Pilgerreise vor der RenteKölner fährt mit Rad nach Santiago de Compostela

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Der 66-Jährige am Ausgangspunkt der Fahrt vor dem Kölner Dom

Der 66-Jährige am Ausgangspunkt der Fahrt vor dem Kölner Dom

Köln – Der Wunsch hat sich erfüllt, das Ziel ist erreicht, da stellt sich statt Zufriedenheit ein Gefühl der Leere ein, weil nun das Streben nach dem Ziel fehlt. So erging es Hans Körner, als er im Juni nach 2472 Kilometern, die er mit dem Rad von Köln aus zurückgelegt hatte, in Santiago de Compostela ankam, dem Ende des Jakobswegs. „Jeden Tag vorher hatte ich eine Etappe vor mir, jeden Tag hatte ich überlegt und entschieden, wo ich übernachten würde. Jetzt fragte ich mich: Was sollst du morgen machen?“

Es war jedoch nur eine momentane Gefühlslage. Rührung empfand er, als er in der bis zum letzten Platz gefüllten Kathedrale der galicischen Stadt, in der sich die Gebeine des Apostels Jakob befinden sollen, eine Messe miterlebte. Den Höhepunkt hat er auf einem Kurzvideo festgehalten: An einem 66 Meter langen Seil wird, bewegt von acht Männern, der Botafumeiro, ein über 50 Kilogramm schweres Weihrauchfass, hin und her geschwungen, fast bis zur Decke . Vorher hatte sich Körner die Compostela abgeholt, eine in lateinischer Sprache abgefasste Urkunde, die Pilgern den Besuch in der Kathedrale und damit den Abschluss der Wallfahrt bescheinigt.

Blitzartige Idee

Die Geschichte des Jakobswegs habe ihn aus historischen und aus spirituellen Gründen immer interessiert, sagt der 66-Jährige, und Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“, das den Pilgerboom befördert hat, habe er mit Interesse gelesen. „Aber ich hatte nie daran gedacht, mich selbst auf den Weg zu machen.“ Bis ihm im vorigen Jahr „blitzartig“ die Idee gekommen sei: „Das machst du jetzt.“ Die Tour sollte ein „schöner Übergang vom Berufs- ins Privatleben“ sein, sagt der Vater von drei erwachsenen Kindern, der im Januar in Rente gegangen ist und zuletzt zehn Jahre lang im Vertrieb eines Entsorgungsunternehmens arbeitete. „Eigentlich bin ich völlig unsportlich, aber mit dem Rad konnte ich es mir vorstellen.“ 

Die Witwe eines verstorbenen Freundes schenkte ihm dessen achtgängiges Tourenrad, das Körner mit 26 Kilogramm Gepäck belud. Vorne, unterhalb der Lenkstange, hockt immer noch eine Quietsche-Ente mit Wanderstab und olivgrünem Pilgerhut, auf dem eine Jakobsmuschel prangt; an den Gepäckträger steckte er eine Fahne Kölns, die ihn ebenfalls auf dem ganzen Weg begleitete und immer wieder für Kontakte sorgte. Am 28. Februar holte er sich im Domforum den ersten Stempel für seinen Pilgerpass ab, den „Credencial del Peregrino“, der sich etwa einen Meter auseinanderfalten lässt. Er ist nun übersät mit Stempeln; außerdem zeugen die Namen von Städten, die Körner auf das Unterrohr seiner Rads geschrieben hat, von den Stationen seiner Reise.

Mehr als 1500 Fotos

Wolkenhimmel, Felder, Kirchen, Klöster, Brücken, Gastgeber und Mitpilger – auf mehr als 1500 Fotos hat der 66-Jährige seine Eindrücke in Deutschland, Belgien, Frankreich und Spanien festgehalten. Dazu kommt die Fülle der Erinnerungen. Nach einem schlechten Tag, an dem es unaufhörlich geregnet hatte, kam er abends in der westfranzösischen Gemeinde Châtellerault an, ging triefend nass in ein Geschäft, um neue Fahrradtaschen zu kaufen, und kam mit dem Verkäufer ins Gespräch, der gleich erkannte: „Du brauchst ein Bett und eine Dusche!“ Der Mann brachte ihn zu einem Freund, und der entpuppte sich als Kölner, der seit 18 Jahren in Frankreich lebt.

