NachbarschaftsprojektPoller Bürger säen und ernten ab jetzt gemeinsam

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Christoph Finke bei der Arbeit auf seiner Gartenparzelle.

Christoph Finke bei der Arbeit auf seiner Gartenparzelle.

Köln-Poll – Vor über einem Jahr kam Vincent Wind die Idee, einen Gemeinschaftsgarten für Nachbarn zu organisieren. Er hatte von ähnlichen Projekten von Bürgern in Detroit erfahren, die auf ihren Dächern Gemüse anbauen und sich so zum Teil selbst versorgen. Warum also nicht auch auf Kölns fruchtbaren Böden? „Ich weiß selbst sehr wenig vom Gärtnern und wollte so auch einen Wissensaustausch zwischen den Nachbarn erreichen“, erzählt Wind.

So machte er seinen Vorschlag beim Ideentausch, einem Nachbarschaftsprojekt aus dem auch der Poller Hof- und Garagenflohmarkt hervorging, und fand bald weitere Mitstreiter. Schnell fiel ihnen das brachliegende Gelände Auf dem Sandberg ins Auge, doch mit ihrem Projekt, bei dem sich Nachbarn locker einbringen sollten, konnten sie die Fläche nicht mieten. Schließlich konnten sie den Verein Designcooperation dafür gewinnen, ihr Projekt zu unterstützen, die Fläche von der Stadt anzumieten und den Nachbarn zur Verfügung zu stellen.

Nur Brennessel und Disteln

Der Anfang: Wie sollte die ehemalige Kiesgrube nutzbar gemacht werden? „Die ganze Fläche bestand aus riesigen Brennnesseln und Disteln“, erinnert sich Wind, „man konnte so das Grundstück kaum betreten.“ Doch hier nahte Hilfe aus der Nachbarschaft: Bauer Heinz-Georg Kleinschmidt, der seinen Hof gegenüber des Gartens betreibt, mähte mit seinem Traktor das Unkraut ab und ebnete so den Weg für Beete.

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Kontakt

Der Bürgergarten befindet sich an der Straße Auf dem Sandberg gegenüber vom Bauernhof Kleinschmidt. Interessierte können sich im Internet informieren und für das Projekt anmelden. Dort steht auch, was die Gärtner gerade benötigen und was gespendet werden kann.

Mehr Infos unter garten.ideentausch.org.

Diese wurden von den Nachbarn abgesteckt, vermessen und kartographiert, sodass jeder eine Karte der verfügbaren Beete auf der Internetseite finden konnte. Bald beantragten immer mehr Nachbarn ihre Wunschfläche und bekamen sie auch zugewiesen. „Bei uns gibt es, außer der Vorgabe keine Insektizide und Pestizide zu verwenden, keine Regeln, jeder kann seine Fläche so nutzen wie er möchte“, erklärt Vincent Wind das Konzept. Auch eine Verwaltung gibt es nicht. Über einen E-Mail-Verteiler kommunizieren die Nachbarn neue Ideen und organisieren sich.

Das Gärtnern: Die mehrheitlich landwirtschaftlich ungeübten Städter mussten das Gärtnern von der Pike auf lernen. So erfuhren sie vom Bauern, dass sie ihre Gartenfläche erst einmal umgraben mussten – reines Unkraut jäten reichte nicht aus. „Den Rest lernten wir Stück für Stück“, sagt Wind. Oft stand Heinz-Georg Kleinschmidt ihnen mit Rat und Tat zur Seite, spendete Saatgut und gab Tipps für die beste Kartoffelernte.

Auch die Kleingärtner von nebenan halfen ihren Nachbarn und machten auf Fehler aufmerksam. Die Füllung eines großen Wasserbehälters spendete die Rheinenergie und sämtliche Geräte und Sitzmöglichkeiten organisieren die Gärtner selbst. Für die Bestäubung der Pflanzen sorgt ein Bienenvolk, das von einer Imkerin betreut wird.

