SuppenkücheSchlangestehen für Eintopf am Kölner Dom - Zahl der Gäste steigt

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Um Gedränge vorzubeugen, gilt in der Suppenküche ein strikt geregeltes Nacheinander.

Um Gedränge vorzubeugen, gilt in der Suppenküche ein strikt geregeltes Nacheinander.

Köln – Die Sonne scheint, doch es ist kalt an diesem Morgen. Trotzdem harren die ersten Bedürftigen schon seit zwei Stunden vor dem Domforum aus.

Gegen 13 Uhr taucht die Frau auf, die das ins Leben gerufen hat, was die Leute hier, am Rand der Domplatte, so geduldig warten lässt: Jutta Schulte. Noch länger als eineinhalb Stunden dauert es, bis Juttas Suppenküche öffnet und die Namensgeberin aus einem großen Topf mit einer Kelle den Erbsen-, Kartoffel- und Hühnereintopf in Plastikschalen füllt.

Günter O., der seine schwerstkranke Frau gepflegt hat, bis sie 2016 starb, zählt zu den Stammbesuchern. Seit drei Jahren kommt der 64-Jährige regelmäßig her. Er hält eine Schale mit dampfendem Eintopf in einer Hand: „Der ist gut!“

Nicht nur Obdachlose kommen zu Juttas Suppenküche

Jeden zweiten Freitag im Monat ist es dasselbe Bild: Inmitten von Touristen, die zum Dom strömen, Selfies schießen oder ihre Koffer Richtung Bahnhof rollen, bildet sich eine Schlange von Menschen, die zu wenig haben, um über die Runden zu kommen. Längst sind es nicht mehr nur Obdachlose, die von Juttas Suppenküche angezogen werden, sondern auch Behinderte, Rentner, Flüchtlinge oder Hartz-IV-Empfänger wie Günter O. „Die Tendenz ist absolut steigend“, sagt Jutta Schulte zur großen Nachfrage.

Jeden zweiten Freitag im Einsatz: Jutta Schulte und ihre Helfer.

Jeden zweiten Freitag im Einsatz: Jutta Schulte und ihre Helfer.

Bei ihrer Suppenküche ist alles wohlorganisiert; so muss es auch sein, sonst gäbe es schnell Gedränge. Helfer spannen ein Absperrband auf und montieren an einer Straßenlaterne mit Holzlatten ein einfaches Eingangstor. Es gilt eine strenge Reihenfolge, damit sich keiner mit Ellbogen einen Vorteil verschafft: Bedürftige mit Rollatoren kommen zuerst dran, gefolgt von Obdachlosen.

Dann dürfen sich die freiwilligen Helfer bedienen, die vor der Öffnung der Hilfsstelle Kartons und Kisten mit gespendeten Lebensmitteln entlang der Mauer des Domforum aufstellen und stapeln. Einige sind dabei, Kartoffeln aus Säcken in Tüten umzufüllen, damit die Abgabe der Portionen rascher vonstatten gehen kann. Erst wenn „Rollatoren, Obdachlose und Helfer“, wie Jutta Schulte sie aufzählt, versorgt sind, erst dann kämen „die Leute mit den Nümmerchen“ an die Reihe, das heißt diejenigen, an die Wartemärkchen verteilt werden. Will sich jemand vordrängen, gibt Jutta Schulte energisch Bescheid.

Die Verteilungskämpfe sind härter geworden – deshalb gibt es ein striktes System

Ohne diese Resolutheit, für die sie bekannt ist, käme es schnell zu Streit. Denn die Verteilungskämpfe unter den Bedürftigen, das beobachtet sie seit längerem, sind härter geworden. Die eigenen Worte sorgfältig wägend, verschweigt sie nicht, dass die einheimischen Obdachlosen inzwischen stärker dadurch an den Rand gedrängt würden, dass sie Konkurrenz aus Südosteuropa bekommen hätten.

Auch deshalb ist das strikte System bei der Essensvergabe eingeführt worden. Auf ein Lamento wie „Es gibt bei uns Obdachlose genug, da müssen wir nicht auch noch Flüchtlinge aufnehmen“ reagiert sie indes allergisch. In ihren Ohren klingt dies wie eine fadenscheinige Rechtfertigung dafür, sich gar nicht erst zu engagieren.

Im Dezember 1996 stand Jutta Schulte zum ersten Mal auf der Domplatte. Aus dem Gefühl heraus, vor Weihnachten etwas Gutes tun zu müssen, hatte sie mit ihrem Mann, mit dem sie in Dahlem in der Eifel ein Restaurant betrieb, Eintopf gekocht und ihn in Köln verteilt.

Die Suppenküche ist längst auf andere Hilfsangebote ausgeweitet

Es sollte eine einmalige Aktion sein, doch schon zwei Wochen später kehrte das Ehepaar zurück. Den Rhythmus hat Jutta Schulte auch nach dem Tod ihres Mannes beibehalten: Jeden zweiten Freitagnachmittag ist sie zur Stelle. Längst hat sie ihre Suppenküche ausgeweitet. Neben Lebensmitteln wie Keksen, Wurst, Obst oder Kartoffeln gibt es Hilfsgüter wie Schuhe, Ruck- und Schlafsäcke – das Angebot ist üppig.

Zur rechten Hand geworden ist der 67-Jährigen Helmut Brügelmann, der sich zudem in der Kölner Mitternachtsmission engagiert, die alljährlich im Alten Wartesaal eine Weihnachtsfeier ausrichtet, und für den Kalker Mittagstisch. Seit 2013 ist „Juttas Suppenküche“ ein eingetragener Verein. Das hat unter anderem den Vorteil, dass für Geldspenden Quittungen ausgestellt werden können. Das Gros bilden jedoch Sachspenden. So wird der Eintopf seit vielen Jahren von „Peters Brauhaus“ in der Altstadt gekocht, und die Lebensmittel kommen unter anderem vom Großmarkt und einer Bäckerei. Eine Tiernahrungskette steuert Hunde- und Katzenfutter bei.

Ganz oben auf der Wunschliste der Organisatoren steht ein großer Warmhaltekessel für den Eintopf. „Der darf ruhig Beulen haben“, sagt Jutta Schulte, die unermüdlich bei der Sache ist. Als jemand, der „42 Jahre lang in der Gastronomie selbstständig“ war, sei sie permanentes Arbeiten gewohnt. Sie brauche die Beschäftigung. Dazu kommt ihre Überzeugung: „Jeder kann etwas tun. Wir sind der Staat.“

Obdachlose und Hartz IV-Empfänger in Köln

Rund 154500 Kölner erhielten laut einer Statistik des Landes NRW 2015 Unterstützung zur Sicherungen des Lebensunterhalts. Dies entspricht einer Quote von 14,6 Prozent (plus 4,2 Prozent seit 2014). Bei unter 18 -jährigen beträgt die Quote 25 Prozent.

Laut Wohnungslosenstatistik leben in Köln knapp 4700 Obdachlose. Auf 10 000 Einwohner kommen 45 Menschen ohne Wohnung. Damit ist die Stadt Spitzenreiter in NRW. Zum Vergleich: In Düsseldorf sind es 29.

Knapp 20 Prozent der Hartz-IV-Empfänger sind sogenannte Aufstocker: Sie arbeiten, verdienen aber so wenig, dass das Sozialamt zuschießen muss. Als arm gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss.

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