Mein VeedelMit Erdmöbel-Sänger Markus Berges durch Köln-Zollstock

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Die Kirschblüten am Kalscheurer Weg/Ecke Kendenicher Straße, in der Nähe seines Hauses, läuten für Markus Berges jedes Jahr den Frühling ein.

Die Kirschblüten am Kalscheurer Weg/Ecke Kendenicher Straße, in der Nähe seines Hauses, läuten für Markus Berges jedes Jahr den Frühling ein.

  • Seit mehr als zehn Jahren lebt Erdmöbel-Sänger Markus Berges im Kölner Stadtteil Zollstock.
  • Sein heimliches Lieblingsviertel ist aber Kalk. In Zollstock vermisst der Musiker Kneipen und Multikulti.

Zollstock – Nur einen kräftigen Steinwurf entfernt von Markus Berges Zuhause reihen sich Tausende Gräber aneinander. Dass der Sänger der Kölner Band Erdmöbel ganz in der Nähe des Südfriedhofs wohnt, ist irgendwie stimmig und sogar ein bisschen witzig – als Erdmöbel wurden in der DDR umgangssprachlich Särge bezeichnet.

Ein Wortspiel, das typisch ist für Berges Liedtexte, deren Doppelbödigkeit und Poesie republikweit von Musikkritikern und Fans gefeiert wird.

Poetisch beginnt auch der Spaziergang durch Berges Wahlheimat Zollstock: Der 49-Jährige schlägt als Treffpunkt die Ecke Kalscheurer Weg/Kendenicher Straße gegenüber vom Friedhof vor – „an den rosa Blüten“.

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Er liebt die Zierkirschen, die an der Kreuzung derzeit blühen, die sich rasant verschwendende Pracht, die er aus dem Garten seiner Eltern kennt. Für ihn bedeuten diese Blüten: Frühlingsanfang.

Es war im Jahr 1995, als sich Berges gegen Münster und für Köln entschied. Zunächst lebte er in Kalk, bis heute sein „heimliches Lieblingsviertel“ in Köln. Skeptisch sei er gewesen, als er mit seiner Familie nach Zollstock zog. Skeptisch sei er immer noch.

Ein Bandkollege habe ihn beschworen: „Sag auch etwas Gutes über Zollstock“, erzählt Berges lachend, während wir in die Siedlung der Wohngenossenschaft Kalscheurer Weg einbiegen, wo er wohnt.

Hier gebe es nichts zu meckern, stellt der Sänger fest und erzählt flugs die Geschichte der Indianersiedlung, wie sie eher von den Auswärtigen genannt wird. Wie die Siedlung um die Jahrtausendwende bedroht war, weil das Gelände verkauft werden sollte, bis sich die Genossenschaft gründete.

„2005 haben wir uns dann hier eingenistet“, sagt Berges, und meint damit: sich, seine Frau, seine Tochter (11) und seinen Sohn (16). Eine heterogene, alternative Gemeinschaft wohne in der Siedlung.

Kurios: Die Straßen haben keine Namen, sondern nur Buchstaben. „Hat ewig gedauert, bis der Postbote die Post bei uns richtig zugestellt hat“, sagt Berges.

Zwischen Dorf und Großstadt fühlt sich der Sänger hier – und darum wohl. Er zeigt auf die eingeschossigen Häuser: „Im Sommer, wenn alles grün ist und überwuchert, sieht man die kaum noch.“ Wie zum Beweis der Siedlungsidylle taucht eine Pferdekoppel am Wegesrand auf.

Was Markus Berges an Zollstock nervt und wo es das beste Eis gibt

Als wir am anderen Ende die Siedlung verlassen und wieder an der Friedhofsmauer entlangspazieren, kommt die Sprache auf das, was Berges in Zollstock fehlt: vor allem mehr sichtbar migrantische Kultur, wie in Kalk. „Ich war so genervt von der Einkaufssituation, als wir hierherzogen, dass ich die erste Zeit immer nur am Eigelstein einkaufen gegangen bin, wo unser Studio liegt. Es gab in Zollstock keinen türkischen, keinen Asialaden.“

Irgendwann, endlich, habe ein türkisches Geschäft aufgemacht, das „Bazar“ am Höninger Weg. Auch ein paar „coole Kneipen“, die vermisst er. „Ein Hauch von Gentrifizierung, das wäre schön. Wenn ich abends ausgehen will, fahre ich immer in die Stadt. Ist doch komisch, dass man in Köln das Gefühl haben kann, in die Stadt fahren zu müssen.“

Am Höninger Platz steuern wir auf das Eiscafé Van der Put zu. „Der einzige Laden in Köln, in dem es die Sorte Pinien-Mandelkrokant gibt“, sagt er und lädt zum Probieren ein. „Schmeckt gut, oder?“

Den Platz mag er, obwohl er verbaut wirkt mit den Straßenbahnschienen, die mittendurch verlaufen. Sogar das Mini-Hochhaus mit dem Beton-Charme der 70er Jahre auf der anderen Platzseite findet sein Wohlwollen: „In zehn Jahren wird so etwas wieder als schön gelten.“

Richtig hässlich in Zollstock findet er ausschließlich die Europaschule, die sein Sohn besucht. „Die wurde kürzlich unter Denkmalschutz gestellt – eine interessante Idee“, sagt er mit ironischem Unterton. Ansonsten sei die Schule aber gut.

