„Die Stadt von morgen“Projekt des Kölner Schauspiels endet mit Festival

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Mülheim – Ein Liegestuhl im Sand, eine Hängematte zwischen zwei Bäumen, am Brückenpfeiler klettert eine Rankpflanze hoch – eine von vielen schönen Visionen für einen unwirtlichen Platz, aus dem man was machen könnte. Auf der Wunschliste stehen eine Kletterwand, eine Konzertbühne oder Hochbeete mit Gemüse, Kräutern und Obstbäumen für jedermann. Drei Jugendliche aus der Mülheimer Theatergruppe „Import Export Kollektiv“ plädierten unter anderem für ein Schwimmbad „mit dem geilsten Blick auf Köln“. Ein anderer Wunsch machte deutlich, dass gar nicht viel nötig ist, um aus einem wenig einladenden Schotterplatz unter und neben einer lauten Brücke einen attraktiven Treffpunkt zu machen: „Lasst einfach die blauen Paletten liegen.“

Mit diesen angemalten Holzpaletten hatte das Schauspiel Köln vier Tage lang den Platz zwischen Rheinufer und der Rampe der Mülheimer Brücke gestaltet: Tische, eine Art Speakers Corner, eine Tribüne oder einen Verschlag für Hühner, deren Eier beim Brunch unter der Brücke verspeist wurden. Mit dem Festival „Die Stadt von morgen“ endete das zweijährige Projekt der städtischen Theatermacher, mit dem sie sich in die Stadtentwicklungspolitik eingemischt haben und gleichzeitig gezeigt haben, dass Stadttheater mehr sein kann, als die Inszenierung von Stücken in festen Spielräumen.

Das nicht enden wollende „Interim“ im Mülheimer Carlswerk hat das Schauspielhaus dazu gebracht, sich sehr intensiv mit seiner Umgebung zu beschäftigen und diese mit eigenen Aktivitäten zu beeinflussen – vom Kulturfest „Birlikte“ über den „Carlsgarten“ und Führungen durchs Viertel bis hin zu diesem Festival unter der Brücke mit Diskussionsrunden, einer Mülheimer „Wunderkammer“ oder einer „Einweg-Oper“, die „eine große Erzählung über den vielstimmigen Möglichkeitsraum Stadt“ versprach. Mit einem zur „Raumfähre“ umgebauten Rheinschiff wurde ein neues Mobilitätsangebot in der staugeplagten Stadt ausprobiert.

Bundesweit einmaliges Konstrukt

Mülheim sei zum „Labor“ geworden, um die Zukunftsthemen der europäischen Großstadt zu besprechen, sagt die Regisseurin Eva Maria Baumeister, die das Projekt zusammen mit Isabel Finkenberger betreute. Die Stadtplanerin war zwei Jahre beim Schauspiel angestellt – auch das ein wahrscheinlich bundesweit einmaliges Konstrukt. Sich in die Stadtentwicklungspolitik einzumischen sei in Köln mehr als nur eine Rechtfertigung, weil man viel Steuergeld für die Kunst bekomme. Es gehe vielmehr um eine klare Haltung, so die Projektleiterinnen. „Raus aus der Komfortzone“ war eine Podiumsdiskussion programmatisch überschrieben.

Um es nicht bei akademischen Debatten zu belassen, sollten an diesem Wochenende ganz konkrete Vorschläge für die Wiederentdeckung und Belebung eines historischen Ortes gemacht werden. Der Platz unter und neben der Brücke könnte eine „Agora“ werden. Der Begriff stammt aus dem antiken Griechenland: Auf einem zentralen Versammlungs-, Fest- und Marktplatz treffen sich die Anwohner, um über ihre gemeinsamen Interessen zu verhandeln. Dass Kunst und Kultur helfen können, einen solchen Ort zu beleben, ist unstrittig. Leider zeigte sich am Wochenende aber auch, dass es einen noch wichtigeren Faktor gibt, wenn es darum geht, viele zum Mitmachen zu bewegen: Das Wetter. So kam eine wunderbare Bühne über dem Rhein genauso wenig zur angemessenen Geltung wie der lange Tisch, an dem man gemeinsam essen und diskutieren wollte.

Öffentlicher Raum muss nicht durchdesignt sein

Trotzdem gelang es, einige inspirierende Impulse für die zukünftige Planung zu setzen. Neben der Sammlung ganz konkreter Ideen von einer Open-Air-Shisha-Bar bis hin zu einem Fahrrad-Aufzug neben der Brückenrampe war das nicht zuletzt der Hinweis, dass nicht jeder öffentliche Freiraum durchdesignt sein muss. „Die Stadt braucht Räume, die nicht zu Ende geplant sind“, sprach Paul Bacher vom Mülheimer Kulturbunker vielen aus dem Herzen. „Sonst bleiben keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr.“

Die Leiterin des städtischen Planungsamtes, Anne Luise Müller, sagte, dass die Idee einer „Kulturbrücke“, die bereits 2009 für die Mülheimer Brücke entwickelt wurde, weiterhin geltende Planungsvorgabe sei. Während der Sanierung der Brücke bis 2021 werde man den Platz aber nicht für andere Zwecke nutzen können.

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