Modellbau-GeschäftSämtliche Kinderträume seit den 60ern

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Spielzeug vom Boden bis zur Decke: Günther Stauff in seinem Laden in Mülheim.

Spielzeug vom Boden bis zur Decke: Günther Stauff in seinem Laden in Mülheim.

Mülheim – Am Anfang ist es nicht einfach, sich mit Günther Stauff zu unterhalten. Nicht, weil ständig Kundschaft käme. Es ist Arno, der Langhaardackel, der hartnäckig ins Gespräch bellt. Fremde mag er nicht. Vielleicht will Arno, blind, taub und 13 Jahre alt, einfach seine Ruhe haben. Das unterscheidet ihn von Günther Stauff. Arnos Herrchen würde sich freuen, wenn mehr los wäre. So wie früher.

Stauff sitzt etwas verloren hinter seiner 33 Jahre alten Ladentheke. Es ist die Wucht des Materials um ihn herum, die ihn klein wirken lässt. Schachteln mit Eisenbahn-Waggons, Lokomotiven im H0-Format und Modellautos türmen sich bis unter die Decke. Die Produzenten dieser dicht gedrängten, und leicht chaotischen Spielzeug-Welt heißen Fleischmann, Märklin oder Matchbox. Was in Günther Stauffs Laden steht, haben sie schon vor Jahrzehnten auf den Markt geworfen. Denn nichts ist neu in seinem wundersamen Geschäft in der Frankfurter Straße 93: Es scheint, als ob Stauff sämtliche Kinderträume der 1960er-, 1970er- und 1980er Jahre auf 50 Quadratmetern vereinen wollte.

Günther Stauffs Leben drehte sich schon immer um Spielzeug. Sein Vater Horst gründete 1969 in einem Ladenlokal unter der Mülheimer Brücke ein Geschäft für Modellbahnen und Zubehör. Das Geld saß locker damals: Junge Wirtschaftswunder-Väter kauften reihenweise Loks und Modellbausätze. Angeblich für ihre Kinder. Günther Stauff weiß, dass sie in Wirklichkeit selbst damit spielen wollten: „Weil sie im Krieg nichts hatten.“ Das Geschäft boomte, Stauff sagt: „Es lief Bombe.“ Besonders in der Weihnachtszeit.

Die Stauffs mussten die Ladentür verriegeln

Anfang der 1970er Jahre, als sein Vater an die Buchheimer Straße umgezogen war, standen die Leute Schlange. Täglich bis zu 60 Kunden galt es zu bedienen. Zu viel für das kleine Lokal, die Stauffs mussten immer wieder die Ladentür verriegeln, um nicht überrannt zu werden. Schließlich vergrößerten sie sich: Von Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre betrieb Günther Stauff, der bei seinem Vater in die Lehre gegangen war, sogar eine Filiale für Spielwaren, während sein Vater sich weiter auf Modelleisenbahnen konzentrierte. Mehrere Lehrlinge und einen Monteur trug der Umsatz.

Die Ladenfläche ist längst wieder geschrumpft. „Es ist nicht mehr so, wie es war“, sagt Stauff. Er ist 53 Jahre alt, trägt Lesebrille und denkt gern an die Jahre zurück, als es noch Bombe lief. Schon Anfang der 1980er Jahre sei es bergab gegangen. Die Preisbindung für Spielzeug war längst gefallen, Discounter drängten mit Kampfpreisen auf den Markt. Später spielten die Kinder lieber mit Computern als mit der elektrischen Eisenbahn. „Mein Vater hat die guten Zeiten mitgemacht, und ich mache jetzt die schlechten mit“, sagt Stauff, der das Geschäft 1989 übernahm und in den 1990er Jahren von neuem auf altes Spielzeug umsattelte. In der Hoffnung, der Handel mit Sammlerstücken würde mehr Geld einbringen.

In den Regalen und alten Vitrinen seines Raritäten-Kabinetts parken Stauffs Schätze dicht an dicht: Winzige Plastikautos der Marke Wiking, dutzende Taxis, Feuerwehrwagen, Polizeiautos.

Dazu Abschleppwagen von Siku, Feuerwehrautos von Dinky Toys oder Rennwagen von Matchbox. Und immer wieder Eisenbahnen und H0-Bausätze wie das „brennende Finanzamt“. Das meiste Spielzeug sieht so aus, als ob nie ein Kind es angefasst hätte. Vieles ist original verpackt. Die Preise sind saftig, aber Stauff weiß, was seine Ware wert ist.

Die Konkurrenz ist groß

Indra Kohr würde 50 Euro zahlen – für einen Dodge Charger in der General-Lee-Version von 1969. Die Firma Ertl brachte das Modell auf den Markt, dessen Vorbild durch die US-Serie „Ein Duke kommt selten allein“ berühmt wurde: „Ich bin ein großer Fan der Serie“, sagt Kohr und glänzt durch enzyklopädisches Wissen: „Dieser Dodge ist das zweitbeliebteste Auto in den USA, nach dem Batmobil.“ Doch die 39-Jährige muss ohne Dodge gehen. Stauff hat viel, aber dieses Modell nicht. So richtig klingeln will seine Registrierkasse von 1979 heute nicht. Sonst ist es nicht viel anders: Auch in der Sammlerbranche sei die Konkurrenz eben groß, werde der Markt überschwemmt von altem Spielzeug, deren Besitzer keinen Bezug mehr dazu haben. Die Kunden wiederum, zumeist ältere, „werden jedes Jahr weniger“.

Sein Spielzeug kauft Stauff in seinem Laden von Sammlern und verkauft es entweder dort oder im Internet weiter. „Die Preise im Laden sind etwas teurer als im Netz, dafür kann der Kunde die Sachen hier angucken und sie sofort mitnehmen.“ Manchmal bieten ihm Verkäufer Ware an, die ihnen noch sein Vater verkaufte. Das zeigt, wie lange er schon durchgehalten hat in seiner schwierigen Branche. Doch er kann nicht anders, er sei eben reingerutscht in „das ganze Metier“. „Ich bin der letzte Mohikaner“, sagt Stauff und wischt Staub von einer Carrerabahn-Schachtel. Es ist still geworden in seinem kleinen Geschäft: Arno ist mittlerweile eingeschlafen.

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