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Nachruf auf ZikFür Petrus ist die ruhige Zeit vorbei

Lesezeit 8 Minuten
Zik mit Funktelefon auf dem Weg zur IFA in Berlin 1989.

Zik mit Funktelefon auf dem Weg zur IFA in Berlin 1989.

  • Friedriszik verlor früh seine Eltern und wuchs in Kinderheimen in Brauweiler und Brühl auf.
  • Dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton drückte er im Brauhaus einen Express in die Hand und machte ein Bild, bevor die Sicherheitsleute die Situation erfasst hatten.

Köln – Heinz-Walter Friedriszik steht am Morgen des 1. Juni auf Rollschuhen an der Himmelspforte, streckt Petrus die Hand entgegen und ruft: „Hi, ich bin der Zik aus Köln, und wer bist Du?“ „Äh, ich bin Petrus, Augenzeuge der Auferstandenen“, stammelt der, da kneift Zik ihm schon in die Seite und macht ein Selfie. „Dat glaubt mir widda keiner“, ruft er zu den Sternen. „Wer ist noch alles hinter der Tür da?“ Petrus lächelt verdattert und lässt ihn hereinrollen. Auf den Wolken plaudert Michael Jackson mit James Dean über Schönheitschirurgie, David Bowie redet mit Mahatma Gandhi über gewaltlosen Widerstand gegen IS-Terroristen, derweil Konrad Adenauer vergeblich versucht, Marylin Monroe mit seinen Stopfei- und Sojawurst- Erfindungen zu beeindrucken. Zik schwebt selig über ihnen und schießt Fotos.

Den vielen Blitzen und Donnern nach könnte es so gewesen sein, als Zik in der Nacht zum 1. Juni von seinem Balkon in der Ehrenstraße stürzte, sein Körper den Unfall nicht überlebte und seine Reporterseele sich zum Himmel aufmachte. Mit der Ruhe dürfte es für Petrus jetzt vorbei sein.

Bevor Heinz-Walter Friedriszik der schillerndste, lauteste und manchmal auch einsamste Fotograf der Stadt wurde, tuckerte er mit einem alten R4 durch Deutschland, um sein Auto mit Promi-Autogrammen vollkritzeln zu lassen. Zu Hause guckte er ständig Fernsehsendungen mit (Möchtegern-) Stars und merkte sich die Namen und Gesichter. Die so ein bisschen bekannten Leute fühlten sich geschmeichelt, wenn er sie bei Empfängen mit Namen ansprach. Den R4 wollte er im August 1978 zugunsten der Deutschen Krebshilfe in der Sendung „Musik ist Trumpf“ versteigern lassen – obwohl Mildred Scheel, die Gründerin der Krebshilfe, nicht unterschreiben wollte. Zik, den der „Express“ da noch als „Autogrammjäger Heinz Friedriszik“ bezeichnete, blieb auf seinem R4 sitzen, nur ein Mann aus einer Psychiatrie hatte während der Sendung auf den Wagen geboten.

Der Autogrammjäger

Bernd Kollmann, damals Fotochef beim „Express“, fragte Friedriszik, ob er der Redaktion nicht auch normale Promi-Fotos liefern wolle – er fotografierte die Bekanntheiten ja ohnehin ständig vor seinem R 4. Was für eine Frage! Es war Ende der 1970er Jahre, es gab nur drei Fernsehsender, kein Internet, der Einfluss der Presse war enorm und der „Express“ in Köln ein Gigant. Beim „Kölner Treff“ von Alfred Biolek hatte Zik die ersten Promis abgelichtet. Biolek wurde sein Mentor, er soll Zik auch auf seinen Namen gebracht haben. Jetzt verwandelte sich die unscheinbare Puppe Heinz-Walter Friedriszik, Waisenkind, Elektroinstallateur und Autogrammjäger, im Zeitraffertempo in den grellen Schmetterling Zik, der nicht mehr einzufangen war, lieferte und lieferte, bunter strahlen und schneller flattern wollte als alle anderen, und irgendwann fast so groß war wie seine Zeitung.

