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Campingplatz Köln-RodenkirchenAn Rheinkilometer 681 liegt das Paradies

Lesezeit 6 Minuten
Nur ein paar Schritte sind es für die Camper von ihren Wohnwagen bis zum Rhein-Strand.

Nur ein paar Schritte sind es für die Camper von ihren Wohnwagen bis zum Rhein-Strand.

  • Hunderte von Kölnern und Menschen aus der Region campen am Rheinufer.
  • In Rodenkirchen kosten die Camper ihre Freiheit aus.

Rodenkirchen – Aus der Sicht vieler Erholung suchender liegt das Paradies Tausende von Kilometern entfernt in der Südsee, am Indischen Ozean oder in der Karibik. Für Hunderte von Kölnern und Menschen aus der Region befindet sich das Paradies jedoch in unmittelbarer Nähe: am Rheinkilometer 681.

Dort wachsen zwar keine Palmen, und was einen in der Frühe weckt, ist nicht der Schrei eines exotisches Tieres, sondern das mitunter penetrante Gurren einer gewöhnlichen Großstadttaube oder die Motorgeräusche vorbeifahrender Schiffe. An schönen Tagen muss man höllisch aufpassen, um auf dem asphaltierten Uferweg nicht von einem Fahrradfahrer umgenietet zu werden, und dann sind da auch noch Horden von Spaziergängern, deren Blicken oft zu entnehmen ist, dass sie nicht wirklich verstehen, was andere Artgenossen so faszinierend daran finden, Wochenende für Wochenende auf demselben umzäunten Terrain Klappsessel aufzustellen.   Von außen betrachtet ist solch ein Zaun wahrscheinlich ähnlich schlecht mit dem Gefühl von Freiheit vereinbar wie ein Päckchen Butter mit Sonnenschein. Tatsächlich ist es jedoch genau das, was die Camper am Rhein empfinden und auskosten: Freiheit.

Dineo, Till, Jemima und ein paar andere Kinder stehen knietief im Rhein und suchen nach Muscheln und anderen Schätzen. Ein paar Hunde tollen im Wasser und bescheren den Erwachsenen auf ihren bunten Laken zwischendurch fellschüttelnd eine Mini-Dusche. Sabine Schneider und ihr Mann André kommen aus Siegburg und haben dort ein Haus mit Garten. Doch seit 15 Jahren fährt das Ehepaar mit seinen fünf Kindern – das älteste 20, das jüngste vier – nahezu an jedem Wochenende zwischen Ostern und Oktober auf den Rodenkirchener Campingplatz. „Wir flüchten von zu Hause, um die Freiheit hier auskosten zu können“, sagt Sabine Schneider. Die Kinder hätten einen viel größeren Bewegungsradius, der Strand sei  „wie an der Südsee“, und außerdem träfen sie hier „ganz viele nette Leute“.

Hinsetzen und die Leute angucken

Auf die müssten Marlies und Dieter bei sich daheim lange warten. Die beiden Dauercamper im Rentenalter sind eigentlich in Goch zu Hause, und wohnen dort am Ende einer Sackgasse. Bis auf den Briefträger kommt da keiner vorbei. Wenn sie jedoch auf ihren gemütlichen Gartensesseln vor dem geräumigen Vorzelt ihres Wohnwagens sitzen, haben sie es sogar besser als ein Theaterzuschauer: Sie sitzen bequemer und  erleben eine Ganztagsvorstellung, bei der sie sich mit einem Gläschen Weißwein zurücklehnen und noch dazu jederzeit aktiv in das Geschehen eingreifen können.

„Stopp, stopp stopp“, brüllt jemand in der Nachbarschaft, als ein Wohnmobil mit Schweizer Kennzeichen beim Rangieren fast den  Baumstamm touchiert. Die Insassen, die passenderweise auch Schweizer heißen, haben Glück, noch einen Platz mit Rheinblick zugewiesen bekommen zu haben. An schönen Wochenenden ist das schier aussichtslos, aber die Menschen in der dritten oder vierten Reihe genießen nicht weniger Rheinfeeling. Da sind Birgit und Monika, ein Frauenpaar aus Schwaben, das mit seinem „Unser blaues Wunder“ getauften VW-Bus gerade auf Jungfernfahrt ist; da ist Andreas aus Köln-Nippes, der mit Freundin und Schäferhundin namens Motte im brandneuen Zelt nächtigt. „Das ist hier einfach der kürzeste Weg, um Urlaub zu machen.“ 17 Minuten hat der Aufbau gedauert. „Beim nächsten Mal geht es bestimmt noch schneller.“

Da ist Aalt Toerson, in dessen Bus die beiden alten 50-Kubik-Motorräder stehen, mit denen der ehemalige Rennfahrer aus den Niederlanden 1969 und 1970 Vizeweltmeister wurde. Jetzt ist der 70-Jährige mit seiner Frau auf dem Weg zu einem Veteranenrennen.

