Parkvergehen in KölnDrei-Millionen-Knöllchen-Stadt

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Köln – Marcel Schön schlendert über den Hohenzollernring, nirgendwo in Köln behindern Autofahrer beim Parken häufiger den Verkehr als hier. 50 bis 70 Strafzettel verteilt Schön in seinem Revier tagsüber während einer Schicht, abends sind es leicht 100 bis 150, „ohne, dass ich mich irgendwie anstrengen müsste“, sagt er. Um 20 Uhr parken im Taxibereich am Friesenplatz vier Pkw mit Protokollen an der Windschutzscheibe, ab 19 Uhr dürfen Autos hier nicht mehr stehen. „Wir können hier jede halbe Stunde vorbeigehen und Verwarnungen schreiben“, sagt Schön. 8114 Strafzettel sind an den Taxi-Stellplätzen am Friesenplatz in drei Jahren verteilt worden – „es hätten noch deutlich mehr sein können“.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und das gemeinnützige Rechercheportal „correctiv.org“ haben in den vergangenen Wochen mehr als drei Millionen Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Kölner Verkehr aus den Jahren 2013 bis 2015 gesichtet und ausgewertet. Die Daten wurden im Internet auf ksta.de so aufbereitet, dass die Knöllchen-Häufigkeit in jeder einzelnen Straße des Stadtgebietes abgefragt werden kann.

Nur jeder 13. Parksünder behindert den Verkehr

„correctiv.org“

Daten-Analyst Torsten Fischer ist freier Mitarbeiter von „correctiv.org“, dem ersten non-profit Recherchezentrum in Deutschland. Die Journalisten, mit denen der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zusammenarbeitet, finanzieren sich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Zu den Unterstützern gehören Institutionen wie die Brost-Stiftung und die Bundeszentrale für politische Bildung. Wenn auch Sie die Organisation unterstützen wollen, können Sie Fördermitglied werden. „correctiv.org“ ist unabhängig und nicht-gewinnorientiert. Die Knöllchen-Recherche wurde von der Rudolf-Augstein-Stiftung gefördert.

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In unserer Analyse haben wir unter anderem auch aussortiert, wie viele Parkvergehen mit dem Vermerk „Behinderungen anderer“ geahndet wurden. Dieser Zusatz wird vergeben, wenn Dritte im konkreten Einzelfall tatsächlich durch abgestellte Pkw gestört werden. Nur jeder 13. Parksünder, der ein Knöllchen erhält, behindert demnach den Verkehr. Bei 87,8 Prozent der Verwarnungsgelder wurde niemand beeinträchtigt. Auch Autofahrer, die Radwege blockieren, werden eher selten bestraft. Arbeitsscheu sind Kölns Politessen nicht – die Stadt ist seit Jahren eine der Knöllchen-Hauptstädte des Landes. Täglich werden bis zu 5000 Protokolle verteilt.

Wie kommt man an solche Informationen? Den Anspruch auf freien Zugang zu Daten öffentlicher Stellen in NRW regelt das Informationsfreiheitsgesetz. Sie interessieren sich dafür, wie häufig die Politiker Ihres Wahlbezirks bei Abstimmungen aufgetaucht sind? Oder für die jährlichen Kosten der Stadtbibliothek? Jeder kann gewünschte Auskünfte bei den Behörden anfordern. Wenn es, wie im Falle der Knöllchen, um Millionen Datensätze geht, kann eine Bearbeitungsgebühr anfallen. „Richtig ausgewertete Informationen schaffen Transparenz und können im besten Fall auch Missstände aufdecken und gesellschaftliche wie politische Veränderungen bewirken“, sagt Datenanalyst und „correctiv“-Mitarbeiter Torsten Fischer.

Die Ergebnisse der Knöllchen-Analyse sind vielschichtig. So liefert die Erkenntnis, dass nur ein Prozent der Strafzettel verteilt werden, weil Fahrradfahrer behindert werden, Hinweise darauf, dass hier kein Kontrollschwerpunkt liegt. Das Ordnungsamt will die geringe Zahl an fahrradbezogenen Strafzetteln nicht kommentieren.

Versucht die Stadt Köln mit Strafzetteln Kasse zu machen?