„Zik hatte einen unstillbaren Durst nach Geltung und Selbstdarstellung, er wollte beachtet werden, dafür tat er fast alles“, erinnert sich Kollmann. „Für den Express war er dadurch sehr, sehr wertvoll – obwohl er sicher nicht einfach war.“ Mit seinen Kollegen ging Zik so um wie mit sich selbst: rücksichtslos. Er lebte für das beste Promi-Bild. „Er war so etwas wie Kölns erster Paparazzo“, sagt ein Kollege. Ein begnadeter Selbstvermarkter war er auch. Oft fuhr er mit Rollschuhen über die Ringe, seinen Roller und das rote T-Shirt mit Zik-Schriftzug kannte jeder. Später legte er sich einen Wohnwagen zu – um länger für ein Foto an einem Ort verharren zu können. Zik war der einzige Fotograf, der zu jeder „Wetten dass“-Sendung fuhr. Auf seinen Renault Espace montierte er eine gewaltige Satellitenanlage. Für den Karneval oder für Fußballweltmeisterschaften kreierte er eigene Orden und Motto-T-Shirts. Spitznamen, Rollschuhe oder Stadtwappen ließ er sich ins Nackenhaar rasieren – ohne den genialen Namen wäre sein Aufstieg kaum denkbar gewesen.

Der Aufstieg

Aber es brauchte schon diese seltene Mischung aus Härte, Charisma, Zähigkeit, Unbedarftheit, Narzissmus, Neugier, Getriebenheit, Aufstiegswillen und Hybris, um aus Heinz-Walter Friedriszik den schillerndsten und bekanntesten Fotografen der Stadt zu machen.

Das „Selfie“ erfand Zik Jahrzehnte vor der Erfindung des Handys. Wenn er Tina Turner, Udo Jürgens, Johannes Rau oder Lukas Podolski vor der Linse hatte, musste er auch mit ihnen auf einem Bild zu sehen sein. Dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton drückte er im Brauhaus einen Express in die Hand und machte ein Bild, bevor die Sicherheitsleute die Situation erfasst hatten. Als Bundeskanzler Helmut Kohl im Juli 1995 vor der Apostelnkirche ein Adenauer-Denkmal einweihte, hatte Zik im Krankenhaus gerade einen Herzschrittmacher implantiert bekommen. Er entließ sich selbst und zeigte Kollegen stolz die Saugnäpfe und Drähte, die an seiner Brust baumelten. Zik verließ das Krankenhaus immer, wann er wollte, mitunter mit dem rollenden Tropf als Begleiter. Als er sich auf seinen Streifzügen durch die Stadt schlapp fühlte und regelmäßig zusammenklappte, stellten die Ärzte fest, dass die Batterie des Schrittmachers seit Jahren leer war.

„Er war wie ein Kind“

„Er war wie ein großes Kind, das immer alles haben wollte. Und wenn er etwas nicht bekam, wollte er es umso mehr haben“, sagt der Gastronom Josef Rayes. „Er konnte hart sein, aber auch sehr lieb und zerbrechlich.“ Friedriszik verlor früh seine Eltern und wuchs in Kinderheimen in Brauweiler und Brühl auf. In Weiden hatte er eine Ziehmutter, die sich um ihn und sechs andere Kinder kümmerte. Sie nannte Zik bis zuletzt nur Heinz-Walter. Wenn er mit seiner Ziehfamilie Weihachten oder Ostern feierte, erzählte Heinz-Walter wenig bis nichts von seiner Arbeit. „Im Mittelpunkt stand er trotzdem, er spielte Mundharmonika oder verkleidete sich als Nikolaus, aber sonst hörte er eher zu“, erzählt sein Ziehbruder Peter. „Er war bei uns nie der Express-Fotograf Zik.“ Mit Peter und seiner Ziehmutter Elisabeth telefonierte er bis zuletzt oft.

Auch wenn er für die Zeitung ein Kinderheim besuchte, legte er sein Gewand als Haudrauf-Fotograf ab: Zik trat dann ruhig und zurückhaltend auf. Wenn er die Kinder fragte, wie es ihnen geht und wovon sie träumen, sprach der Junge aus ihm, der selbst im Kinderheim groß geworden war.

