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Sexualdelikte mit K.o.-TropfenKölnerin war plötzlich völlig enthemmt

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Heimlich werden die Tropfen ins Glas von Frauen geschüttet.

Heimlich werden die Tropfen ins Glas von Frauen geschüttet.

Köln – Vor zweieinhalb Jahren verabredete sich Lisa Müller mit einem Mann in seiner Wohnung zum Sex. Er ist ein Bekannter, sie kennt ihn über Freunde. Sie habe zu ihm damals ein Vertrauensverhältnis gehabt, sagt die Mittvierzigerin. In der Wohnung bittet der Mann Müller, die eigentlich anders heißt, eine Flasche Sekt zu öffnen. Er wäscht in der Küche derweil die Gläser ab. „Ich fand’s komisch, dass er mich den Sekt hat öffnen lassen. Normalerweise übernimmt das ja der Gastgeber. Ich habe mir aber nichts weiter dabei gedacht. Als er aus der Küche kam, hat er die Gläser auf den Tisch gestellt und mich gebeten, einzuschenken.“ In den Gläsern sieht Müller eine Flüssigkeit. Das ist Wasser vom Abwaschen, denkt sie.

Müller und der Mann haben an diesem Abend ungeschützten Sex. Irgendwann fragt er, ob er Aufnahmen von ihr machen dürfe. Sie willigt ein, er beginnt zu filmen. „Ich schlafe normalerweise mit keinem Mann, ohne zu verhüten. Auch, dass ich ihm erlaubt habe, mich beim Sex zu filmen, ist untypisch für mich. Aber ich war unfähig zu reagieren.“ Müller kommt zunächst nicht auf die Idee, dass der Mann sie unter Drogen gesetzt haben könnte. Zum Beispiel mit Gamma-Butyrolacton (GBL). Eine Substanz, die in der Regel gemeint ist, wenn von K.o.-Tropfen die Rede ist. In geringer Dosierung wirkt der Stoff enthemmend und sexuell stimulierend, größere Mengen können zu Bewusstlosigkeit und Atemlähmung führen. In der Industrie wird GBL unter anderem zur Herstellung von Putzmitteln verwendet.

Zwar ist es in Deutschland nach dem Arzneimittelgesetz verboten, die Substanz zu Konsumzwecken zu verkaufen. Im Internet kann sie aber ohne großen Aufwand bestellt werden. Ein halber Liter, importiert aus den Niederlanden, kostet etwa 50 Euro. Die zuständige Behörde zeigt sich auf Nachfrage machtlos. „Man kann nur hoffen, dass die Unternehmen, die GBL verarbeiten, verantwortungsvoll mit dem Mittel umgehen“, sagt eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums.

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Scheinbar einvernehmlicher Sex

Lisa Müller fährt am nächsten Tag in die Wohnung des Mannes und bittet ihn, das Video zu löschen, was er vor ihren Augen tut. Trotzdem bleibt sie beunruhigt, schließlich hatte der Mann genug Zeit, den Film woanders abzuspeichern. „Ich war misstrauisch. Vor allem wegen der Professionalität, mit der er mich gefilmt hat. Er hat auf die Beleuchtung geachtet und die Kamera immer so hingestellt, dass man mein Gesicht gesehen hat, seins aber nicht.“ Erst Tage später wird Müller klar, dass der Mann ihr K.o.-Tropfen verabreicht haben könnte. Jetzt fällt ihr wieder ein, dass er sie den Sekt hatte öffnen lassen – vermutlich, damit sie keinen Verdacht schöpft. Schließlich hatte sie das Getränk selbst geöffnet und eingeschenkt. Ob er beim Abwaschen etwas in ihr Glas gemischt hat, weiß sie mit absoluter Sicherheit nicht. „Er hat mir an dem Abend immer wieder gesagt: Schau, wir trinken das Gleiche – und du hast die Flasche geöffnet.“

Geschädigte können sich nach der Einnahme von GBL oft kaum oder gar nicht erinnern. Die Substanz ist nur maximal zwölf Stunden im Körper nachweisbar. Es kann also nur selten eindeutig gesagt werden, ob der oder die Geschädigte mit K.o.-Tropfen betäubt wurde. Das macht es für Polizei und Staatsanwaltschaft schwer herauszufinden, ob eine Person mit einer Substanz betäubt wurde. Genau das ist auch die entscheidende Frage beim Prozess um die mutmaßliche Vergewaltigung des Modells Gina-Lisa Lohfink, der derzeit bundesweit für Aufsehen sorgt (siehe „Der Fall Lohfink“).

Müller ist in den Tagen danach ebenso unsicher, was mit ihr an dem Abend mit dem Mann los war. Sie hat nicht das Gefühl, vergewaltigt worden zu sein und lässt sich kein Blut abnehmen. „Der Sex geschah einvernehmlich. Deswegen habe ich lange gewartet, bevor ich mich an Hilfestellen und die Polizei gewendet habe.“

Zum ersten Mal ernst genommen

Müller spricht zuerst mit einer Freundin. Die sagt: „Es ist doch nichts passiert, du wurdest doch nicht richtig vergewaltigt. Du hattest doch auch deinen Spaß.“ Von gemeinsamen Freunden erfährt Müller, dass der Mann auf seinem Laptop noch mehr private Sexvideos haben soll. Das alarmiert sie. Sie wird sich immer sicherer, dass der Mann sie betäubt haben könnte und wendet sich ans Frauenberatungszentrum am Friesenplatz, das sie an den Frauennotruf Köln verweist.

„Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass ich ernst genommen werde, und dass man mich versteht.“ Für die Expertinnen habe es keinen Zweifel gegeben, dass Müller Opfer von K.o.-Tropfen geworden war, sagt sie. Eineinhalb Jahre nach der Nacht mit dem Mann erstattet sie Anzeige bei der Polizei.

„Sobald wir Kenntnis von einer Straftat haben, nehmen wir die Ermittlungen auf. Wichtig ist, dass sich die Opfer sofort bei uns melden“, sagt ein Sprecherin der Kölner Polizei. Zu Ermittlungen kommt es im Fall von Müller nicht.

Müller beginnt eine Psychotherapie und gründet mit Unterstützung der Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln eine Selbsthilfegruppe für Frauen, die Opfer von K.o.-Tropfen geworden sind. Die meisten in der Gruppe sind jünger als Müller. „Das schlimmste an der Sache ist“, sagt sie, „dass man als Opfer das Gefühl vermittelt bekommt, Männer dürfen alles. Die Substanzen können bestellt, Pornos ungeprüft im Internet hochgeladen werden. “

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