Markus Graf, Verkehrsexperte der Grünen in der Bezirksvertretung Innenstadt, hält rund 29 000 Knöllchen wegen zugeparkter Radwege in drei Jahren für „lächerlich wenig“. Autofahrer, die sich zum Beladen oder Brötchen holen auf Radwege stellen, würden oft nur mündlich verwarnt. „Die Politessen greifen nicht stringent genug durch, außerdem gibt es ein Zuständigkeitsproblem zwischen Ordnungsamt und Polizei“, sagt Graf. Die Ursache des Problems sieht der Kommunalpolitiker „in einer Politik, die immer vom Autofahrer aus denkt“.

Versucht die Stadt Köln, mit Strafzetteln vor allem Kasse zu machen? „Tatsächlich ist der Verkehrsdienst eine Kuh, die viel Milch bringt“, sagt Heribert Büth, Sprecher des Ordnungsamtes, das 230 Politessen und Kontrolleure beschäftigt. Im vergangenen Jahr wurden 34 Millionen Euro eingenommen: 16,1 Millionen durch Falschparker, die restlichen 17,9 Millionen Euro durch Vergehen im fließenden Verkehr. „Es geht uns aber nicht ums Geld verdienen“, versichert Büth. Hauptziel sei es, dass der Verkehr fließt. „Ideal wäre, keine Einnahmen zu haben, weil jeder richtig parkt.“

72 381 Protokolle erhielten Fahrzeughalter, weil der Tüv ihres Wagens abgelaufen war – fast 1,5 Million Euro dürfte die Stadt dadurch eingenommen haben. Und das, obwohl abgelaufene Tüv-Plaketten „nur nebenbei kontrolliert werden“, wie die Politesse Jasmin Wilmes sagt. Wilmes steht vor dem Familienzentrum in der Sieversstraße 37 bis 41 in Kalk und wundert sich, dass vor dem Haupteingang kein Auto im Halteverbot steht. 6262 Knöllchen haben Politessen hier in drei Jahren verteilt.

Fordfahrer erhalten im Kölner Norden viele Knöllchen

An keiner Kölner Adresse hagelte es von 2013 bis 2015 so viele Strafzettel wie vor dem hellgrauen Neubau, der nur einen Steinwurf von der Zentrale des Ordnungsamts entfernt liegt. Die darauf folgenden Plätze belegen die Innenstadt-Bereiche Hohenzollernring 2 bis 18 und Peterstraße 29 an der Zentralbibliothek. Der Urbacher Weg 19, direkt vor der Einfahrt zum Porzer Krankenhaus, ist auf Rang vier. Nach Anschriften auf der vielbefahrenen Hahnenstraße und Neusser Straße folgt auf Platz fünf der Knöllchen-Hitliste die Ludwigstraße 8 mit dem Bezirksausländeramt in der Innenstadt.

Neben solchen Ergebnissen mit Erkenntniswert liefern die Knöllchen-Akten auch kurioses Wissen: So wurden von 24 463 Strafzetteln für Porschefahrer allein 1294 auf der edlen Mittelstraße geschrieben. Vor der Keupstraße 36 gab es in drei Jahren 1174 Verwarnungen, weil ein Anwohnerparkplatz besetzt war. Fordfahrer erhalten im Kölner Norden stark überdurchschnittlich viele Knöllchen, in der City und im Süden sind sie dagegen unterrepräsentiert. Mercedesfahrer bekommen auch in migrantisch geprägten Vierteln wie Chorweiler und Kalk sehr viele Protokolle – BMW-Fahrer nicht.

Typisch deutsch erscheint die Anzahl von 355 „Falschpark-Tatbeständen“, die geahndet werden. „Es bräuchte eigentlich ein zweisemestriges Studium, um alle Tatbestände zu kennen“, sagt Heribert Büth. Jasmin Wilmes und ihre Kolleginnen haben stets einen Zettel dabei, auf dem sie die 100 häufigsten Vergehen nachschauen können. „Ein paar der 355 könnte man sicher weglassen“, sagt sie und schmunzelt. „Vielleicht auch ein paar mehr.“

www.ksta.de/knoellchen-atlas

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