„Sicher kam sein unbändiger Drang, anerkannt zu werden, auch aus der Kindheit“, sagt Josef Rayes, in dem der gleich alte Zik, der noch gezeichnet von Krankheiten aussah wie ein älter gewordener Junge, einen Ersatzvater fand. „Er war nicht immer der rücksichtslose Fotograf, der nur an seinen Vorteil dachte“, sagt Rayes. Bei einem schweren Verkehrsunfall fotografierten viele Kollegen neben den Gaffern am Straßenrand das zerquetschte Auto – Zik stand vor dem Wrack und versuchte, Erste Hilfe zu leisten. Ständig half er Bekannten, elektrische Geräte zu installieren.

„Man konnte ihm nicht böse sein“

Als die Entführer des Gladbecker Geiseldramas am 18. August 1988 in der Fußgängerzone in der Breite Straße hielten und sich mit den Journalisten unterhielten, war Zik andererseits einer der lautesten – und baute eine Leiter auf (die er oft mit sich trug), um als einziger Fotograf Bilder aus der Vogelperspektive zu haben. Für ein besonderes Foto habe er alles getan, sagen Kollegen. Er sei unbedarft gewesen, ihm habe manchmal das Gespür für Situationen gefehlt, sagen andere. „Man konnte ihm nicht böse sein, er war eben Zik“, sagt Erry Stoklosa von den Bläck Fööss, die Zik 1983 einen eigenen Song widmeten („Der Pressefotograph“), in dem es heißt: „Ich han immer alles em Visier, un wenn irjendeiner mich beim Knipse hindere well, ich sagen dir, do wäden ich zom Dier.“

Die Einsamkeit

Ein Narr war er, der seine Freiheit genoss. Die Leute glucksten amüsiert oder pikiert oder neidisch, wenn Zik bei Festakten als erster zum Büffet stapfte und sagte: „Ich han Hunger!“

Andere so zu behandeln, wie er selbst behandelt werden wollte – die Maxime galt für ihn privat, nicht im Beruf. Da konnte er es sich irgendwann leisten, die Leute zu dirigieren – wenn er Oberbürgermeister Harry Blum anwies, für ein Foto vor dem Dom auf einem Skateboard zu knien, tat Blum das anstandslos. Wenn er zu Richard von Weizsäcker rief, „Hey Präsident, luurens“, war der Präsident so irritiert, dass er kurz rüberguckte und schräg grinste – schon hatte Zik sein Bild im Kasten. Ob Clinton oder Lady Di – Zik stellte jeden hin, wie er ihn haben wollte. „Er war im Grunde die einzige Autoritätsperson Kölns“, sagt der Kabarettist Jürgen Becker. Neben einem Selbstbewusstsein half ihm seine Ausstrahlung – der schmale Junge mit den blauen Augen und der rasierten Popperfrisur sah gut aus und konnte Menschen fischen. Und er wollte haben, haben, haben, um zu sein. Irgendwann reichten ihm die Fotos nicht mehr, er begann zu singen, später machte er eine Bar auf den Ringen auf, „Ziks Schnappschuss“, natürlich ein Promi-Treff.

Wenn Zik nicht nach Prominenten Ausschau hielt, wenn er nicht auf Empfängen oder im Karneval fotografierte, wenn er nicht in seinem Revier rund um den Aachener Weiher, das Café Printen Schmitz, die Ringe, die Friesenstraße und in der Altstadt auf Fotojagd war, dann suchte er die Gesellschaft der Kneipen. Er wollte sich mitteilen, allein sein wollte er nicht. So viel und schnell er sprach, so wenig redete er über Privates. Seine Liebschaften, die Krankheiten, die Süchte, die Depressionen, darüber sprach er nie, es sei denn mit Josef Rayes, wenn er mal wieder buchstäblich am Boden lag.

Immer war er so lange Zik, bis er sich in langen Nächten in der Stadt verlor, die er so liebte. Wenn er dann durch die Gassen irrte und keiner sich nach ihm umdrehte, wenn er in seine Junggesellenwohnung in der Ehrenstraße mit der Discokugel, dem Rollschuhzimmer und dem riesigen Fotoarchiv kam, war Zik, was er bitte nie mehr sein wollte: Heinz-Walter Friedriszik. Am nächsten Tag konnte er zum Glück wieder fotografieren.

Zik wird am Dienstag, 14. Juni, 14 Uhr, auf dem Kölner Melatenfriedhof beigesetzt – in einem weißen Sarg mit rotem Zik-Schriftzug.

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