Woanders wiesen ihm Menschen den Weg zu einer Rasenfläche hinter einem Pfarrhaus, wo er sein Zelt aufschlagen konnte. Vor Saint-Jean-Pied-de-Port nahe der französisch-spanischen Grenze, wo der „eigentliche“ Jakobsweg, der „Camino Francés“ beginnt, schob er sein Rad kilometerlang über Pässe, begleitet von einer Frau aus Regensburg, die ihm dann davonfuhr und die er in Santiago wiedertraf, wo sie zwei Tage vor ihm angekommen war.

Die Steigungen verlangten Hans Körner einiges ab, und wenn ihn dann ein Wohnmobil überholte, das hinten eine Vorrichtung zum Fahrradtransport hatte, wäre er am liebsten mitgefahren. „Aber das waren nur kleine Episoden – nach einer Dusche oder beim Abendessen schon vergessen.“ Zwei Mal stieg der Pilger allerdings tatsächlich um. Einmal fuhr er 120 Kilometer mit dem Zug, und wegen Magenproblemen nahm er in Spanien kurz entschlossen einen Bus, der ihn 25 Kilometer bis nach Santo Domingo de Silas in der Provinz Burgos brachte.

Schnarchkonzerte in der Herberge

Wenn Körner nicht sein Zelt aufschlug, ob „wild“ oder auf Campingplätzen, übernachtete er in Pilgerherbergen, deren Ausstattung er mal als „bedenklich“, mal als „komfortabel“ beschreibt. Üblich sind Vielbettzimmer, dafür sind die Preise sehr niedrig. Das Zelt bot den Vorteil, ohne Störungen zu schlafen. „Das Schnarchkonzert in den Herbergszimmern war manchmal fürchterlich. Und an entspannten Schlaf ist kaum zu denken, wenn morgens um fünf andere Leute mit der Stirnlampe herumleuchten, um ihre Sachen zusammenzukramen.“

Neben einem Michelin-Atlas und einem Radtourenbuch für den Jakobsweg benutzte Körner, stets mit blau-gelbem Radfahrerhelm auf dem Kopf, zur Planung und Orientierung eine Navigations-Software. Und immer wieder wiesen Embleme in Gestalt der stilisierten Jakobsmuschel den Weg, gelb auf blauem Grund, oder einfach ein gelber Pfeil. Hier und da unterscheidet sich die Strecke für Radfahrer von derjenigen für Pilger, die zu Fuß unterwegs sind, zum Beispiel dort, wo es sehr steil und steinig ist oder wo es Treppen hochgeht. In Frankreich wählte er eine vom Jakobsweg abweichende Route, weil er die Kathedralen von Amiens, Rouen und Chartres sehen wollte. Durch „wunderbare Orte“ sei er gekommen; zu den Städten, die ein so gutes Radwegenetz haben, „dass sich Köln eine Scheibe davon abschneiden kann“, zählt er Tours und Bordeaux.

Nach der Erkundung von Santiago de Compostela gab Hans Körner sein Fahrrad bei der spanischen Post auf und bestieg ein Flugzeug zurück nach Deutschland. Was sind seine nächsten Pläne, abgesehen davon, Zeit mit der Freundin zu verbringen? Körner will weiter seinem Hobby nachgehen, private Stadtführungen anzubieten. Außerdem schreibt der 66-Jährige, der in Poll wohnt, unter dem Pseudonym Jo Hagen Geschichten, die im Rheinischen spielen.

Halb fertig hat er einen Roman, in dem er das Vereinsleben und die Intrigen im Karneval aufs Korn nimmt; Arbeitstitel: „Krieg der Tollitäten“. Da sich ein Teil des Karnevals in Kneipen und Brauhäusern abspielt, lässt sich sogar ein Bogen zur Wallfahrt nach Santiago de Compostela schlagen. „Köbes“ ist die kölsche Form des Namens Jakob. Nach einer Legende, die Körner erwähnt, gaben Leute, die von der Pilgerfahrt zum Grab des heiligen Jakobus in Santiago zurückkehrten, und durchreisende Pilger in Kölner Gaststätten so viel von ihrer Reise zum Besten, dass sie von den Wirten angestellt wurden.

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