Polizei gibt AntwortenWer waren die kontrollierten Männer in der Silvesternacht 2016?

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Polizei am Kölner Hauptbahnhof: Keiner der Kontrollierten gehörte zu den Verdächtigen des Vorjahres.

Polizei am Kölner Hauptbahnhof: Keiner der Kontrollierten gehörte zu den Verdächtigen des Vorjahres.

Köln – Warum kamen an Silvester 2016 wieder so viele junge arabische und nordafrikanische Männer zum Kölner Hauptbahnhof? Hätten sie nicht wissen müssen, dass sie aufgrund der Ereignisse des Vorjahres, als etliche Frauen Opfer sexueller Gewalt geworden waren, unter besonderer Beobachtung stehen würden? Was wollten sie in Köln?

Diese Fragen trieben viele Bürger und die Kölner Polizeiführung um, seitdem sie in der vergangenen Silvesternacht von der Masse junger Männer mit Migrationshintergrund und aggressiver Grundstimmung überrascht worden waren. Der damalige Polizeipräsident und heutige Staatssekretär im NRW-Innenministerium, Jürgen Mathies, gründete in den darauffolgenden Wochen die Arbeitsgruppe Silvester, die diese Fragen beantworten sollte. In der AG arbeiteten die Polizeibeamten mit Gewaltforschern, Kriminologen und Islamwissenschaftlern zusammen. Im Rahmen eines Symposiums mit dem Titel „Zurück schauen. Nach vorne denken“ kamen am Donnerstag im Kölner Polizeipräsidium Polizei, Politik und Wissenschaftler zusammen. Hier ihre Antworten:

Wer sind die 640 kontrollierten jungen Männer?

Die meisten von ihnen – 59 Prozent – sind zwischen 18 und 24 Jahre alt. Den Erkenntnissen der Polizei zufolge stammt der Großteil aus dem Irak (125) und Syrien (123), dazu 74 Männer aus Afghanistan. Auch 112 Deutsche wurden kontrolliert. Aus den nordafrikanischen Staaten Marokko (21), Algerien (11) und Tunesien (4) stammt demnach nur ein geringer Anteil der kontrollierten Männer.

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Die Polizei hegt allerdings nach wie vor Zweifel an der Richtigkeit der ausgewiesenen Nationalitäten. Von den 394 in der Menge kontrollierten Asylantragstellern konnten 289 kein adäquates Ausweisdokument vorlegen, weshalb in solchen Fällen per se Zweifel vorliegen. Zudem, so Kriminaldirektor Klaus Zimmermann aus dem Leitungsstab der AG Silvester, hätten Streetworker und Beamte mit arabischem Migrationshintergrund während des Einsatzes den Eindruck gewonnen, es seien mehr nordafrikanische Personen anwesend gewesen als die Statistik aussagt. Zudem gebrauchten 67 Personen gegenüber der Polizei falsche Namen. Allerdings kann diese auch nicht beweisen, dass die fraglichen Personen nicht aus den angegebenen Nationen stammen. Sicher ist hingegen: Keiner der Kontrollierten gehörte zu den Verdächtigen des Vorjahres.

Von wo reisten die Männer nach Köln an?

Den Angaben der AG Silvester zufolge wohnen 44 Prozent im Bereich des Kölner Polizeipräsidiums, in Rhein-Berg, Rhein-Erft oder Rhein-Sieg. Weitere 42 Prozent leben ebenfalls in Nordrhein-Westfalen, die restlichen 14 Prozent kommen aus anderen Bundesländern.

Gab es Verabredungen über ein organisiertes Treffen am Hauptbahnhof?

Nein. Die Experten von Polizei und Wissenschaft gehen fest davon aus, dass dem Aufeinandertreffen der meist arabischen Männer weder überörtliche Aufrufe noch organisierte Strukturen zugrunde liegen. Sowohl Recherchen in sozialen Netzwerken und bei muslimischen Institutionen als auch die Befragungen der Kontrollierten „erbrachten keinerlei Hinweise auf gezielte Verabredungen oder öffentliche Einladungen in Chat-Gruppen“, hieß es am Donnerstag. 55 Prozent der befragten Männer gaben sogar an, sich erst am Silvestertag entschlossen zu haben, nach Köln zu fahren, 91 Prozent sogar alleine oder in einer Gruppe von zwei bis fünf Personen. 81 Prozent gaben zudem an, es habe keinerlei Aufrufe gegeben.

Weiß die Polizei, warum die Männer aggressiv waren?

Die Einschätzung der Wissenschaftler gibt zumindest einen Hinweis darauf. Bei einer hohen Zahl junger Männer, die – wie während der Kontrollen – in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden und auf dichtem Raum stehen, können durch die Situation Aggressionen entstehen, heißt es in dem Bericht der AG Silvester. Der im nahöstlichen Raum nicht gelernte Umgang mit Alkohol, der in Deutschland problemlos und preisgünstig zu bekommen ist, wird als weiterer Grund angeführt. Ebenso „kulturelle Missverständnisse in der polizeilichen Kommunikation“, so Carsten Dübbers von der Kölner Polizei. Auf Europäer mache die „ungewohnte Expressivität der Ausdrucksweise“ der arabischen Männer womöglich einen aggressiven Eindruck. Dadurch sei es wohl teilweise auf Seiten der Polizei zu einer falschen Einschätzung gekommen. Auch die Erwartungshaltung der jungen Männer gegenüber der Polizei spielt eine große Rolle. In ihren Heimatländern nehmen sie diese eher als Gefahr wahr. Sprachbarrieren verhinderten zusätzlich eine Entspannung der Situation.

Warum waren überhaupt wieder so viele junge Männer da?

Die Antwort darauf ist verblüffend: Der Großteil der anwesenden und von der Polizei kontrollierten Personen wusste überhaupt nichts von den prägenden Ereignissen an Silvester 2015. Auf 53 Prozent der Befragten trifft das zu, von denen die Polizei sagt, „sie nutzen eher keine deutschen Medien“, durch die sie Kenntnis gehabt hätten. 37 Prozent gaben an, sie hätten zwar davon gewusst, es sei ihnen aber egal gewesen. Sämtliche gewonnenen Erkenntnisse lassen die Experten der AG Silvester zu dem Schluss kommen: „Es ging um das Event, keinesfalls um eine Wiederholung des Vorjahres oder um ein Vorführen der Polizei.“ Mehrere Faktoren hätten der Entwicklung in die Karten gespielt: So sei Köln offenbar weltweit als Partystadt bekannt und besitze eine gute Verkehrsanbindung, die „offene Gesellschaft“ werde ebenso als attraktiv wahrgenommen. Polizist Carsten Dübbers: „Der überwiegende Teil waren Menschen, die in Köln einfach nur feiern wollten.“

Wie sind die Pläne für die diesjährige Silvesternacht?

„Es ist mit erheblichen Anreisen sowohl in Köln, als auch in anderen NRW-Großstädten zur Silvesternacht 2017/2018 zu rechnen“, prognostiziert die AG Silvester. „Wir als Polizei“, so Dübbers, „müssen angemessen, offen und freundlich kommunizieren.“ Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob plant wieder mit einem ähnlichen starken Polizeiaufgebot wie im vergangenen Jahr, als rund 1500 Polizisten zum Einsatz kamen.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker teilte in ihrer Rede am Donnerstag mit, in dieser Woche seien die Arbeitsgruppen für die Planung der Silvesternacht erstmals zusammengekommen. Mit den Ergebnissen sei in etwa vier Wochen zu rechnen.

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