KeupstrasseTradition und Aufbruch

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Die Keupstraße. Am Pfingstmontag ist es genau zehn Jahre her, dass vor dem Friseursalon eine Bombe explodierte.

Die Keupstraße. Am Pfingstmontag ist es genau zehn Jahre her, dass vor dem Friseursalon eine Bombe explodierte.

Mülheim – Am Sonntag wird auf der Keupstraße gefeiert, doch auch an anderen Tagen lohnt ein Besuch. Ein Spaziergang durch die Keupstraße ist auch ein Gang durch die Geschichte der Zuwanderung aus der Türkei nach Köln.

Das Comeback einer Attraktion

Die Wiedereröffnung der „Kervansaray“ nach langer Umbaupause steht ein bisschen für den möglichen Aufbruch in die Zukunft: Die neuen Besitzer des Restaurants in der Keupstraße 25 haben Plüsch und Kitsch weitgehend verbannt und viel investiert, um eine deutlich coolere Atmosphäre zu schaffen. Die Karawanserei ist eine der bekannteren Adressen unter den Restaurants auf der Keupstraße. In fast allen wird kein Alkohol ausgeschenkt. Eine Ausnahme ist „Asmali Konak“ gegenüber in der Keupstraße 46. Vor allem Fleischliebhaber bekommen hier richtig Spaß. Nebenan ist die „Keimzelle“ der vielen „Doy Doy“-Restaurants in Köln. „Harran Doy Doy“ steht für den Import türkischer Imbisskultur nach Deutschland.

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Der letzte deutsche Name

Nur noch zwei der 118 Betriebe haben deutschstämmige Inhaber. Einer ist die Druckerei Schallenberg gleich neben dem Friseursalon, wo im Juni 2004 die Nagelbombe explodierte. Der zweite Betrieb ist der Kfz-Zulassungsdienst von Wolfgang Cziborra. Er weiß nicht, woher sein Familienname stammt. Seine Zuwanderungsgeschichte ist lange vergessen, was zeigt, wie wenig hilfreich die Begriffe von „Deutschen“, „Ausländern“ und „Migranten“ sind, um die bunte Wirklichkeit zu beschreiben. Vor Cziborras Tür hat ein neues Kapitel der Zuwanderungsgeschichte begonnen: Hier stehen Menschen aus dem Osten der EU und warten auf Arbeit. Die Begleitumstände sind für viele Anwohner unerfreulich.

Kleinsbetriebe für Import-Export

In der Keupstraße 58 bei „Sağdiç Import Export“ sieht es immer noch so aus wie vor Jahrzehnten: Hier gibt es alles für den klassischen türkischen Haushalt von Teekannen bis zum Kronleuchter. Er soll der erste dieser Art hier gewesen sein. Bereits um 1960 zogen in der Türkei angeworbene Gastarbeiter in die Keupstraße. Die benachbarten Kabelwerke Felten & Guilleaume waren einer der Industriebetriebe, die Arbeitskräfte geholt hatten. Der Wohnraum hier war preiswert, weil viele Mietshäuser heruntergekommen und stark sanierungsbedürftig waren. Die Straße galt als sozialer Brennpunkt. Auch weil immer mehr Türken den Schritt in die Selbstständigkeit wagten, ging es mit der Straße bergauf.

Vom Ford-Arbeiter zum Juwelier

Zu den Existenzgründern der ersten Stunde gehörte auch der verstorbene Fevzi Yiğibai. Als 25-Jähriger kam er 1968 als Ford-Arbeiter nach Köln. Knapp zwanzig Jahre später entschied er sich, das Ersparte nicht in der Türkei sondern in der neuen Heimat anzulegen. Aus dem Arbeiter wurde ein Juwelier und Schmuckverkäufer. Sein Sohn übernahm das Geschäft „Özlem“, die dritte Generation steht bereits mit hinter der Ladentheke. Die Keupstraße ist ein Anziehungspunkt für Hochzeitsgesellschaften. Hier bekommt man alles, was man für eine traditionelle türkische Hochzeit braucht. Schmuck und Gold sind als Hochzeitsgeschenke beliebt, weil sie auch als sichere Kapitalanlage für das Brautpaar und die Familiengründung gelten.

