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StadtentwicklungDas entsteht in den historischen KHD-Hallen in Mülheim

Lesezeit 8 Minuten
Hauptbild Mülheim

Teile der geschichtsträchtigen Fabrik-Architektur sollen bewahrt und neu ggentzt werden – eine  Herausforderung für Planer und Architekten.

  • Im Süden des Kölner Stadtteils Mülheim sollen rund 3000 Wohnungen und neue Gewerbeflächen entstehen.
  • Teile der geschichtsträchtigen Fabrik-Architektur sollen bewahrt und neu genutzt werde – eine Herausforderung für Planer und Architekten.

Mülheim – Es ist keine Übertreibung: Hier wurde die Welt verändert. Die vielen Überreste der alten Werkshallen, Fabriken und Verwaltungsgebäude entlang der Deutz-Mülheimer Straße nördlich der Zoobrücke sind Zeugnisse eines unvergleichlichen industriellen Aufschwungs.

Auf dem Gelände, das bis 1975 komplett zu Deutz gehörte, begann 1876 die Produktion des Viertaktmotors. Hier arbeiteten Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach und Ettore Bugatti, ehe sie eigene geschäftliche Wege gingen, hier wurden die Grundlagen für den schnell laufenden Benzinmotor geschaffen. Ende der 1860er Jahre waren die Erfinder um Nicolaus August Otto von der linken Rheinseite nach Deutz gezogen.

Von den Werkshäusern der ersten Stunde kann man heute nichts mehr sehen. Die erhaltenen Gebäude repräsentieren bereits die zweite Generation der Deutzer-Mülheimer Motorenproduktion durch die Firma Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD), die heutige Deutz AG. In einigen der Hallen wird noch produziert, ein paar haben bereits eine neue Bestimmung gefunden, die meisten verfallen.

Ein neues Veedel

Nun planen Stadt, Architekten und Investoren den Umbau des riesigen, zentral gelegenen Areals in ein neues urbanes Stadtviertel. Rund 3000 Wohnungen sollen hier entstehen, dazu Gewerbeansiedlungen, neue Straßen und Plätze, Schulen und Kindergärten.

Zur Zielsetzung gehört auch, das historische Erbe zu erhalten und für die imposanten Gebäude neue Nutzungen zu finden. Außerdem soll sich das Neue mit dem Alten verbinden, „eine ernsthafte Antwort auf die Industriearchitektur sein“, wie es Stadtentwicklungsdezernent Franz-Josef Höing ausdrückt.

Noch steht nicht für alle Baufelder fest, wer investiert. Die Planungen sind unterschiedlich weit fortgeschritten. Am weitesten sind die CG-Gruppe – sie bebaut das südliche Areal zwischen Zoobrücke und Bahn – und die Hamacher-Immobiliengruppe, die sich um das Gelände der Firma Lindgens im Norden kümmert. Die gute Botschaft der Investoren: Nicht nur denkmalgeschützte Gebäude bleiben stehen, zahlreiche weitere Hallen und Bürogebäude, die zu KHD, Lindgens oder der Kölnischen Gummifädenfabrik gehörten, werden neu genutzt werden.

Für einige Hallen gibt es schon langfristige Perspektiven: So haben die Kultureinrichtungen, die den Komplex der Gummifädenfabrik nutzen, die Garantie bekommen, weiter machen zu dürfen. Gleich hinter der Zoobrücke befinden sich unter anderem eines der größten selbstverwalteten Atelierhäuser Europas, das „Kunstwerk“, und der Club „Gebäude 9“.

Im nördlichen Areal von Lindgens sind nicht nur die Eventhalle „Dock One“ oder der Grill-Spezialist „Santos Grill“ eingezogen. Investor Fritz Hamacher vermietet alte Bausubstanz bereits an Künstler, Studenten und kleine Firmen der Kreativwirtschaft. Und weil ihm die neue Nachbarschaft so viel Spaß macht, hat er die „Lindgens-Kantine“ eröffnet, damit man gemeinsam zu Mittag essen kann. Anfänglich hat der Mann, der hier Millionen investiert, selbst die Schnitzel in die Pfanne geworfen. „Ich will hier kein Nobel-Viertel draus machen“, verspricht er.

Für einige Gebäude lassen sich leicht neue, gewerbliche Nutzungen vorstellen. Die große Herausforderung aber sind die ehemaligen Fabrikhallen. Sie sollen im wesentlichen Gewerbeflächen bleiben. Doch die Beschränkungen, die sich durch die geplante benachbarte Wohnbebauung ergeben, machen die Suche nach neuen Nutzern nicht leicht – erst recht, wenn man in den Hallen, in denen einst Zehntausende arbeiteten, am liebsten auch künftig wieder produzierendes Gewerbe sehen will.

