MomentaufnahmeBesondere Augenblicke auf der Kölner Kfz-Zulassungsstelle

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10.15 Uhr

„Tschüss, schönen Tag! Nächster Bitte!“ Die Frau mit dem Kinderwagen darf vor. „Nein, Sie nicht! Ja, Sie! Kommen Sie!“ Ihr Stimme, die Stimme hier, Neudeutsch The Voice, ist warm und resolut. Wer hier wartet, hört gleich, aha: Da ist der Boss.

Als Ulviye Kilic 1997 am Informationsschalter der Kölner Kfz-Zulassungsstelle ihren Dienst antrat, nahm sie, was sie kriegen konnte im Zuge einer von-wem-nur-so-genannten: „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“. Neunzehneinhalb Jahre und hochgerechnet fast eine Million Kunden später ist Ulviye Kilic längst die Königin der Zulassungsstelle.

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Hart und herzlich: Ulviye Kilic

Die Familie steht jetzt am Schalter, Kilic wechselt vom Kölschen ins Türkische, ein warmer Blick für das Kleinkind – ein Schreien, und sie hätte eine Süßigkeit hervorgezaubert. „Schönen Tag, Nächster bitte!“ Für Floskeln ist weder Zeit noch Raum, nichts hört sich bei ihr angelernt an: Ulviye Kilic ist Ulviye Kilic.

10.29 Uhr

Der 63-jährige Peter Spohr steht im Blaumann vor Kilic. „Und wie jeht et?“ „Am liebsten joot!“ Spohr stand im Stau auf der A4, musste in Bayenthal abfahren und quer durch die Stadt gurken, verfuhr sich, „weil das Navi mich mal wieder fehlgeleitet hat“. Für seinen Arbeitgeber, eine Reparatur- und Verkaufswerkstatt, meldet er einen Polo ab und einen Ford an.

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Mag Frau Kilic: Peter Spohr

Als er die Wartemarke 1182 erhalten hat, setzt er sich und deutet gen Kilic, die einen 120-Kilo-Rohrspatz zurechtweist: „Wenn Sie hier mit mir diskutieren wollen: Da ist der Ausgang!“ „Die hat Haare auf den Zähnen“, sagt Spohr, „die weiß, wie sie die Leute hier anpacken muss. Sehr gute Frau.“ Ein halbes Jahr wird Spohr noch arbeiten, dann geht seine Frau in Rente – die zwei wollen dann reisen, durch Italien, mit ihrem Audi. „Autos sind für mich Nutzfahrzeuge“, sagt Peter Spohr. „Sie sollen fahren.“

Ein- bis zweimal die Woche kommt die Polizei

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10.52 Uhr

Das sieht der Mann, der nach einigen Millionen Stunden in Sport- und Sonnenstudios und Pizzerien aussieht und mit einem Porsche Cayenne vor der im gleichen Gebäude befindlichen Spielhalle steht, leicht anders. „Nenn mich Ali“, sagt er, und, das Auto streichelnd: „Wer so ein Auto hat, hat keine Sorgen.“ Er melde den Wagen aber bloß an, sagt er. Er könne viel mehr erzählen, sagt „Ali“, wolle er aber nicht.

Heinz-Dieter Schnieders, Vize-Chef der Zulassungsstelle, ist mit den Zulassungsdiensten nicht immer zufrieden. „Die denken manchmal, sie sind die Könige und müssten sich nicht an die Gepflogenheiten des Hauses halten. Das ist für unsere Außenwirkung nicht gerade günstig.“ Mit dem Image sei es ohnehin so eine Sache: „Das ist nicht das beste, auch, weil wir zum Ordnungsamt gehören und hier Konflikte haben, die dazu führen, dass wir die Polizei rufen müssen.“

Im Schnitt komme ein- bis zweimal pro Woche die Polizei, sagt Schnieders, und gibt ein Beispiel: „Hin und wieder kommen Sozialhilfeempfänger, die ein 50.000-Euro-Auto anmelden wollen. Da müssen wir nachrecherchieren.“ Wenn ein Auto nicht angemeldet wird, weil sich „Ungereimtheiten“ auftun, kann es ungemütlich werden. „Deswegen haben wir hier Wachleute.“

