Neue Erkenntnisse der PolizeiOffenbar kaum Nordafrikaner zu Silvester in Köln

Lesezeit 6 Minuten
kra_silvesterkoeln020gepixelt

Szene aus der Silvesternacht 2015

Köln – Als „aggressionsbereit“ und „fahndungsrelevant“ hatten Polizei und Bundespolizei viele der etwa 2000 jungen Männer beschrieben, die in der Silvesternacht in Zügen nach Köln gereist waren und sich vorwiegend am Hauptbahnhof versammelt hatten. Nicht nur per Twitter in der Nacht, sondern auch in öffentlichen Verlautbarungen in den Tagen danach sprach die Polizei vor allem von Nordafrikanern, wenn sie diese Gruppe meinte – offenbar ein Irrtum, wie sich jetzt herauszustellen scheint; denn Nordafrikaner waren in jener Nacht wohl in der Minderheit. Stimmen die neuen Erkenntnisse, könnte man sogar sagen:  Nordafrikaner haben Köln zu Silvester in großer Zahl gemieden.

Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema:

Warum sprach  die Polizei anfangs vornehmlich von Nordafrikanern?

Alles zum Thema Polizei Köln

Sowohl die Situation vor dem Hauptbahnhof als auch die augenscheinliche Herkunft der etwa 2000 Männer, die sich dort oder in Zügen Richtung Köln aufhielten, habe insgesamt stark an die Vorkommnisse der Silvesternacht 2015/2016 erinnert, sagt die Polizei – mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Beamten dieses Jahr besser vorbereitet waren und Straftaten größtenteils verhindern konnten. Vor einem Jahr hatte es rund um den Dom hunderte Straftaten und sexuelle Übergriffe gegeben, begangen vor allem von Tatverdächtigen nordafrikanischer Herkunft. Zudem hätten vier Sozialarbeiter, die in diesem Jahr als „Sprachmittler“ für die Polizei unterwegs waren und überwiegend selbst nordafrikanische Wurzeln haben, die Männer in der Nacht als Nordafrikaner beschrieben, berichtet Polizeipräsident Jürgen Mathies. Allerdings seien den Sprachmittlern später auch durchaus Zweifel gekommen, als sie mitkriegten, dass sich viele Männer in arabischer Sprache unterhielten.

Warum hat die Polizei ihre Angaben nun korrigiert?

Inzwischen hat die Behörde die Daten jener Personen ausgewertet, die in der Nacht überprüft worden waren. In Zahlen heißt das:  Etwa 2000 Männer haben Polizei und Bundespolizei beobachtet, von 674 sind ihnen die Namen bekannt; die Personen waren in der Nacht kontrolliert worden, weil sie sich in den Augen der Beamten verdächtig verhielten – etwa aggressiv wirkten oder Platzverweise nicht befolgen wollten. Bei 425 dieser 674 stehe auch die  Nationalität fest, sagt die Polizei. Demnach handelt es sich vor allem um Iraker (99), Syrer (94), Afghanen (48) und Deutsche (46). Nordafrikaner aus den Maghreb-Staaten dagegen waren kaum dabei:  Die Polizei spricht von 17 Marokkanern, 13 Algeriern und einem Tunesier. Wie zuverlässig sind denn diese neuen Angaben?Sie geben einen Trend wieder, sagt die Polizei, seien aber noch nicht endgültig bestätigt. Der Grund: Nicht selten hätten sich in der Vergangenheit Personen bei der Überprüfung etwa als Kriegsflüchtlinge aus Syrien ausgegeben, weil sie sich so größere Chancen für ihr Asylgesuch ausgerechnet hätten. Später jedoch hätten sie sich als Angehöriger eines Maghreb-Staates herausgestellt, also Marokko, Tunesien oder Algerien. „Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich unter den 425 Personen noch eine größere Anzahl nordafrikanischer junger Männer befindet“, betont ein Polizeisprecher. Eine genaue Aussage lasse sich erst nach weiteren Ermittlungen treffen.

Waren im Vorjahr mehr Nordafrikaner zu Silvester in Köln?

Das ist aus heutiger Sicht schwer zu sagen, weil die Polizei 2015/ 2016  weitaus weniger Personen überprüft hat. Was sich aber sagen lässt: Von den 330 Männern, die die Behörde nach den Übergriffen vor einem Jahr als Tatverdächtige ermittelt hat, stammt mehr als die Hälfte aus Algerien (95), Marokko (82) und Tunesien (9). Jeder fünfte kommt aus Syrien (28) oder dem Irak (36).

Warum reisten eigentlich so viele Männer arabischer und einige  nordafrikanischer Herkunft zur Silvesterfeier vor zwei Wochen nach Köln?

