Mein VeedelMit Schmickler über seine „Lebensader“

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Er nennt die Merowingerstraße "meine Lebensader". Wilfried Schmickler vermisst in seinem Veedel lediglich einen coolen Plattenladen.

Er nennt die Merowingerstraße "meine Lebensader". Wilfried Schmickler vermisst in seinem Veedel lediglich einen coolen Plattenladen.

Südstadt – Wer unbeobachtet durch die Südstadt spazieren will, der kann eine Sonnenbrille aufsetzen oder die Mütze tief ins Gesicht ziehen. Aber er darf auf keinen Fall an der Seite von Wilfried Schmickler durch Metzer- oder Merowinger Straße laufen. Der Mann genießt einen noch höheren Bekanntheitsgrad als der redensartliche bunte Hund; obwohl er nicht unbedingt das Pendant zum Welpen darstellt, dem jeder mit einem Ausruf des Entzückens den Kopf streicheln möchte.

Aber mal kurz umarmen, Schulter klopfen, Schwätzchen halten oder von der anderen Straßenseite herüberwinken, das tun sie alle, wenn sie den Kölner Kabarettisten sehen. "Hallo, Herr Direktor!" - Hallo, Herr Konsul!", grüßt Schmickler zurück. "Ach, der hat noch gar nicht aufgebaut, der faule Sack", stellt der Wortakrobat mit Blick auf den Second-Hand-Buchhändler scherzhaft fest.

Kaum Lichter in den Fenstern

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Wir beginnen unseren Spaziergang am "Filos", wo Schmickler gern Kaffee trinkt und dabei rüber zur "Comedia Colonia" schaut, die für ihn natürlich eine ganz besondere Spielstätte ist. "Dieses Jahr ist irgendwie komisch", stellt er fest. "Dass gerade ich mich nach weihnachtlicher Besinnlichkeit sehne - so weit ist es gekommen! Die Stadt sieht überhaupt nicht weihnachtlich aus. Kaum Lichter in den Fenstern. Es ist alles so lieblos. Gucken Sie mal da hinten, dat is doch knüselich", sagt er und zeigt auf ein Haus in der Merowingerstraße. "Dies ist meine Lebensader", stellt er fest, während er eine neue Zigarette aus der Schachtel nestelt.

Wir marschieren am "Schuh-Anzieher" vorbei, wo der 57-Jährige unbedingt auf das Schild "Vorsicht krabbelnde Kinder hinter der Tür" hinweisen möchte. Dann nähern wir uns "dem besten Computerladen der Stadt". In Höhe des Geschäfts "Scor" sollte die Maria-Hilf-Straße besser "Müller-Hilf-Straße" heißen, findet der Kabarettist, der dem Inhaber Harald Müller geradezu überirdische Fähigkeiten nachsagt, was die Reparatur von Rechner-Elementen betrifft.

Schmickler hält nicht nur diesem Mann, sondern praktisch jedem Einzelhändler in seinem Veedel die Treue. Erwin Prummern etwa. In dem alt eingesessenen Geschäft "Traumfarben" bekommt er "alles, was man zum Schreiben braucht". Heute sind es Dom-Karten. Wäre Schmickler noch Kind, würden wir als nächstes bei "Hampelmann" einkehren, einem Spielwarengeschäft, das er wunderbar findet.

Nächste Station ist "Glücks-Günther", der seinen Namen der unumstößlichen Tatsache verdanke, "dass in dieser Kiosk-Postfiliale jedes Rubbellos gewinnt!" Hier holt Schmickler jeden Morgen seine Tageszeitungen. Ein paar Schritte weiter ist seine "zentrale Strumpfversorgungsanstalt", ein sympathischer Eckladen, den Dorothee Schmuckat führt. Auch hier kommt Schmickler, selbst wenn er nichts kauft, ohne ein paar freundliche Worte kaum vorbei; womit bewiesen wäre: Er ist beileibe nicht der Berufscholeriker, zu dem er aufgrund seiner Schlussnummer in den "Mitternachtsspitzen" abgestempelt wurde.

Er kann die Freundlichkeit in Person sein - leise und charmant. Im selben Maße, wie er auf der Bühne den Wörter speienden Kotzbrocken geben kann, wirkt er jenseits des Scheinwerferlichts angenehm unaufgedreht und zurückgenommen. Manchmal auch wie jemand, den der eigene Erfolg am meisten überrascht. "Vor zwei, drei Jahren, als die ganzen Preise kamen, dachte ich: «Na gut, jetzt biste halt dran. Die haben sonst keinen mehr»." Auf den Trichter, dass er das verdient haben könnte, kam er gar nicht.

Meister sind in seinen Augen andere. Georg Schramm zum Beispiel. Schmickler verehrt Hüsch, Belz und Degenhardt. "Es gibt Leute, die sind so großartig, da denkt man: Scheiße, wie machen die das?" - Gegenfrage: Wie macht er das? Wie kriegt er diese Sätze hin, die in ihrem Tempo jeden ICE lahm erscheinen lassen?

