nicht peinlich ist.“ „Où j’ai grandi“ – „Wo ich aufwuchs“ heißt das Geschäft von Isabelle Niehsen (31). Die junge Belgierin hat es im September 2011 eröffnet. Sie unterscheidet sich von den Floristen in der Nachbarschaft durch ihr Konzept. Ihre Sträuße bestehen grundsätzlich aus sehr viel Grün und sehen immer ein wenig wie selbstgepflückt aus. Für jemanden, der eine Hortensie nur schwer von einer Artischocke unterscheiden kann, ist das von Vorteil. Und für seine Liebste allemal.

Wir wenden uns nach rechts. Der Regen hat nachgelassen. Beim Blick auf die sattgrünen alten Bäume erzählt uns Blumenfreund Basti („Mit der Kurzform kann ich gut leben“), dass er vor ein paar Tagen seinen Mitgliedsantrag bei der Bürgergemeinschaft Rathenauplatz abgegeben und sich vorgenommen hat, die nächste Versammlung zu besuchen. Was man von einem Rockmusiker nicht unbedingt erwarten würde. Campmann hat damit kein Problem. „Ich finde es gut, wie sich das Viertel um den Platz kümmert. Als ich hergezogen bin, war er doch in einem ziemlich verwahrlosten Zustand.“ Könnte durchaus sein, dass er sogar selbst Hand anlegt. Arbeit für Freiwillige gibt es hier zur Genüge.

Wohlfühlfaktor macht Wegziehen unmöglich

Biergarten, Spielflächen, Bücherschrank und die vielen Boule-Freunde, wenn es nicht gerade regnet, das ist dieser Wohlfühlfaktor, der einem das Wegziehen nahezu unmöglich macht. „Natürlich haben wir auch schon darüber geredet. Was ist, wenn man mal eine Familie hat? Könnte man dann noch hier wohnen? Mit Kindern mitten in der Stadt?“ Durchaus, findet Campmann. Er habe kein Problem damit, Kinder in der Stadt großzuziehen. Womit die Chance auf eine irgendwann einmal freiwerdende Altbau-Wohnung im Viertel deutlich gesunken sind.

Mit der Weinstube Bacchus verhält es sich ähnlich wie mit dem Blumenladen. Nein. Er sei auch kein Weinkenner, aber trotzdem ein Wein-Genießer und deshalb hier besonders gut aufgehoben. „Das ist schon so eine Art Stammlokal geworden. Hier fühle ich mich wie zu Hause. Die haben einen marokkanischen Koch. Das Essen ist ausgezeichnet. Und dann zum Schluss die Apfeltarte mit Vanilleeis. Die ist unfassbar gut.“

Jazz im Kiosk

So langsam wird klar, warum es wenig Sinn hat, die Viertelgrenzen zu überschreiten. Zumal auch das obligatorische Büdchen, ohne das ein Kölner in seinem Viertel niemals überleben könnte, auch noch etwas Besonderes ist. Jean, der Kameruner, betreibt das Leckerschmecker im Alleingang, weshalb es eines der wenigen in Köln ist, das eine Mittagspause einlegt. Jean hockt zumeist hinter der Kasse, auf einem alten Ledersofa. Für Jazzfreunde lohnt es sich immer, mal hereinzuhören, denn Jean beschallt seinen Kiosk mit Auszügen seiner privaten Jazz-Sammlung.

Das wirkt sehr heimelig, doch verkauft Jean deshalb noch kein einziges Kölsch mehr. Umzingelt von Supermärkten, die mindestens bis 22 Uhr geöffnet haben, würde er im Überlebenskampf am liebsten noch eine kleine Bar betreiben. Aber eine Konzession für Alkoholausschank im Rathenauviertel zu bekommen, ist auch angesichts der Erfahrungen, die die Stadt mit dem Partyvolk am Brüsseler Platz gemacht hat, unmöglich. Ein paar Mal habe er es versucht, sagt Jean. Ohne jede Chance. So kann es ja nichts werden, mit Nachtleben auf dem Rathenauplatz.

Die Freunde aus dem Museum

Bevor wir uns dorthin begeben, wo nachts das Leben pulsiert, schaut Bastian Campmann kurz bei Axel Gerhards vorbei, der im Verein mit dem Bacchus-Besitzer aus dem Kasalla-Frontmann eines Tages wohl doch noch einen Weinkenner machen wird. An der Ecke Roonstraße betreibt Gerhards seit 25 Jahren seine kleine Weinhandlung. Mit besten Empfehlungen, die „immer gestimmt haben“.

Wir lassen die Synagoge linker Hand liegen und wenden uns der Zülpicher Straße zu. „Es wäre falsch, sie wegzulassen. Sie hat doch viel mit meinem Leben zu tun.“ Es geht vorbei an der Grillstation 2002, „der besten Gyros-Bude der Stadt, wenn man nachts noch schnell mal was essen muss“. Warum der griechische Imbiss auf der Roonstraße 25 mit dem großen Poster von König Otto Rehagel „2002“ heißt, erschließt sich dem ehemaligen Sport-Journalisten Campmann nicht. „Die Griechen sind doch 2004 Europameister geworden.“ Bevor wir uns darüber den Kopf zerbrechen, müssen wir zumindest am Museum halten. Jener Kneipe, „in der ich im Laufe der Jahre wohl 60 Prozent meiner Freunde kennengelernt habe“.

Schräg gegenüber, am MTC, wird Campmann endgültig von Kasalla eingeholt. „Der Gig hier war unser Durchbruch. Das war am 5. September 2011.“ Dass er die Zülpicher Straße trotz dieses für Kasalla geschichtsträchtigen Ortes nicht mehr zu seinem Viertel zählen mag, hat andere Gründe. „Die Straße hat ihren Charakter einfach zu stark verändert. Sie hat leider immer mehr Ring-Charakter. Wie am Ballermann. Das ist nicht mein Ding.“

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