SpurensucheAls in Sülz noch Kölsch gebraut wurde

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Einer der sechseinhalb Meter hohen Gewölbekeller mit beleuchtetem Brunnen

Einer der sechseinhalb Meter hohen Gewölbekeller mit beleuchtetem Brunnen

Köln – Ein kleiner Drache könnte dort hausen oder ein etwas anspruchsloseres Schlossgespenst. In einem Hinterhof nahe dem Trubel der Sülzer Einkaufsstraßen führt eine Treppe in die Tiefe zu einem märchenhaften Ort, der perfekt zum Kettenrasseln taugt: Drei riesige Gewölberäume erstrecken sich unter dem Gebäudekomplex „Heckmannshof“ an der Sülzburgstraße 104-106. Etwa sechs Meter breit, sechseinhalb Meter hoch und 13 Meter lang sind die Kellerräume. Wo heute gespenstische Stille herrscht, war einst viel Rummel, wurden Fässer gerollt und in die Höhe gehievt. Denn der Gewölbekeller gehörte bis Anfang des 20. Jahrhunderts zur Sülzer Brauerei Heckmanns. Deren Geschichte erzählen die groben Mauern – eine Geschichte aus jener Zeit, als das Stadtviertel noch ein Vorort war, in dem sich Gewerbebetriebe und die ersten Arbeiter in einfachen Häuschen ansiedelten.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich Sülz Stück für Stück zu einer lose besiedelten Ortschaft entwickelt. In dieser Vorstadtidylle gründete Heinrich Pliester 1875 auf dem Gelände an der Sülzburgstraße eine Goldleistenfabrik. Sie war Produktionsstätte für schmucke Bilder- und Spiegelrahmen. Heute ist die ehemalige Fabrik ein vergleichsweise kleines Gebäude in der Ecke des Hinterhofs. Seine vorstehenden Dachgiebel weisen darauf hin, dass es älter ist als die übrigen Bauten.

Alexander Hess, Geograph und Ex-Sülzer, hat sich mit Markus Kirschner, dem Verwalter der Gebäude, auf Spurensuche begeben: „Es muss das alte Fabrikgebäude sein“, sagt Kirschner. „Beim Sanieren haben wir jede Menge Hobelspäne gefunden.“ Alexander Hess nickt, die Funde passen zur damaligen Funktion der Räume: „Pliester produzierte Leisten aus Lindenholz, die mit Blattgold verziert wurden“, sagt er. „Nachdem die Goldleisten zunehmend industriell aus einem Leim-Kreide-Gemisch hergestellt wurden, musste er allerdings wie viele andere Fabrikanten seiner Branche bereits 1878 wieder aufgeben.“

Die Fabrik stand nicht lange leer. Wo einst edle Rahmen vergoldet wurden, lagerte bald Hopfen, der auf seine Verwendung in den Nachbargebäuden wartete. Josef Heckmann zögerte nicht lange, als das Fabrikgebäude an der Sülzburgstraße frei wurde und zog mit seiner Brauerei dort ein. Auf dem Gelände fand er ideale Voraussetzungen für die Bierproduktion. Denn die Fabrik stand am Rand einer Grube, die eine Ziegelei hinterlassen hatte. Zur Herstellung der Bausteine hatten die Mitarbeiter das Erdreich tief ausgehoben – und so Platz für einen riesigen Keller geschaffen, den Heckmann baute. Darauf errichtete er weitere Produktionsstätten.

Gerade erst hatten die Bierbrauer den Nutzen von Kellerräumen für das Lagern von Kölsch entdeckt. Bislang war es wegen seiner begrenzten Haltbarkeit nur als Schankbier verwendet worden. Doch dank der Erfinder eines Kühl- und Eiskellersystems hatte sich das geändert. Die Brauer konnten auf Vorrat produzieren.

