Spurensuche: Vergessene Orte in KölnDer Hauptbahnhof im Wandel der Zeit

Lesezeit 6 Minuten
Header Spurensuche Hauptbahnhof (1)

Der Kölner Hauptbahnhof im Wander der Zeit

Köln – Ein Enkel von Konrad Adenauer soll als Kind regelmäßig in das „Aki“ geschlichen sein, um seinen Bundeskanzler-Opa mal zu Gesicht zu bekommen. Denn der „Alte“ war zu Hause nur selten anzutreffen. Das „Aki“ war das 1951 eröffnete „Aktualitäten-Kino“ im Kölner Hauptbahnhof, das Durchreisenden, Kölnern – und Kanzler-Enkeln – zunächst mit 50-minütigen Nachrichten-Beiträgen aus Deutschland und der Welt die Zeit vertrieb. Eintrittspreis: 50 Pfennig. 

Mit den Jahren änderte sich das Programm, man könnte auch sagen: Das Niveau sank. Action- und Sexfilme zweifelhafter Qualität lösten die nicht mehr nachgefragten Wochenschauen ab. Zwei Film-Beispiele aus dem Sommer 1978: „Blutjunge Masseusen“ und „Shaolin – Rache mit der Todeshand“. 1990 wurde das „Aki“ geschlossen.

Wer den Hauptbahnhof durch den Haupteingang betrat, fand das Kino im ersten Quergang auf der linken Seite, der heutigen D-Passage. Dort befindet sich mittlerweile das Reisezentrum der Deutschen Bahn samt Lounge für Erste-Klasse-Fahrgäste. An das „Aki“ mit seinen einst 300 roten Kunststoff-Sitzplätzen erinnert nichts mehr. Doch im großen Empfangsgebäude selbst findet sich noch eine Spur vom alten Hauptbahnhof, wie er längst untergegangen ist. 

Alles zum Thema Deutsche Bahn

Ein Teil der Backsteinmauer oberhalb des Eingangs zur Parfümerie – vom Haupteingang aus gesehen rechts – ist auffällig hell im Vergleich zum Rest. Deutlich zu erkennen ist, dass hier mal etwas zugemauert wurde. Ein altes Foto zeigt, was heute nicht mehr zu sehen ist. An der Stelle der heutigen Parfümerie verkaufte die Deutsche Bahn einst Fahrkarten. Darüber, später entfernt und zugemauert, ragten Erker eines Restaurants in die Empfangshalle. Der rückwärtige Teil war über eine Art Brückenbauwerk mit der damals noch heillos verschachtelten Domplatte verbunden.

„Hier befand sich die so genannte Domherren-Stube“, sagt ein ehemaliger Bahn-Mitarbeiter, der von 1954 bis 1993 seine Dienststelle im Hauptbahnhof hatte: „Die hatten hervorragenden Käsekuchen.“ Und rauchen durfte man auch.

Geschäftswelt mit bescheidenem Angebot

Wer in den ersten Nachkriegs-Jahren im Kölner Hauptbahnhof Geld ausgeben wollte, traf auf ein bescheidenes und beschauliches Angebot. „Die Geschäftswelt war am Anfang schlicht“, sagt Ulrich Krings, ehemaliger Kölner Stadtkonservator und Autor mehrerer Bücher über den Hauptbahnhof. „Gastronomie war schon immer da“, so der Historiker. Doch die ersten Geschäfte nach dem Zweiten Weltkrieg beschränkten sich auf den Reisebedarf. „Blumen, Bücher, Brötchen, fertig“, bringt es Bahnhofs-Manager Kai Rossmann auf den Punkt.

Zu den Gewerbetreibenden der ersten Stunde gehörte Gerhard Ludwig, der im Juni 1946 an einem provisorischen Stand begann, Zeitungen zu verkaufen, die die Militärregierung zugelassen hatte. 

Ludwig war es auch, der nach dem Krieg mit den „Mittwochsgesprächen“ für Furore sorgte. Prominente wie Heinrich Böll, Ludwig Erhard, Gustav Gründgens oder Heinz Rühmann hielten im Alten Wartesaal Vorträge und stellten sich den Fragen des Publikums. Die Themen waren in jedem Fall hochwertiger als das späte „Aki“-Programm. Debattiert wurde über „Das Buch als Beitrag zur europäischen Verständigung“ oder „Die moderne Kunst in philosophischer Sicht“. „Das war Basisdemokratie der jungen Republik“, sagt Ulrich Krings.

Das erste feste Zeitungsgeschäft eröffnete Ludwig 1947 im Hauptgang des Bahnhofs, ein Jahr später folgte ein Verkaufsstand für Zeitungen, Zeitschriften und Bücher in der kriegsbedingt recht ramponierten Empfangshalle. Die Halle stammte damals noch aus den Gründerjahren des Hauptbahnhofs, also vom Ende des 19. Jahrhunderts. Doch nach dem Krieg war preußische Architektur verpönt. Die Gesellschaft strebte nach Erneuerung, die alte Halle wurde schließlich abgebrochen und in den 1950er Jahren durch den heutigen Bau mit seiner riesigen Fensterfront in Richtung Dom ersetzt. „Diese Abriss-Orgie hatte einen sozialpsychologisch-reinigenden Charakter“, sagt Ulrich Krings.

