Überfälle und PrügeleienDie offene Drogenszene prägt den Kölner Neumarkt

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Mehrere Polizeiwagen auf dem Weg zum Tatort

Mehrere Polizeiwagen auf dem Weg zum Tatort

  • Ein Überfall am hellichten Tag am Kölner Neumarkt hat am Samstag zahlreiche Kölner geschockt.
  • Eine Gruppe offenkundig Drogenabhängiger hatte auf einen 56-Jährigen eingeprügelt und ihn schwer verletzt.
  • Dabei ist die Drogenszene am Neumarkt alles andere als neu.

Köln – Unglaublich brutal ist die Szene, die sich  am  Samstag um 16.45 Uhr   auf dem Neumarkt abspielt: Vor den Augen Hunderter Passanten in der vollen Innenstadt schlägt und tritt eine Gruppe offenkundig Drogenabhängiger auf einen 56-Jährigen ein, jemand wirft ein Fahrrad auf ihn. Schreie, Drohungen sind zu hören, einer der Täter schwingt einen Stock.   Der Kölner wird schwer verletzt, sein Sohn  (26) leicht. Beide waren kurz zuvor einen Treppenaufgang der Haltestelle „Neumarkt“ hinaufgegangen,  der 56-Jährige hatte dabei sichtbar Geld in der Hand gehalten – offenbar der Auslöser für die Tat. Mehrere Passanten alarmieren die Polizei, die nur eine knappe Minute später mit mehreren Autos anrückt. Als die Angreifer die Sirenen hören, flüchten sie mit dem Geld. Damit wird ein neuer Tiefpunkt der Entwicklung auf dem Neumarkt erreicht, der seit Jahren immer stärker von einer offenen Drogenszene geprägt wird.

Auch am Sonntagnachmittag gibt es wieder einen Polizeieinsatz am Neumarkt. Innerhalb einer Gruppe von Männern, die ein paar Meter neben dem Kiosk stehen, ist es zu einer Schlägerei gekommen. Die Sache ist schnell geklärt – es ist tägliche Routine für die Beamten und diejenigen, die hier Drogen konsumieren und Bier trinken. Aber auch für die Geschäftsleute. „Die kloppen sich jeden Tag“, sagt die Mitarbeiterin des Kiosks. „Das Kuriose ist: Wenn die Polizei anrückt, sind sie wieder beste Freunde und schimpfen dann zusammen auf die Beamten.“ Sie hat keine Angst („Dann  könnte ich hier nicht arbeiten“), möchte ihren Namen aber trotzdem nicht in der Zeitung lesen. Ihre Kundschaft macht oft einen großen Bogen um die Gruppe von Junkies. „Seit wir die Preise auf bestimmten Alkohol erhöht haben, kaufen die Drogenleute weniger bei uns, aber ich hatte gerade wieder eine Diskussion mit einem, der sechs Cent zu wenig hatte und mich übel beschimpft hat, weil ich ihm gesagt habe, dass ich ihm nichts schenken kann.“ Ihre  Kollegin wurde vor kurzem mit einem  vollen  Becher Kaffee beworfen.

Drogenszene seit 1990er Jahren bekannt

Die Drogenszene am Neumarkt ist nicht neu. Sei den 1990er Jahren treffen sich hier Junkies und machen Dealer ihre Runden. Es wurde zeitweise besser, als in der Lungengasse ein Methadon-Projekt startete und die Polizei ihre Präsenz massiv erhöhte. „Es ist ein schwieriger Platz“, sagt ein Polizeibeamter, der täglich in der Innenstadt im Einsatz ist und ungenannt bleiben will. „Hier gibt es jeden Tag Theater.“ Seiner Meinung nach macht es keinen Sinn, allein repressive Maßnahmen zu ergreifen. „Wir sprechen Platzverweise aus und können den Leuten aber nicht sagen, wohin sie stattdessen gehen sollen.“ Es müsse ein gutes Angebot geben für die Drogenabhängigen, die sich helfen lassen wollen. „In einer Großstadt wird man die Szene nie auf Null bringen. Die Szene trifft  sich an zentralen Plätzen – wir können sie nicht in einer Wellblechhütte in Widdersdorf unterbringen“, sagt der Beamte. Ein Problem sei, dass die Bekämpfung der Drogenkriminalität nicht auf den oberen Plätzen der polizeilichen Prioritätenliste stehe. Präsenzkonzepte wurden nach Silvester eher für die Umgebung rund um Dom und Hauptbahnhof beschlossen, auch die Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen steht weit oben auf der Liste.

Ein Präsenz- und Repressionskonzept rund um den Neumarkt würde zusätzliche Polizeibeamte benötigen, die es derzeit nicht gibt. „Wenn die Umsätze in den Geschäften rund um den Neumarkt wegbrechen, weil die Szene sich weiter vergrößert, der Platz vor die Hunde geht und gemieden wird, werden Stadt und Politik vielleicht aktiv.“ Was schon angelaufen ist, ist die Entwicklung eines komplexen Drogenhilfsangebots mit einem sogenannten „Konsumraum“ in der Nähe des Gesundheitsamts. „Ein Hilfsangebot gegen die Verelendung“, sagt der Beamte. Es gebe allerdings Bedenken, dass ein solches Angebot eine Sogwirkung auf die Szene haben könne – und die Zahl der Junkies sich  erhöht.

Das sagen Kölner Politiker zur Situation am Neumarkt

Die Kommunalpolitik hat  am Sonntag  bestürzt auf den Angriff reagiert. „Die Drogenszene am Neumarkt ist in den vergangenen Jahren wieder gewachsen“, sagt SPD-Fraktionschef  Martin Börschel. Die Polizei müsse dort mehr Präsenz zeigen. Die Stadtverwaltung benötige zudem viel zu lange, um einen Konsumraum vor Ort einzurichten. Das sei bereits versäumt worden, als Oberbürgermeisterin Henriette Reker noch Sozialdezernentin war. Zuletzt wurde eine Vorlage zur Umsetzung im Sozialausschuss des Stadtrats vertagt, weil Träger wie die Drogenhilfe nicht in das Konzept eingebunden waren.

„Dieser Vorfall ist nicht akzeptabel und zeigt, dass wir mehr Polizisten benötigen“, sagt CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau.  Er halte es allerdings für falsch,  die Kriminalität und den  Konsumraum zu verknüpfen. Wie man den Abhängigen  helfen könne, sei ein anderes Thema. Die Polizei  und die Stadtverwaltung  müssten jetzt im Detail untersuchen, warum sich die Situation auf dem Neumarkt verschlechtert habe.

„Der Angriff ist für die Familie zutiefst bedauerlich und es ist kein gutes Signal, dass so etwas passiert“, sagt Grünen-Fraktionschefin Kirsten Jahn.  Das Ziel müsse sein, in der gesamten Stadt ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen. „Drogenabhängige wird es immer geben, aber sie brauchen eine Anlaufstelle“, so Jahn. Ein Konsumraum könne eine Möglichkeit zur Prävention sein, um eine Eskalation zu vermeiden.

„Die Brutalität ist bestürzend. Der Fall macht deutlich: Polizisten hinter der Videoüberwachung sind keine Lösung, sondern sozialraumorientierte Polizisten vor Ort“, sagt Linken-Fraktionschef Jörg Detjen. Für den  geplanten Drogenkonsumraum am Neumarkt müsse jetzt dringend ein Konzept her.

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