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Neues Veedel für MülheimKünstler wünschen sich Vielfalt im ehemaligen Industrieareal

Lesezeit 3 Minuten
Marc Leßle (l.) und Anja Kolacek (r.) auf dem Dach der ehemaligen KHD-Hauptverwaltung; im Hintergrund Teile des riesigen Mülheimer Areals, aus dem ein neuer Stadtteil wird.

Marc Leßle (l.) und Anja Kolacek (r.) auf dem Dach der ehemaligen KHD-Hauptverwaltung; im Hintergrund Teile des riesigen Mülheimer Areals, aus dem ein neuer Stadtteil wird.

Mülheim – Der Blick vom Dach macht deutlich, mit welchem Koloss man es zu tun hat und in welch einem weitläufigen Areal er sich befindet.

Die Künstler Anja Kolacek und Marc Leßle sind auf den gewaltigen Backsteinbau an der Deutz-Mülheimer Straße geklettert, der einst die Hauptverwaltung von Klöckner-Humboldt-Deutz beheimatete und jetzt Spielfläche für ihr Kunstprojekt „Raum 13“ ist.

Bauarbeiten haben begonnen

Drumherum wird geplant. Erste Bauarbeiten haben begonnen, auch der Backsteinkoloss wird irgendwann Teil eines neuen großen Stadtviertels, das zu einem Kölner Vorzeigeprojekt werden soll.

Leßles und Kolceks Kunst hat sich immer auch als Diskussionsbeitrag zur Stadtentwicklungspolitik verstanden. Jetzt werben sie dafür, dass die Stadt ihr Ziel ernst nehmen soll, urbane, bunte und sozial gemischte Quartiere fördern zu wollen.

Im ehemaligen Eingangsfoyer hat ein Mitstreiter der beiden ein Lego-Modell des riesigen Gebäudes zusammengebaut. Bunte Steine sollen deutlich machen, wie viel Fläche des Kolosses trotz der umfänglichen Aktivitäten der Künstler unbenutzt ist: Verlassene Büros, in denen Kabeldiebe und andere Einbrecher ihre Spuren hinterlassen haben, unzugängliche Hallen und dunkle, mit Glasscherben bedeckte Flure – Tausende Quadratmeter, mit denen sich Sinnvolles machen ließe.

Alles unter einem Dach

Die Macher des „Raum13“ im Zentralwerk der schönen Künste versuchen zur Zeit nicht nur Mitbewohner in ihrem „Land Utopia“ zu gewinnen. Das Lego-Modell soll auch deutlich machen, wie sich der Gebäudekomplex als Ganzes in die städtebauliche Entwicklung des Areals integrieren ließe. Nicht nur Kunst und Kultur könnten hier einziehen, auch Wohnungen und Büros könnte man in dem Haus entstehen lassen. Alles unter einem Dach.

Nord-östlich der Zoobrücke, links und rechts der Deutz-Mülheimer Straße, planen Stadt, Architekten und Investoren den Umbau eines riesigen, zentral gelegenen ehemaligen Industrieareals. Tausende Wohnungen sollen entstehen, dazu Kultur und buntes Leben, Gewerbeansiedlungen, Schulen und Kitas. Das historische Erbe der Industriekultur soll erhalten bleiben.

Das klingt gut, finden auch die Künstler im „Raum 13“. Doch sie haben Zweifel, ob es den Planern und Investoren tatsächlich gelingt, alte Muster zu durchbrechen. Hier ein Ort für Wohnungen, dort ein Haus für Büros, dazwischen ein Theater als Angebot zur Abendgestaltung – „es ist offensichtlich schwer, aus dem Schubladendenken rauszukommen“, sagt Marc Leßle.

Wohnraum möglichst vielfältig nutzen

Der Gegenentwurf: Alles, oder zumindest vieles, sollte sich überall mischen und vermengen. So wie auf den drei Etagen des KHD-Verwaltungsgebäudes verschiedene Nutzungen zusammen kommen können, könnte sich doch das gesamte Viertel entwickeln.

Investor Gottfried Eggerbauer, der Eigentümer des mächtigen Riegels, den die Künstler als, wie es heißt, „Zwischennutzer“ bespielen und immer wieder neu verwandeln, hat noch nicht vorgestellt, was er mit seinem Besitz machen möchte. 

Wie es heißt, bemüht er sich zusammen mit Fritz Hamacher, der den nördlichen Teil des Areals mit Lindgens-Kantine und Boule-Halle entwickelt, um die Grundstücke hinter dem ehemaligen KHD-Verwaltungstrakt. Leßle und Kolacek hoffen, dass innovative Mischkonzepte entstehen.

Wenn sie von „interdisziplinären Zwischenräumen“ oder von einem „ganzen Viertel als Kunst- und Freiraum“ sprechen, benutzen sie nicht unbedingt die gleiche Sprache wie ein Bauunternehmer.

Verständigungsprobleme sind nichts Neues

Doch Verständigungsprobleme sind die beiden gewohnt, weil ihnen das übliche, oft fantasielose Schubladendenken auch bei der städtischen Kulturbürokratie begegnet, wenn es um das Verteilen knapper Zuschüsse für die freie Szene geht.

Im Grunde geht es in Mülheim darum, ein weiteres Viertel vor allem für Gutverdiener zu verhindern, in dem Sozialwohnungen nur Pflicht-Feigenblatt für Investoren und die historische Zeugnisse einer der Industriegeschichte nur noch Verzierung fürs schicke Ambiente sind.

Überall in der Stadt wird über die Folgen der Gentrifizierung und Aufwertung eines Viertel geklagt, wenn das Alte vom Neuen verdrängt wird. „Hier können wir der Gentrifizierung mal die Chance lassen, etwas zu erhalten“, so Leßle. „Wer will schon in einer Monokultur wohnen und arbeiten?“

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