Ein Musterbeispiel für eine solche Nutzung findet man am östlichen Rand der Fläche, die noch von der Deutz AG genutzt wird. Das Unternehmen Beeline produziert in einer einstigen KHD-Halle Modeschmuck. Von diesen Hallen gibt auf dem Deutz AG Areal, das die Firma bis Anfang 2017 komplett geräumt haben will, viele.

Und auch die Baufelder nord-westlich der Deutz-Mülheimer Straße sind voll davon. Dazu gehören die denkmalgeschützten Waggonhallen der Firma Van der Zypen & Charlier oder die Gießerei-Hallen von KHD, deren Größe man kaum erahnen kann, weil sie an der Deutz-Mülheimer Straße durch die gewaltigen Backstein-Verwaltungsgebäude und vom Auenweg durch eine hohe Mauer abgeschirmt sind. Hier steht auch die so genannte „Möhring-Halle“, der älteste erhaltene Fabrikbau auf dem Areal. 

Ihre Zukunft liegt genau wie die der Nachbargebäude in den Händen von NRW Urban, einer Gesellschaft des Landes, die sich neben den privaten Investoren engagiert. Dass hier eine Stadtentwicklungsgesellschaft mit öffentlichem Auftrag aktiv ist, sei angesichts der komplizierten Aufgabe „an dieser Stelle sehr hilfreich“, sagt Baudezernent Höing. Das ziemlich herunter gekommene Denkmal ist ein Beispiel dafür, mit wie viel architektonischem Anspruch in vergangenen Zeiten Gebäude für die industrielle Produktion errichtet wurden.

Gleiches gilt für den so genannten „eckigen Rundbau“, ein Magazingebäude von KHD. Das Lagerhaus ist ein echter Prachtbau. Investoren und Architekten arbeiten an Konzepten, wie man in diesen großen Gebäuden Unterteilungen und Einheiten schaffen kann, die eine neue Nutzung ermöglichen, ohne ihnen im Inneren völlig den Reiz zu nehmen. Die Industriearchitektur soll sichtbar bleiben, sagt Birgit Schafranitz von der CG-Gruppe AG. Das Unternehmen will auch das völlig verwaiste Areal jenseits der Bahnbögen entwickeln. Durch eine entsprechende verbindliche Kaufoption hat sie Zugriff auf das Gelände Euroforum West.

Wird in die alten Gebäude vor allem Gewerbe einziehen, sind die geplanten Neubauten für Miet- und Eigentumswohnungen vorgesehen. Ein Drittel ist für sozialen Wohnungsbau reserviert – der neue Stadtteil soll ein gemischtes Viertel werden.

In anderen Neubaugebieten stehen Zeugnisse der Vergangenheit oft ohne Bezüge zum Neuen herumstehen und dienen bestenfalls als schicke Kulisse. In Mülheim soll die Architektur der Neubauten Bezüge zum historischen Ort und seinen baulichen Überresten entwickeln. Entstehen werde keine „Halligalli-Architektur, wo jeder architektonische Gimmick zu Hause ist“, sagt Höing. Stattdessen sollen klare Formen dominieren, die sich an Größe und Aussehen der benachbarten Ex-Fabriken orientieren.

Hanno Kreuder vom Architekturbüro „Trint und Kreuder“, das für Fritz Hamacher arbeitet, spricht von „kräftigen Figuren, die nicht den Anspruch haben, lieblich zu sein“. Das werde nicht allen gefallen, so Höing, das Interesse aber nicht bremsen. „Ich sollte mir eine neue Telefonnummer zulegen“, sagt Hamacher. So groß sei jetzt schon die Nachfrage. Immerzu werde er gefragt, wann man denn in die neuen Wohnungen einziehen könne. „Sehr viele haben Lust auf diesen Ort.“

Die einzelnen Gebäude und was aus ihnen werden soll

Gummifädenfabrik

1864 zog die Gummifädenfabrik Kohlstadt von Nippes nach Deutz. Das Industrieareal gehörte damals noch nicht zu Mülheim. Die Fabrik für Gummiwaren von Gasballons über Operationshandschuhe bis Scherzartikel machte bereits 1972 dicht, war dann zeitweise Heimat eines  Berufsbildungszentrums.

Die Gebäude mussten für die heutige Nutzung für Kunst und Kultur sowie durch einige kleinere Firmen nicht umgebaut werden.