Kirschner erklärt Besuchern der Keller gerne genauer, wie das Kühlsystem funktionierte. „Dort oben sind zwei Schächte“, sagt er und zeigt auf zwei nebeneinanderliegende schmale Spalten in der Wand. „Hinter der Wand ist ein Hohlraum, und auch unten ist eine Öffnung. In diese wurde Eis gesteckt.“ Das habe die Luft gekühlt, die hinter dem Gemäuer zirkulierte und den Keller kalt hielt. Wegen des geschmolzenen Eises, das als Wasser in den Kellerraum lief, sei der Boden leicht schräg gewesen, das Wasser floss in einen Abfluss und von dort in den kellereigenen Brunnen, wo es versickerte. Noch heute können Besucher die beleuchteten Brunnenlöcher hinter Glasplatten bewundern. Der Gewölbekeller ist der atmosphärischste Raum im Komplex, aber noch nicht vermietet. „Je nachdem, was man hier machen möchte, sind die Auflagen der Stadt ein Problem“, sagt Kirschner. Die Nebenkosten seien wegen des Aufzugs relativ hoch.

In anderen Gebäuden der ehemaligen Sülzer Brauerei sind längst PR- und Kommunikations-Agenturen und Grafikbüros zu Hause. Die großen Räume mit Patina bieten ein stilvolles Ambiente für kreatives Arbeiten. Oben im ehemaligen Sudturm, wo heute unter einem großen Deckenfenster ein Schreibtisch der Agentur Planpunkt steht, wurde früher das Malz in eine Schrotmühle gekippt. In der Mälzerei im Nebengebäude war es vorher aus Gerste hergestellt worden, indem man diese einweichte, keimen lies und dann röstete. „Das Fenster über der Mühle wurde wegen des Reinheitsgebots benötigt“, sagt Markus Kirschner. „Man musste ja sichergehen, dass keine Mäuse oder ähnliches mit in die Mühle gerieten.“

Sie stand ganz oben im Sudturm, den man gebaut hatte, um sich die Schwerkraft zunutze zu machen. Von der Schrotmühle floss der Malz zum Maischen in einen Bottich ein Stockwerk darunter, von dort weiter in die Maischpfanne zum Verzuckern, wieder eine Etage tiefer stand der Läuterbottich, schließlich ging es zum Hopfen und Würzekochen in die Würzepfanne, zum Vergären, Filtern und Abfüllen in den Keller. Mit einem große Flaschenzug, der oben am Turm befestigt war, wurden die fertigen Kölschfässer auf Kutschen gehievt. Auf der Rückseite des Hofs befand sich ein Pferdeschuppen. Heute schwitzen dort die Besucherinnen eines Damen-Fitnessstudios an den Geräten und im Kursraum. Auch ein Aufzug wurde im Laufe der Zeit am Sudturm installiert, die nötige Elektrizität in dem Gebäude gegenüber hergestellt. Es fällt durch seine schmucke Jugendstilmansarde mit Rundbogenfenstern und Wellengiebeln auf. „Das war das Maschinen- und Kesselhaus“, sagt Kirschner. „Das Gebäude war völlig verrußt. Dort muss wohl eine Dampfmaschine gestanden haben.“

Im breiten Vorderhaus an der Straße, durch dessen Tor die mit Kölschfässern beladenen Kutschen auf die Sülzburgstraße rumpelten, wohnten die Arbeiter über der Schankwirtschaft „Zum Schützenhaus“. Fünf Fenster haben pro Etage nebeneinander auf der breiten Front zu Straße Platz. Stuckleisten und Ziergesims schmücken die Fassade und lassen heute noch darauf schließen, dass dahinter einst ein florierender Betrieb ansässig war. 

Doch nach dem Tod von Josef Heckmann musste der Betrieb in den 20er Jahren wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage schließen. Er wurde als Gewerbehof an verschiedenen Betriebe vermietet. Im Jahr 2000 wechselte der Heckmannshof den Besitzer und wurde ab 2006 in Absprache mit der Denkmalbehörde saniert. Aus den Fabrikhallen wurden Büros, aus den Arbeiterwohnungen durch Anbauten und große Balkone gediegene Wohnungen. 

Mit Führungen erinnern Geschichtsliebhaber wie Alexander Hess und Markus Kirschner heute an die einst größte Sülzer Brauerei. Wer Informationen zur Geschichte oder gar alte Bilder hat, den bittet Hess, sich per E-Mail (hess-alex@web.de) zu melden.

Kölsch gibt es heute aber nur noch in dem gebäudeeigenen Lokal, das nun Heckmanns heißt – und nach Feierabend auf der Dachterrasse mancher Agenturbesitzer.

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