Gleich um die Ecke des Eiscafés, am Höninger Weg, zeigt er auf das Restaurant „Sankt Petersburg“, einer Stadt, in der die Erdmöbel einen ihrer erinnerungswürdigsten Auftritte hatten. „Der Kuchen hier ist sensationell“, sagt er. Berges, mit Vorliebe auf dem Rad unterwegs, erzählt, er fahre gern jedes Mal andere Straßen, wenn er in Zollstock unterwegs sei. „Ich sehe das als Ausgabe an, sich nicht so abzuöden“, sagt er. Die langjährige Beziehung zu seinem Viertel will er spannend halten.

Immer wieder hält Berges an, deutet auf Häuser und Straßen, weist auf schöne Sichtachsen hin: „Von denen gibt es in Köln nicht so viele.“ Städtebau interessiert ihn, „obwohl ich mich nicht auskenne“. Dafür kann er ziemlich viel erzählen: Zum Beispiel über die Siedlung Zollstock in der Bornheimer Straße, die der Architekt Wilhelm Riphahn Ende der 1920er Jahre entworfen hat. In ihrer weiß-strahlenden Uniformität und mit den Dachterrassen findet er sie gelungen – „mit Geschmack gebaut für kleine Leute“.

Auch für andere Geschichten jenseits Stadtgeschichte hat Berges ein Faible: Er hat Geschichte und Germanistik studiert. Um ein besonderes Kapitel der Vergangenheit geht es auch in seinem zweiten Roman, den er Anfang März beim Rowohlt-Verlag veröffentlicht hat: Das Buch „Die Köchin von Bob Dylan“ basiert in Teilen auf der Lebensgeschichte seiner Großmutter mütterlicherseits, die als Russlanddeutsche in der Nähe von Odessa gelebt hat und mit ihren drei kleinen Kindern 1943 ihre Heimat verlassen musste.

Das Schicksal drehte mit den Russlanddeutschen, die am Anfang des 20. Jahrhunderts in ihren deutschen Dörfern in einer Parallelkultur lebten, obwohl sie Bürger des zaristischen Reichs waren, seine Volten. Die Dörfer wurden von den Nazis besetzt. Seiner heute 94-jährigen Großmutter hat Berges das Buch erst nach dem Druck zu lesen gegeben. Zu seiner Erleichterung war sie einverstanden.

Diese Familiengeschichte verzahnt Berges mit der Jetztzeit, in der die Tourköchin von Bob Dylan auf Konzertreise durch die Ukraine ihren seit 1944 als verschollen geltenden Opa kennenlernt. Auch für diese Figur gibt es ein reales Vorbild: Von der Dylan-Köchin und den eigenwilligen Essenswünschen ihres Chefs habe ihm vor Jahren ein Journalist erzählt, so Berges. Für seine Recherchen ist er in Bussen auf Schlagloch-Straßen durch die Ukraine gereist.

Eine eigene Tourköchin: Diesen Luxus können sich die Erdmöbel nicht leisten. Alle Bandmitglieder müssen Geld dazu verdienen. Berges hat eine halbe Stelle als Lehrer am Erzbischöflichen Berufskolleg. Das Musikgeschäft ist nun mal hart zu einer Band, deren Musik sich dem Mainstream verweigert – trotz echter Hymnen wie „Erster Erster“ und „77te Liebe“. Trotz voller Konzertsäle bei den Touren. Ab sofort hat Berges wieder mehr Zeit für die Musik. Er hofft auf ein neues Album im kommenden Jahr.

Auch Köln, „chaotisch, verbaut, aber liebenswert“, spielt eine Rolle in Berges Liedern. In „Fremdes“ hat er den Archiveinsturz thematisiert. „Ich war damals so wütend.“ Derzeit bringt ihn die verkorkste Geschichte der Hubschrauberstation auf dem Kalkberg in Rage. „Ich kann mir keine andere Stadt vorstellen, in der Totalversagen auch noch auf einen Berg gebaut wird.“

Wir durchqueren das Gewerbegebiet Zollstock. „Das wirkt so übrig geblieben, schredderig, improvisiert. Und das mitten in Zollstock City.“ Eine „schöne Situation“ nennt Berges diesen Ort. Eine Beschreibung, die die dort möglichen Handlungen und Geschichten gleich mitdenkt.

Die „schönste Situation“ in Zollstock, urteilt Berges, sei die Abu-Bakr-Moschee am Höninger Weg 3 – mit dem Swinger-Club in unmittelbarer Nähe. Bis vor ein paar Jahren hatten auch die Motorrad-Rocker „Hells Angel“ einen Club dort. Eine absurde Konstellation, ein aufregender Schauplatz. Vielleicht irgendwann für ein Lied. Oder einen neuen Roman.

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