"Das ist einfach Übung. Handwerkliche Routinesache. Das hat man irgendwann drauf." Wichtig sei, ein Gefühl für Sprache zu haben, sagt Schmickler, für den "das Schreiben immer der schwierigere Vorgang" war. Ein sprachliches Talent habe er schon früh, nämlich in der Schule, entdeckt. "Ich hatte einen guten, engagierten Deutschlehrer." Durch dessen Unterricht habe er sein Verhältnis zur Literatur entwickelt. Er sei zwar kein Freund der dicken Wälzer. Aber er mag alles, was mit Sprache zu tun hat. Lyrik. Songs. Dabei denkt er an die ersten Bläck-Fööss-Alben. "Grandios! Was hatten die für tolle Lieder! Oder die frühen von BAP. Oder Lindenberg. Oder Köster! Der ist für mich eh der Größte. Wie der mit Sprache umgeht, da bin ich ein bisschen neidisch."

Seit etwa 20 Jahren lebt Schmickler nun schon in Chlodwigplatz-Nähe. Gebürtig stammt er aus Hitdorf, "wo die Fähre ist und wo die Leute immer ins Wasser fallen, weil das Navi sagt: «Fahren Sie geradeaus!»"

Ein anderes Veedel als die Südstadt ist für ihn nicht vorstellbar, obwohl er die Entwicklung vor der Haustür auch kritisch betrachtet. Es gebe kaum eine Traditionsgaststätte mehr mit kleiner Karte, wo kölsche Normalbürger verkehren. Schmickler erwähnt das "Metzer Eck", wo früher die "Kölschen Sonnenkinder" waren. Jetzt sehe man fast nur noch diese Läden, in denen Latte Macchiato getrunken werde. Verschwunden seien nicht nur alte Kneipen, sondern auch die Menschen. "Überall, wo jetzt ein Gerüst vorm Haus steht, da haben vorher einfache Leute gewohnt. Jetzt wird kernsaniert." Danach koste die Wohnung "zwölf Euro pro Quadratmeter und aufwärts", was sich kaum einer leisten könne.

Das Handy klingelt

Wir marschieren weiter zu seiner "großartigen Buchhandlung mit dem wunderbaren Chef!" Bei selbigem, Hans Schumandl, bestellt Schmickler den Debütroman von Steve Earle, "I´ll never get out of this world alive". Anschließend schaut er im "Blumengarten" herein, frotzelt ein wenig mit dessen Inhaber Mathias Thevissen und stattet alsdann seiner Friseurin Petra in der "Schnittstelle" einen Besuch ab. Und sei es nur, um deren Spritzgebäck "mit Schoko auf beiden Seiten" zu loben.

Wilfried Schmickler auf der Schildergasse anzutreffen, ist in etwa so wahrscheinlich wie dem Papst am Strand von El Arenal zu begegnen. "Hier gibt es doch alles! Alles, außer einem coolen Plattenladen", meint der Kabarettist, der nie auf die Idee käme, Ware im Internet zu bestellen.

Sein Handy klingelt. Am anderen Ende ist seine Frau. "Die hat gerade meine Lieblingshose, die am Knie kaputt ist. Damit geht die jetzt ins Geschäft und sagt: Die gleiche bitte noch mal!" Is´ klar. Ein leuchtend orangefarbenes Jacket, wie es Marius Müller-Westernhagen vor Jahren bei seinem Auftritt im damaligen Müngersdorfer Stadion trug, wäre an Schmickler schwer vorstellbar. Sein schwarzes Sakko geht zur Bühne, bis es bricht. "Getragene Eleganz" nennt er das, was andere als zu Tode gebügelt bezeichnen würden. Schmickler lacht. "Wenn ich in die Ärmel gehe, verheddere ich mich schon mal in der Naht", sagt er, wo es wahrscheinlich "Nahtbruchstelle" hätte heißen müssen. "Andererseits kann man auch kein Kabarett machen mit Armani auf der Bühne. Auch nicht in Alltagskleidung. Man muss dem Zuschauer schon zeigen, dass man Respekt hat vor der Situation." Angesprochen auf die Tanz-Einlagen in seinem Programm, die wunderbar mit dem Vintage-Look seines Outfits harmonieren, berichtet Schmickler von der Reaktion eines Zuschauers: "Super Abend, aber der sollte nicht tanzen!" - "Stimmt, wenn der alte Mann da mit seinem Übergewicht ein paar Quick-Step-Schritte macht...", resümiert der früher mal fast schlaksige Schmickler, ohne den Satz zu beenden.

"Wenn man gut isst und gut trinkt, dann nimmt man zu. Es sei denn, man ist so ein Stoffwechselwunder. Aber wenn ich abends noch mal an die kalte Nudelpfanne gehe... am liebsten die Variante mit Gorgonzola, der diese Pralinen bildet...... Du willst natürlich nur eine Gabel... und platsch ist die Pfanne leer!"

Wilfried Schmickler (57), aufgewachsen in Hitdorf, steht seit den 70er Jahren auf der Bühne. Bekannt wurde er Ende der 80er Jahre beim 3Gestirn Köln 1, als Nachfolger von Jürgen Becker. Mit Becker tritt er auch seit 1992 in den Mitternachtsspitzen auf. Zudem ist er seit vielen Jahren mit seinen Solotourneen erfolgreich. Sein aktuelles Programm heißt "Weiter". Der Kabarettist wurde mit allen renommierten Kleinkunstpreisen ausgezeichnet.

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