Mit jedem per Du

Ein paar Meter weiter wohnt der Engländer Dave. Der 72-Jährige landete seinerzeit als Single in Köln und lernte dann seine Frau kennen. Eines Tages zog er los, um eine neue Couchgarnitur zu kaufen. Als er zurückkam, verkündete er seiner Gisela, er habe tatsächlich eine Couchgarnitur erstanden. „Aber da wäre noch eine Kleinigkeit“, fügte er hinzu. „Da sind Wände drumrum.“ Irgendjemand war ihm an diesem Tag über den Weg gelaufen, der einen Wohnwagen zu verkaufen hatte. Inzwischen ist der Brite seit 33 Jahren auf dem Platz, obwohl er nur 500 Meter Luftlinie entfernt wohnt.  

Motivationscoach Frank Wilde lässt sein kleines, innen bewusst auf edel getrimmtes Wohnmobil regelmäßig zum Kölner Rheinufer rollen. Er kriege in Hotels keine Luft, sagt der Mann, der das Buch  „Beweg Deinen Arsch“ geschrieben hat. „In den meisten kannste ja nich’ mal ein Fenster aufmachen.“

Auf dem Campingplatz gebe es weder geografische noch soziale Trennlinien, sagen die Gäste; man sei  mit jedem per Du – egal ob Handwerker, Steuerberater oder Lungenspezialist. Man helfe  sich gegenseitig, und es spiele keine Rolle, ob jemand mit einem verbeulten Bus oder einer Luxuslimousine vorfahre. Natürlich wird ein Mobil wie das silbergraue Edelgefährt der Marke Niesmann &  Bischoff  neugierig umkreist und gefachsimpelt, ob für die Anschaffung 200.000 Euro ausreichend waren. Fakt ist, dass der Besitzer sich wohl jedes Fünf-Sterne-Hotel leisten könnte und trotzdem lieber mit kurzer Hose und Schlappen in Rheinnähe an seinem Campingtisch sitzt.

Dauerplatz an der Rodenkirchener Riviera

Das tun auch Markus und Petra aus Paderborn, die jedes Wochenende mindestens drei Stunden Auto fahren, um zwei Tage auf ihrem Dauerplatz an der Rodenkirchener Riviera verbringen zu können. Beide lieben „das südländische Flair“ und die Kölner Geselligkeit, „dieses Nicht-lange-rumfackeln, sondern den Moment genießen“.

Familie Schneider ist  vom Strand zurück und deckt zwischen ihrem alten Bulli, einem T2 in Originallackierung, und dem alten Eriba-Wohnwagen den Abendbrottisch. Inzwischen ist es 17.30 Uhr, und man hat das Gefühl, dass die Lufttemperatur noch einmal sprunghaft steigt, weil überall die Holzkohlegrills angeworfen werden.  „Früher war Camping ja total spießig“, sagt Sabine Schneider und nennt nur zwei Attribute: Gartenzwerge und Jägerzaun. „Aber der Berger hat das total entstaubt“, sagt sie mit Blick auf den Chef des fünf Hektar großen Areals, der viele junge Familien auf den Platz geholt hat und seinen Gästen offenbar weitaus mehr Spielraum lässt, als das anderswo üblich ist.

Bernhard Berger führt den Campingplatz in der dritten Generation, sein Großvater Jakob war es, der 1931 das erste Zelt auf den Platz setzte. Heute gibt es hier 280 Stellplätze und somit an guten Tagen zwischen 600 und 800 Leuten.

Man bekommt alles mit

Soeben hat unten am Ufer ein Floß angelegt. 14 Mann aus Vettelschoß bei Linz haben sich Köln als Ziel ihrer zweitägigen Flussfahrt auf der neun mal vier Meter großen „Jenny3“ ausgeguckt. Irgendwie kriegen wir die auch noch unter, meint Berger und begibt sich auf Lückensuche.  Sie sei früher „der totale Anti-Camper“ gewesen, bis Nachbarn in Siegburg sie gewissermaßen infiziert hätten. Nach zwei Jahren auf der Warteliste hätten sie nun auch einen Wohnwagen und seien Rodenkirchen-Fans, sagt Estelle. Für ihre Kinder sei es wie ein Heimkommen am Wochenende und für sie selbst wertvolle Familienzeit. Genau wie Sabine Schneider gefalle ihr das reduzierte Leben. „Zu Hause ist oft alle Zeit verplant. Hier habe ich alle Zeit, und hier will auch keiner verplant werden.“ Natürlich geht auch Privatsphäre verloren, und jeder kriegt es mit, wenn irgendwo mal die Fetzen fliegen. „Aber hier wird man auch wieder aufgefangen“, sagt Nicola, deren zehnjähriger Sohn quasi mit Zelt auf die Welt gekommen ist. In der Südstadt, wo sie wohnt, könnte    Tim jetzt nicht mit seinem neuen Elektroboard durch die Gegend kurven. Und er wäre allein. Hier trifft er auf Gleichaltrige. Und wenn es regnet, gibt es Vorzelt-Hopping. Da kann es  –  wie bei den jüngsten Wolkengüssen   –  auch mal eng unter der Plane werden. „Letztens hatte ich 21 Leute hier, das war schon ein Abenteuer“, sagt Astrid, die regelmäßig am Wochenende aus der Südstadt kommt und das Credo von Platznachbarin Marlies blind unterschreiben würde: „Ich fahr hier drauf und denke: Jetzt könnense mich all!“

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