60 Bürger machen mit

Die Gärtner: Mittlerweile gärtnern 60 Poller Bürger auf 27 Gemüseinseln. Außerdem steht allen eine Gemeinschaftsfläche zur Verfügung, auf der jeder mitarbeiten und ernten kann. Um auch Kinder an das Gärtnern heranzuführen, hat die benachbarte Kita eine eigene kleine Gartenfläche. Die Kinder haben jedoch noch eine weitere Fläche für sich erobert: „Bei unserem ersten Treffen bestanden die Kinder darauf, eine eigene Fläche zugewiesen zu bekommen und drohten damit, sonst ins Bett zu machen“, lacht Vincent Wind. So bekamen die Kinder ihr Stück Land, das Erwachsene nur mit ausdrücklicher Erlaubnis betreten dürfen. Darüber hinaus gibt es eine Forschungsfläche, die jeder mit einem kleinen Experiment bewirtschaften kann, egal ob dies funktioniert oder nicht. Pflaumen-, Kirsch-, Walnuss-, Apfel- und Haselnussbäume spenden Schutz und Schatten und können von allen Gärtnern geerntet werden.

Auch der 31-jährige Christoph Finke fand die Idee gut und meldete sich mit seiner WG-Mitbewohnerin für eine Fläche. Er ist ein- bis zweimal in der Woche dort um seine Kartoffeln, Tomaten, Zucchini und Kohlrabi zu pflegen. „Ich freue mich immer wieder, wenn ich sehe, wie alles fröhlich vor sich hin wächst“, berichtet Finke.

„Dabei sind die hier geernteten Gemüse vom Geschmack her kein Vergleich zu dem, was man im Supermarkt kaufen kann“, fährt er fort. Für ihn steht allerdings nicht nur das Ernten, sondern vor allem der Kontakt zu seinen Nachbarn im Vordergrund: „Das Schönste ist, wenn man eigentlich nur kurz herkommen wollte, dann aber Nachbarn trifft und sich noch lange etwas erzählt.“

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Dies ist auch für den Ideengeber wichtig. „Die Flächen sind nicht groß genug, um eine Selbstversorgung zu ermöglichen, sie dienen vor allem dazu, Nachbarn zusammenzubringen und so ein Gemeinschaftsgefühl zu kreieren“, erklärt Vincent Wind. So entsteht auch langsam eine Gemeinschaftsecke, in der schon ein Grill und Sitzmöglichkeiten stehen. „Jeder spendet das, was er gerade entbehren kann“, sagt Vincent Wind, „Wir haben jetzt im Sommer schon schön miteinander gegrillt.“

Gärtner wechseln

Die Zukunft: Bis auf eine Fläche sind mittlerweile alle Gemüseinseln vergeben, jedoch sieht das Projekt vor, dass die Gärtner je nach Nachfrage ein- bis zweijährlich wechseln und so jeder Poller die Gelegenheit bekommt, mitzugärtnern. Außerdem ist ein Werkzeugschrank, Kompostkasten, Fischteich und eine kleine Hühnergruppe angedacht. „Auch einen Hühnerstall wollen wir selbst bauen“, sagt Wind. Auch ein Weinanbau in Kooperation mit dem Stadt-Winzer sowie der Versuch Gemüse auch vertikal anzubauen sind geplant.

Mitmachen kann jeder, der in Poll wohnt. Auf der Internetseite des Bürgergartens gibt es einen Lageplan sowie die Möglichkeit sich für eine Gemüseinsel anzumelden. Sollten die Inseln vergeben sein, gibt es die Möglichkeit, auf den Gemeinschaftsflächen mitzuhelfen. Die Nutzung ist kostenlos.

Gartentipps: In diesem Jahr haben die Gärtner vieles über den richtigen Anbau von Gemüse gelernt. So mussten sie schmerzlich erfahren, dass Tomaten Schutz brauchen und keinen direkten Regen vertragen. Außerdem haben die Pflanzen mehr Kraft, wenn überschüssige Triebe herausgeschnitten werden. Radieschen können auch jetzt noch angebaut werden, da sie sehr schnell wachsen und gut gedeihen.

Um die Wasserversorgung der Pflanzen zu gewährleisten eignen sich mit Wasser befüllte Glasflachen in deren Deckel ein Loch gemacht wurde und die dann mit dieser Öffnung in den Boden gesteckt werden können. Dadurch fließt je nach Bedarf Wasser nach. Weitere Tipps, wie zum Beispiel eine Bauanleitung für ein Hochbeet, veröffentlichen die Gärtner auf ihrer Internetseite.

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