Verwaltungsgebäude 239

KHD hat seinen Gebäuden eigene „Hausnummern“ gegeben, die nichts mit der Postanschrift zu tun haben. Das Gebäude 239 mit schönen 50er-Jahre -Treppenhaus war ein Bürohaus für die Verwaltung.

Die CG-Gruppe, die hier ihren Kölner Standort hat, will es erhalten, obwohl es nicht unter Denkmalschutz steht. Die Büros werden zur Zeit von mehreren Mietern genutzt.

Waggonhallen

In den denkmalgeschützten Waggonhallen, die zum Teil von einer Holzkonstruktion gestützt werden, stellte die Firma Van der Zypen & Charlier“ Waggons für Eisenbahnen und für die Wuppertaler Schwebebahn her. Für letztere gab es sogar eine kurze Teststrecke. In den 1950er Jahren fusionierte die Firma mit KHD. In die Hallen sollen Gewerbebetriebe einziehen.

Magazin

Von außen erahnt man nicht, wie spektakulär die Konstruktion im Inneren des „eckigen Rundbaus“ ist. Ein Musterbeispiel des frühen Betonbaus, aber auch dafür, wie prachtvoll ein Lagerhaus aussehen kann.

Um einen Lichthof schwingen sich vier Etagen wie Galerien in einem alten Kaufhaus. Im Grunde besteht das Gebäude aus einem einzigen Raum, was die Problematik seiner zukünftigen Nutzung andeutet. Auf das Haus soll ein neues Staffelgeschoss gesetzt werden. Im Inneren sind Büroflächen geplant.

Betriebskrankenkasse

Das große, nicht-denkmalgeschützte Gebäude der KHD-Betriebskrankenkasse  ist ein gutes Beispiel für den Umgang mit der historischen Bausubstanz. Das Gebäude soll nicht nur erhalten bleiben. Es gibt auch die Form für zwei neue Häuser in der direkten Nachbarschaft vor.

Villa Charlier

Vor dem Zweiten Weltkrieg wohnten die Chefs gleich neben ihren Fabriken. Nach der Zerstörung der Villa im Krieg entstand dieser Nachfolgebau als Domizil der kaufmännischen Leitung von KHD.

Sein Umbau wird das erste Hochbauprojekt der CG-Gruppe. Hier wird eine Kindertagesstätte für das neue Stadtviertel einziehen.

Möhring-Halle

Die Stahlfachwerk-Halle war 1902 für die Düsseldorfer Kunst- und Gewerbe-Ausstellung gebaut worden. Danach wurde sie aufwendig zerlegt und auf dem Gelände der Deutzer Gasmotorenfabrik wieder aufgebaut. Was  aus dem bedeutenden Industriedenkmal wird, ist derzeit noch unklar. Im Gespräch ist eine Nutzung als Industriemuseum.

Verwaltungsgebäude 23

In dem dominanten Backstein-Bau saß die KHD-Verwaltung, gleich an seine Rückwand wurden Fabrikhallen angebaut. Das denkmalgeschützte Haus wird mittlerweile von verschiedenen Mietern genutzt, darunter das „Zentralwerk der schönen Künste“ oder das Theater „Raum 13“.

Motorenbauhallen

Noch nutzt die Deutz AG als Nachfolgeunternehmen von KHD einen Teil der Hallen östlich der Deutz-Mülheimer Straße. In den kommenden Monaten wird die komplette Verlagerung nach Porz abgeschlossen sein.

Gleich an der Deutz-Mülheimer Straße befinden sich die denkmalgeschützten Hallen für den Bau von Klein- und Großmotoren.

Umgenutzte Lindgens-Hallen

Wo die Arbeiter der Firma Lindgens & Söhne einst Zinkweiß herstellten, werden heute Grillseminare angeboten. Das expandierende Unternehmen „Santos“ hat aus den Hallen tatsächlich ein europäisches Zentrum für Grillhersteller und Grillliebhaber gemacht. Gleich nebenan befindet sich der Veranstaltungsraum  „Dock One“ für Events aller Art.

Lindgens-/Penox-Fabrik

Das Chemieunternehmen Penox produziert noch in einigen Hallen, doch auch dieser Industriebetrieb wird den Standort aufgeben. Auf dem Lindgens-Gelände befinden sich die ältesten Fabrik-Hallen des gesamten Areals im Mülheimer Süden, außerdem ein bemerkenswertes Magazin-Gebäude. Sie sollen unter anderem zu zweigeschossigen Bürolofts, Gewerbeflächen,  aber auch zu Parkplätzen für Autos umgenutzt werden

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