Vom Schmuddel-Image ist nichts geblieben 

In der neuen Empfangshalle blieben die beiden Verkaufspavillons ähnlich denen des Vorgängerbaus erhalten. Sie wurden in die große Fensterfront integriert, wo sie noch immer zu finden sind. Links befand sich in den ersten Jahren die Zeitungs- und Buchhandlung von Gerhard Ludwig, rechts ein Blumenladen. Blumengeschäft und Buchhandlung sind längst umgezogen, in den Pavillons werden heute Beautyprodukte für Sie und Ihn beziehungsweise Backwaren angeboten. 

Demnächst könnte für die Buchhandlung wieder eine Veränderung anstehen: Die Deutsche Bahn als Vermieterin hat der Unternehmensgruppe Dr. Eckert, zu der die Buchhandlung Ludwig mittlerweile gehört, zumindest für den Standort am Nebeneingang zum Bahnhof gekündigt. Offenbar soll die Bundespolizei hier einziehen. Die Geschäftswelt im Hauptbahnhof wandelt sich ständig.

Bahnhöfe waren grauenhaft

Zum Glück ist auch vom einstigen Schmuddel-Image nicht mehr viel geblieben. „In der Nachkriegszeit waren Bahnhöfe eigentlich grauenhaft“, sagt Ulrich Krings. Das galt zwar nicht für die Gewerbetreibenden, wohl aber für das Umfeld, das in deutschen Bahnhöfen „grundsätzlich schmuddelig“ gewesen sei. Erst stürzte der Siegeszug des Autos, später auch des Flugzeugs, die Bahn und damit die Bahnhöfe in eine Krise. Abseits der großen Vorzeige-Stationen scheint diese Krise allerdings noch immer nicht überwunden zu sein.

In den Gründerjahren des Kölner Hauptbahnhofs war die Bahn das Fortbewegungsmittel par excellence, entsprechend pompös und gepflegt waren die Gebäude. Ende des 19. Jahrhunderts wich der alte Kölner „Centralpersonenbahnhof“ einem Neubau. Unter dem noch heute vorhandenen Mittelschiff der 255 Meter langen Bahnsteighalle stand bis 1909 ein kunstvolles Wartesaalgebäude mit Kuppeln und Ornamenten, in dem die Reisenden auf ihre Anschluss-Züge warten – und Geld ausgeben – konnten. Wie damals üblich, gab es Wartesäle erster bis vierter Klasse. „Und je nach Klasse wurde unterschiedlich bewirtet“, sagt Ulrich Krings: „von billig bis teuer.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielten immer mehr Geschäfte Einzug. „Damals fing es langsam mit kleinen Bistros an“, sagt der ehemalige Bahnmitarbeiter, mittlerweile 86 Jahre alt: „Eine Bierschänke gab es auch mit eher merkwürdiger Kundschaft.“ Auf alten Fotos ist zudem eine „Milchstube“ zu sehen, im Hintergrund wirbt ein Strumpfgeschäft. Und im Alten Wartesaal – vor etwa 100 Jahren errichtet und heute Restaurant und Party-Location – „warteten die Leute stundenlang auf den Anschluss-Zug und aßen und tranken“, sagt der Zeitzeuge.

Schöne neue Konsumwelt in den „Colonaden“

Wer heute warten muss, weiß gar nicht, wo er zuerst essen und trinken soll. Die Verkaufsfläche unterhalb der Gleisanlagen wuchs Ende der 1990er Jahre sprunghaft an, als die Gepäck- und Expressgut-Annahme zwischen den Hauptgängen abgeschafft und durch eine „Fressmeile“ ersetzt wurden. Die schöne neue Konsumwelt im Hauptbahnhof wurde „Colonaden“ getauft, heute heißt es im Marketing-Sprech „Ihr Einkaufs-Bahnhof“. Die Deutsche Bahn habe bereits Ende der 1980er Jahre mit der gezielten Kommerzialisierung ihrer Flächen begonnen, sagt Ulrich Krings – „das war die Vorbereitung zum Börsengang“. 

„Vor den Colonaden gab es nur zwei große Passagen, heute sind es fünf“, sagt Bahnhofs-Manager Kai Rossmann. Verkauft wird längst nicht nur der schnelle Reisebedarf, sondern auch Mode, Schmuck, Modeschmuck oder Schuhe. 70 Shops verteilen sich auf 11500 Quadratmeter Verkaufsfläche, manche haben fast durchgängig geöffnet. Über den Umsatz schweigt Rossmann, aber ein Standort im Hauptbahnhof scheint sich zu lohnen. Probleme mit der Vermietung hat die Deutsche Bahn jedenfalls nicht.

„Wir liefern jedem Shop eine garantierte Kunden-Frequenz“, sagt Rossmann. Im Durchschnitt nutzten täglich 200000 Reisende den Hauptbahnhof, zu besonderen Ereignissen wie Karneval oder den Kölner Lichtern seien es 300000. Laufkundschaft gibt es also reichlich, weshalb die Konkurrenz durch das Internet auch weniger ins Gewicht fällt als anderswo. „Wir haben unter dem E-Commerce nie so stark gelitten wie die Hohe Straße oder die Schildergasse“, so Stephan Ramrath vom Vermarktungs-Management des Hauptbahnhofs.

Konsumiert werden kann unter den Gleisen mittlerweile fast alles zu fast jeder Tageszeit. Nur billige Schmuddelfilme gibt es nicht mehr. Der Bahnhof ist eben immer auch ein Abbild seiner Zeit.

KStA abonnieren