11.04 Uhr

Einer der Sicherheitsmenschen heißt Anatolij Roleder, ist gelernter Herrenfriseur, der Bürstenschnitt und sonst nichts erinnert an Terminator Schwarzenegger. Roleder ruht in sich wie die glatte See. Der 43-Jährige hat schon als Baggerführer und Fliesenleger gearbeitet, Aufpasser ist er gern. „Gut ist mein Job, wenn ich Menschen helfen kann, das ist oft“, sagt er. „Nicht so gut ist er, wenn ich verhindern muss, dass es explodiert.“

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Entspannt: Anatolij Roleder

Das ist nicht wörtlich zu nehmen, auch wenn stehengelassene Taschen und Rucksäcke den Betrieb schon öfter gestört haben – „und man damit inzwischen leider unbewusst Gefahr verbindet“, wie Heinz-Dieter Schnieders sagt.

Wenn es an der Info-Theke bei Frau Kilic oder bei den Sachbearbeitern zu explodieren droht, ist Roleder da. „Sobald einer unsere Mitarbeiter anschreit, ziehe ich ihn raus.“ Gut, dass Roleder Russisch und Lettisch spricht und Ulviye Kilic Türkisch – „so verstehen wir fast jedes Schimpfwort. Wir lernen aber trotzdem immer neue.“

Helfen, lachen, witzeln, flirten, maßregeln

11.22 Uhr

Frau Kilic funkelt auch deswegen so, weil die Kfz-Zulassungsstelle ist, wie Kfz-Zulassungsstellen sind: Grauer Boden, grelles Licht, der Mensch eine Nummer, die Wartehalle ist kein Erotikparadies, auch wenn alle das Gleiche wollen. Die 54-jährige hilft, lacht, witzelt, flirtet, maßregelt, bewegt gelangweilte Gesichter, mehr geht hier kaum.

11.33 Uhr

Markus Lange hatte sich im Internet einen Termin geholt und ein Nummernschild mit Wunschkennzeichen, weil das günstiger sei als es hier zu ordern. Neun Minuten hat er gewartet, jetzt geht er zum Auto, um das Kennzeichen anzuklippen. Der Buchstabe M steht für den Vornamen von ihm, den seiner Frau und jenen seines Vaters; die Zahl 739 ist das Geburtsdatum Vaters, der vor Kurzem gestorben ist. „Das Nummernschild erinnert uns an ihn.“

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Effektiv und emotional: Markus Lange

Als er seinen Kleinstwagen starten will, fragt ein Mann namens Vasta, ob er ihm kurz helfen könne? Er hat zigfach versucht, seinen gestern gekauften Twingo anzulassen, doch der hat nur jämmerlich gejapst. „Schwierig, ich weiß nicht so genau, wie das geht mit meinem neuen Wagen“, sagt Lange, und empfiehlt ein größeres Auto. Martina bietet ihren Ford an, beim Anklippen des Überbrückungskabels gibt es einen Kurzschluss. Der Motor faucht nur kurz. Da ruft ein Mann, der rauchend am Eingang zur Spielhalle lehnt: „Elektronische Wegfahrsperre. Einmal abschließen und wieder aufschließen.“ Und siehe da: Der Motor springt an. Der Ratgeber heißt Günter und hat sich wieder vor einen Automaten in der Spielhalle begeben. „Ich mache hier Zulassungsdienst“, sagt Günter. „Da hat man zwischendurch Zeit. Manchmal gewinne ich, meistens verliere ich.“

11.45 Uhr

„Können Sie noch stehen?“, ruft Ulviye Kilic einem älteren Mann zu, dem sein Nummernschild aus der Hand geglitten ist. „Wenn nicht, lasse ich mich einfach in ihre Arme fallen“, sagt der Mann. „Da han ich jrad keen Zik für“, ruft Kilic, „ein andermal gern!“

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