Darauf hat die Polizei noch keine Antwort. Bislang haben die Ermittler keine sicheren Hinweise darauf, dass es sich etwa um eine „hochvernetzte, konzertierte“ Aktion gehandelt haben könnte – schon gar nicht, dass die Männer gezielt nach Köln gereist sind, um hier Straftaten zu begehen (siehe auch „Verabredungen sind ein Märchen“). Ein Ermittler äußerte die Vermutung, dass es sich in der Vielzahl um Flüchtlinge gehandelt haben könnte, die sich von den Fluchtwegen, aus ihren Heimatstaaten oder aus Übergangsheimen kannten und sich eher locker in Kleingruppen verabredet hatten, zum Feiern in die nächstgelegene Großstadt zu ziehen. Nicht nur in Köln, auch in anderen Städten wie Dortmund oder Stuttgart berichtete die Polizei von hunderten junger Männer augenscheinlich nordafrikanischer oder arabischer Herkunft, die sich an Silvester an zentralen Plätzen gesammelt hatten.

Ist der Silvestereinsatz mit den neuen Erkenntnissen nun für die Polizei erledigt?

Nein, im Gegenteil. Bei der Aufarbeitung steht die Polizei noch ganz am Anfang. Eine zehnköpfige Arbeitsgruppe soll drängende Fragen klären  – nicht nur, warum so viele Flüchtlinge nach Köln kamen, sondern zum Beispiel auch, ob sie die Berichterstattung zu Silvester in den deutschen Medien verfolgt haben und falls ja – ob sie trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hergekommen sind, berichtete Carsten Dübbers, Leiter der Führungsstelle bei der Polizei Köln und promovierter Soziologe. Die Arbeitsgruppe tausche sich aus mit Gewaltforschern und Islamwissenschaftlern. Unter anderem sei einen Fragebogen ausgearbeitet worden, der den 674  überprüften Personen ab nächster Woche ausgehändigt werden soll. Die Teilnahme an der Befragung sei freiwillig, so Dübbers. „Es handelt sich nicht um eine Maßnahme nach Polizeirecht.“ Seines Wissens sei die Untersuchung der Polizei Köln die bislang umfangreichste zu dem Thema.

Die aufwendige Analyse kostet jede Menge Zeit und Personal. Warum macht die Polizei das?

Von den Ergebnissen erhoffe man sich Erkenntnisse für zukünftige Einsatzplanungen bei Großveranstaltungen, begründet Dübbers. Im Zentrum stehe die Frage: Wie soll die Polizei künftig mit dem Phänomen umgehen, das an Silvester 2015/2016 in Köln erstmals aufgetreten sei. Sobald die Analyse abgeschlossen sei, wolle man sie auch der Öffentlichkeit vorstellen, ergänzte Polizeipräsident Mathies. Bis die Ergebnisse vorlägen, werde es aber noch eine Weile dauern.

Verwendet die Polizei Köln weiterhin den umstrittenen Begriff „Nafri“? Und was heißt der jetzt eigentlich genau?

Die Polizei arbeite intern auch weiterhin mit der Abkürzung, stellte Mathies klar – aber nicht in der Öffentlichkeits- und Medienarbeit. Den Vorwurf des Rassismus bei der Polizei Köln wies Mathies erneut „nachdrücklich“ zurück. „Nafri“ bezeichne intern einem hauseigenen Analyseprojekt zufolge einen mutmaßlichen Straftäter aus einem nordafrikanischen Staat, der schon mit mindestens drei bis fünf Delikten aufgefallen sei, erklärte Kripochef Stephan Becker – also nicht generell einen Menschen aus Nordafrika. Das „i“ in „Nafri“ stehe nicht für „Intensivtäter“, so Becker.

Aus heutiger Perspektive war somit die viel kritisierte Twitternachricht der Polizei in der Silvesternacht („Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft. Infos folgen.“) gleich doppelt falsch –  weil es sich zum einen aufgrund der neuen Erkenntnisse nicht um hunderte Nordafrikaner gehandelt haben dürfte und zum anderen schon gar nicht um kriminelle mit mindestens drei Straftaten.

Wie viele Straftaten gab es in der Silvesternacht – hat sich der aufwendige Polizeieinsatz gelohnt?

In Bezug auf die Straftaten ja. Man habe im Bereich des Doms gerade mal ein Dreiundzwanzigstel der Straftaten des Vorjahres registriert, rechnete Mathies vor. Konkret heißt das: 34 Opfer erstatteten bis zum 13. Januar Anzeige (im Vorjahr waren es bis zu diesem Stichtag 805). Drei davon beziehen sich in diesem Jahr auf Sexualdelikte (im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 258, am Ende  454). Fünf Taschendiebe waren in diesem Jahr rund um den Dom erfolgreich (Vorjahr: 284).

KStA abonnieren