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Getöteter Jugendlicher„Du fackelst mir noch die Wohnung ab“

Lesezeit 4 Minuten
Polizeibeamte sichern Spuren in und vor dem Gebäude am Zollstocker Gottesweg.

Polizeibeamte sichern Spuren in und vor dem Gebäude am Zollstocker Gottesweg.

Zollstock – Es sind dramatische Szenen, die sich Montagabend in Zollstock abspielen: Semmy D. steht auf dem Fenstersims seiner Wohnung am Gottesweg, ruft verzweifelt um Hilfe, fürchtet um sein Leben. Denn in dem kleinen Appartement wütet der 52-jährige Fernando S., schüttet vermutlich Benzin aus einem Kanister aus. Nachbarn werden wach, hören den Krach aus der Wohnung. „Du fackelst mir noch die Wohnung ab“, soll D. in Panik geschrien haben, berichtet eine Nachbarin.

Knapp zwei Minuten später erschüttert ein Knall das Haus, den Zeugen sogar noch im mehr als einen Kilometer entfernten Unicenter hören. Die Druckwelle der Verpuffung ist so stark, dass Semmy D. mitsamt Fensterrahmen in die Tiefe geschleudert wird. Er fällt erst auf ein Vordach, schlägt dann auf dem Asphalt auf. Seine Sturzverletzungen sind so schwer, dass er eine Stunde lang reanimiert werden muss. Gegen 22.15 Uhr werden die Rettungsmaßnahmen eingestellt. Semmy D. stirbt, er ist 17 Jahre alt.

Am Tag danach kommen die Umstände der Tat ans Licht. Der Jugendliche hatte eine Liebesbeziehung zu einem 14-Jährigen Mädchen, der Tochter von Fernando S. Immer wieder gab es deswegen Streit, zuletzt besonders heftig im Mai und im Juli. Die Einsätze liefen unter dem Stichwort „Häusliche Gewalt“. Wie zu erfahren war, hatte S. seine Tochter geschlagen und auf übelste Art und Weise beschimpft. „Auslöser war in diesen Fällen die Beziehung der 14-Jährigen zu dem jetzigen Opfer. Der Vater hatte beim letzten Vorfall auch den 17-Jährigen bedroht“, sagte Oberstaatsanwalt Alf Willwacher. Darüber hinaus sei der Mann bis dato nicht polizeilich auffällig geworden.

Auch am Montagabend soll die 14-Jährige bei ihrem Freund gewesen sein. Sie verlässt die Wohnung aber, bevor ihr Vater dort auftaucht. Semmy D. hat offenbar schon geahnt, dass es an diesem Abend noch Probleme geben könnte. Gegen 20.15 Uhr ruft er bei der Polizei an, fragt in ruhigem Ton nach, was er unternehmen solle, wenn „jemand gleich“ seine Tür eintreten und ihn zusammenschlagen wolle. Andeutungen auf den gewalttätigen Vater seiner Freundin macht er nicht. Für den Beamten in der Leitstelle ist eine unmittelbare Gefahr darum nicht zu erkennen. Er rät ihm, im Notfall sofort die 110 zu wählen.

Als der 17-Jährige gegen 21.08 Uhr wieder den Notruf wählt, ist er in heller Aufruhr. „Meine schwangere Tochter wurde durch den Streit wach“, berichtet Nachbarin Silvia M. Die 21-Jährige ist im sechsten Monat, flüchtet nach dem Knall aus dem Haus. Im Keller unterrichtet Stefan Nordin Abdelbaki gerade zwölf Schüler in Kampfkunst: „Ich dachte erst, da habe ein Lkw irgendwas Schweres abgeladen, so laut war der Knall.“ Als er in den Hof tritt, sieht er Semmy D. verletzt dort liegen. Zwei weitere Hausbewohner erleiden einen Schock. Das Appartement von Semmy D. brennt komplett aus. Laut Feuerwehr sind die zehn Wohnungen im Dachgeschoss durch die Ausbreitung des Rauchs nicht mehr bewohnbar.

Während der Löscharbeiten bemerken die Feuerwehrleute vor dem Haus einen Mann mit schweren Brandverletzungen. Es ist Fernando S., der mit seiner Familie in Raderthal wohnen soll. „Polizisten gegenüber machte er Angaben zum Brandgeschehen und seine Beteiligung“, so Alf Willwacher. S. liegt derzeit im künstlichen Koma in einer Klinik.

Die Staatsanwaltschaft wertet den Vorfall als Mord und wird einen Haftbefehl beantragen. Am Dienstagmorgen untersuchen Sachverständige die Wohnung, Brandermittler der Polizei setzen Hunde ein, um den Ablauf zu rekonstruieren. Eine Mordkommission sucht Zeugen der Tat. Sie muss klären, warum der 52-jährige Vater ausrastete, was er gegen die Beziehung zwischen seiner Tochter und dem 17-Jährigen einzuwenden hatte. Semmy D. wohnte allein in dem Appartement, war erst vor kurzem eingezogen. Computerspiele waren sein Hobby, über Netzwerke spielte er den Egoshooter „Counterstrike“. Montag, 12.50 Uhr, ist in einer Internetcommunity der letzte Spieleeintrag registriert. Neun Stunden später ist Semmy D. tot.

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