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Neue Fakten nach Silvesternacht 2015BKA-Arbeitsgruppe entlastet Kölner Polizei

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Szene aus der Silvesternacht 2015 vor dem Kölner Dom.

Szene aus der Silvesternacht 2015 vor dem Kölner Dom.

Köln – Mehr als ein Jahr nach den beispiellosen Massenübergriffen der Silvesternacht sind jetzt neue Fakten bekanntgeworden. Im  Abschlussbericht „Silvester“ einer Arbeitsgruppe des Bundeskriminalamts (BKA) haben Ermittler aus acht Bundesländern – unter anderem NRW – sowie der Bundespolizei ihre gesammelten Erkenntnisse zu den Silvesterfeiern in Köln, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und Stuttgart zusammengetragen – jene fünf Städte, in denen zum Jahreswechsel 2015/2016 die meisten Straftaten verübt wurden.  Das Papier, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, soll demnächst im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag beraten werden. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was sind die zentralen Aussagen des Berichts?

Die massenhaften Straftaten, aus  Männergruppen heraus begangen, waren in Deutschland bis zur Silvesternacht 2015/2016 völlig unbekannt und für die Polizei daher nicht vorhersehbar. Im gesamten Jahr 2015 sei der Polizei bundesweit kein einziger sexueller Übergriff in der Öffentlichkeit aus einer Menschenmenge heraus bekanntgeworden. Hauptmotivation der Silvester-Täter waren sexuelle Übergriffe, nicht etwa Diebstähle. Hinweise darauf, dass die Männer sich zu den Straftaten verabredet hätten, fanden die Ermittler nicht.  

Haben sich Vorfälle wie an Silvester im Laufe des Jahres 2015 in Deutschland wiederholt?

Ja, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß. Beim Schlossgrabenfest in Darmstadt (Hessen) Ende Mai und auf dem Stadtfest in Ahrensburg (Schleswig-Holstein) Mitte Juni stellte die Polizei einen sprunghaften Anstieg von Sexualstraftaten im Vergleich zum Vorjahr fest: Frauen wurden im Gedränge begrapscht, manche auch bestohlen. In Darmstadt wurden drei pakistanisch-stämmige Asylbewerber festgenommen. In Ahrensburg verdächtigte die Polizei als Täter mehrere in Deutschland geborene Jugendliche mit familiären Wurzeln in unterschiedlichen afrikanischen Staaten. Beide Veranstaltungen seien – wie auch die Silvesterfeiern – kostenlos gewesen, frei zugänglich, verkehrstechnisch gut erreichbar, stark besucht und fanden unter freiem Himmel statt, heißt es in dem Bericht. Das Mitbringen von Alkohol sei erlaubt, die Zahl der Ordnungs- und Polizeikräfte gering gewesen.

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Die Verfasser des Berichts sprechen von „tatbegünstigenden Strukturen“, die bei künftigen Veranstaltungen „konsequent reduziert“ werden müssten, damit sich solche Vorfälle nicht mehr wiederholen.

Was weiß die Polizei inzwischen  über die Täter und Tatverdächtigen aus der Silvesternacht 2015/2016?

Der Abschlussbericht trennt zwischen „reinen Sexualdelikten durch Personengruppen  im öffentlichen Raum“ (658) und Sexualdelikten in Kombination mit Raub und Diebstahl (239). In Köln, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und Stuttgart hat die Polizei insgesamt 121 Tatverdächtige ermittelt, allein 74 in Köln. Die meisten der jungen Männer stammen aus Algerien (35), Marokko (26), dem Irak (16), Syrien (11) und Afghanistan (8). Etwa die Hälfte lebte kürzer als ein Jahr in Deutschland. 55 Prozent waren der Polizei schon vor Silvester wegen Straftaten bekannt. Was die Vorfälle in Köln betrifft waren die meisten Täter aus anderen Städten angereist. Von 107 der 121 Männer ist der ausländerrechtliche Status bekannt: Knapp die Hälfte hielt sich demnach illegal in Deutschland auf, gefolgt von Asylbewerbern.  Im BKA-Bericht heißt es: „Die vorliegenden Erkenntnisse erlauben eine Einordnung der Silvesterstraftaten in den Zuwanderungskontext.“

Warum waren die Täter überwiegend junge Flüchtlinge und Asylbewerber?

Zu dieser Frage liefert der BKA-Bericht gleich ein ganzes Bündel möglicher Gründe. Den Autoren zufolge ist „die sozialstrukturelle Benachteiligung“ von Flüchtlingen und Asylbewerbern „ein wesentlicher Erklärungsansatz für die Begehung von Straftaten“. Die Betreffenden seien isoliert von Arbeitsmarkt und Bildungssystem, erlebten eine „andauernde Perspektivlosigkeit“ wegen fehlender Chancen auf Asyl und Arbeit. Dies erschwere ihnen die Integration und fördere bei einigen Gefühle wie Frust und Aggression.

Zudem bestünden wegen  der Wohnsituation, dem Aufenthaltsstatus und fehlender Sprachkenntnisse „Barrieren im Kennenlernen weiblicher Personen“. Gruppendynamische Prozesse und Alkoholgenuss hätten die Straftatenflut an Silvester noch begünstigt. Eine andere kulturelle Sozialisation im Herkunftsland und erlernte Geschlechterrollenverhältnisse könnten im Widerspruch zum hiesigen Wertesystem stehen – und  nicht zuletzt hätte auch das „nach außen hin nicht sichtbare Eingreifen der Sicherheitsbehörden“ in der Silvesternacht die Risikobereitschaft der Täter befeuert, bilanzieren die Ermittler. Jürgen Mathies, Kölner Polizeipräsident warnte am Abend in Köln: „Wenn Integration nur noch ein Thema der Polizei ist, ist es eine ganz bescheidene Integration. Wir haben jetzt elf Monate Zeit, uns auf das nächste Silvester vorzubereiten. Nicht wir als Polizei, sondern wir als Gesellschaft.“ Und weiter in der Diskussionsveranstaltung „frank und frei“: „Nächstes Jahr, weiß ich jetzt schon, haben wir wieder vorrangig ein polizeiliches Problem, und das will ich nicht haben.“

Was hat die schon seit einige Jahren – auch in Köln ansässige – „Antänzerszene“  mit den Silvesterstraftaten zu tun?

Wenig bis nichts. Die Masche, bei der das Opfer überschwänglich angetanzt und bestohlen wird, wird zwar auch überwiegend  von nordafrikanischen jungen Männern angewandt.

Was sind weitere Folgen der Silvesternacht?

In einigen Städten  bildeten sich im Januar 2016 sogenannte Bürgerwehren oder „Sicherheitsstreifen“. Laut Abteilung Staatsschutz des BKA sollen sich allein in den ersten drei Wochen des Jahres in 17 Fällen tatsächlich Personengruppen getroffen oder verabredet haben. Der Schwerpunkt der „Bürgerwehren“ liege jedoch im Internet.

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