Maßarbeit am Kopf

Die Einkaufsstraße hat einen Einzugsbereich von rund 200 Kilometern, heißt es bei der IG Keupstraße. Auch die Friseure profitieren von der Zielgruppe „Hochzeitsgesellschaften“, genau wie die Fachgeschäfte für Brautmoden, Schmuck oder Dekoration. Eine Adresse für die Maßarbeit am Kopf für Mann und Frau ist der „Salon Tiraschci“, auch Spezialist für die derzeitige Trendfrisur „Olaseku“ (oben lang, seitlich kurz), mit der sich zur Zeit die meisten Spieler der deutschen Nationalmannschaft schmücken. Das Friseurgewerbe ist unter den Dienstleistern in der Straße am stärksten vertreten. Weitere sind eine Immobilienagentur, ein Reisebüro oder eine klitzekleine Änderungsschneiderei.

13-Jährige hilft bei Existenzgründung

Es ist 32 Jahre her, dass Sevim Özdemir fast jeden Tag mit ihrem Vater bei den Behörden vorsprechen musste. Die damals erst 13-Jährige dolmetschte, um ihrem Vater die Eröffnung des „Mevlana“ zu ermöglichen. Auch für die deutsche Bürokratie war die Existenzgründung eines Gastarbeiters eine Besonderheit. 1996 kaufte die Familie das Nachbarhaus und erweitere das Restaurant. Heute ist das „Mevlana“ das älteste Restaurant am Platz, hier soll das leckere Pfannengericht „Saç Kavurma“ erfunden worden sein. Viele Promis waren zu Gast. Pfingstmontag kommt der Bundespräsident.

Torten von der Fernsehfamilie

Zwei Brüder diskutieren über den deutschen Schlager: Der eine singt, der andere findet, sein Bruder sei „deutscher als die Deutschen“. Eine von vielen Szenen, die aus der Fernsehserie über die Özdags in Erinnerung geblieben sind. Die Doku hat viel erzählt über das Leben mit zwei Kulturen, Generationskonflikte und das außergewöhnliche Geschäft dieser Zuckerbäcker-Familie, die ein kleines Schlaraffenland an der Keupstraße 84 betreibt: Torten, Plätzchen, Unbekanntes – alles süß und lecker. Auch die Kette „Damla“ ist in direkter Nachbarschaft vertreten. Ihre Geschichte begann um die Ecke in der Montanusstraße – eines der wenigen Beispiele für ein Kleinunternehmen, dem eine Expansion gelang.

Schüsseln als Verkaufsschlager

Die Erdogdus hatten die zündende Geschäftsidee: Sie waren die ersten, die Satellitenschüsseln als Massenware einkauften und so besonders günstig anbieten konnten. Viele der Schüsseln an Kölner Balkonen stammen aus den Geschäften der Brüder an der Keupstraße 118 bis 122. Seyrani Erdogdu organisierte 2005 die Teilnahme einer Gruppe aus der Nachbarschaft im Mülheimer Karnevalszug. Es war seine ganz persönliche Antwort auf den Nagelbombenanschlag ein halbes Jahr zuvor. Die Straße sollte sich fröhlich und offen den Verdächtigungen der Ermittlern entgegenstellen. Es blieb bislang ein einmaliges Unterfangen. Der Rückhalt in der Straße für das Karnevalsengagement war damals offenbar noch zu schwach.

Moschee im Hinterhof

Die „Ömer ül Faruk Cami“ ist die Moschee der Keupstraße. So wie so viele andere wurde sie in einem Hinterhof Mitte der 80er Jahre eröffnet. Um 2000 herum begannen die Verantwortlichen, soziale Angebote für die Nachbarschaft aufzubauen. Sie gründeten die „Förderverein Zentrum Kultureller Begegnungen“, um Bildung und Integration zu fördern. In der Mündelstraße wurde dafür ein weiteres Gebäude gekauft – ein wichtiger Schritt, weil damit auch verbunden war, sich kritischen Fragen von Politik und Öffentlichkeit zu stellen. Der Verein schaffte es, die Skeptiker zu überzeugen.

Investition in die Zukunft

Ein Bauvorhaben mit viel Symbolkraft für Generationswandel und Aufbruch: Die Chefin eines Ladens für Dekorationen, Meral Şahin, ist die Bauherrin eines Gebäudekomplexes an der Bergisch-Gladbacher Straße. Das Geschäfts- und Wohnhaus verschafft der Keupstraße im Süden endlich ein neues einladendes Entree. Die 42-jährige, hier geborene Kölnerin investiert in ein „Wedding Center“, in das ihr Deko-Geschäft, andere Läden und Praxen einziehen sollen. Şahin ist eine umtriebige Organisatorin, egal ob sie es mit den Bauarbeitern auf ihrer Baustelle zu tun hat oder als Chefin der IG Keupstraße, die Mitglieder der Interessengemeinschaft und ihre Straße nach außen vertritt.

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