Woelkis Kölner AnwaltBjörn Gercke ist Ankläger und Verteidiger zugleich

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Björn Gercke (r.) übergibt am 18. März 2021 sein Missbrauchsgutachten an Kardinal Rainer Woelki.

  • Im Streit, ob Kardinal Rainer Woelki eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben haben könnte, hat er sich von Rechtsanwalt Björn Gercke vertreten lassen.
  • Gerckes Kölner Kanzlei hat 2020/2021 für das Erzbistum auch ein Missbrauchsgutachten erstellt.
  • Rechtsanwältin Jessica Hamed nennt diese Doppelung eine „Taktlosigkeit“ Gerckes.

Köln – Jessica Hamed ist stellvertretende Direktorin des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw). Die Fachanwältin für Strafrecht ist auch Dozentin an der Hochschule Mainz.  Das Erzbistum Köln beauftragte im Jahr 2020 die Kanzlei des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke mit einer unabhängigen Untersuchung zu Fällen klerikalen sexuellen Missbrauchs in der Zeit von 1975 bis 2018. Gerckes Gutachterpflicht erstreckte sich auch auf die Klärung, ob Kardinal Rainer Woelki in seiner Leitungsfunktion als Erzbischof Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen vorzuwerfen sind.

Hierbei bestreitet Gercke sehr weitgehend eine strafrechtliche Verantwortung der kirchlichen Vorgesetzten selbst für verhinderbare Missbrauchstaten, in denen die Täter ihr Priesteramt ausnutzten, etwa indem sie einen Messdiener in der Sakristei mit Hilfe eben jener Macht bedrängten, die ihnen die Kirche mit der Priesterweihe verliehen hat.

Die Rechtsansicht Gerckes ist in einem Rechtsgutachten nicht haltbar, weil sie der dafür maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zuwiderläuft. Insbesondere das Verschweigen der entgegengesetzten Rechtsprechung des obersten Strafgerichts, womit Gercke zudem gegen die Pflichten eines Rechtsgutachters verstieß, ließ schon seinerzeit in der Rechtswissenschaft Zweifel an seiner Objektivität aufkommen.

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Die hier vertretene Ansicht, dass sehr wohl eine strafrechtliche Verantwortlichkeit aus der „Geschäftsherrenhaftung“ resultieren kann, wird auch durch das im Januar 2022 vorgelegte Gutachten von der Münchener Kanzlei Westphal Spilker Wastl (WSW) betreffend die Erzdiözesen München und Freising bestätigt.

Die dortigen Gutachter lehnen die Ansicht Gerckes entschieden ab, folgen dem Bundesgerichtshof (BGH) und hielten unter anderem fest: „Bei sexuellem Missbrauch von Kindern, Jugendlichen oder Schutzbefohlenen durch Kleriker handelt es sich in den meisten Fällen um eine der priesterlichen Tätigkeit betriebsbezogen anhaftende Straftat, da diese gerade durch die priesterliche Tätigkeit ermöglicht, jedenfalls aber erheblich erleichtert werden. Insbesondere den Diözesanbischof kann im Einzelfall daher die strafrechtlich relevante Garantenpflicht treffen, Missbrauchshandlungen der in seinem Einflussbereich tätigen Priester zu verhindern.“

Brisant: Ein Gutachten eben dieser Kanzlei hat Woelki 2020 zu veröffentlichen abgelehnt. Stattdessen beauftragte er im Anschluss Gercke, der die besagte Rechtsprechung des BGH nicht nur der Sache nach verschwieg, sondern in seinem Gutachten sogar, ohne auf die abweichende Ansicht der Rechtsprechung hinzuweisen, ins Gegenteil verkehrte.

Woelki verstand die Beauftragung von Gutachtern als Beweis für seinen Willen zu schonungsloser Aufklärung, die gegebenenfalls auch vor ihm selbst nicht Halt machen sollte. „Ich habe sozusagen meine eigene Anklageschrift in Auftrag gegeben“, lautete sein Kommentar zu dem Gutachten, das zunächst (2018) WSW anfertigen sollte. Nachdem Woelki diese erste „Anklageschrift“ abgelehnt und dafür rechtliche Bedenken sowie methodische Mängel geltend gemacht hatte, gab er für das Erzbistum eine zweite in Auftrag – ein Privileg, das Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren nicht genießen.

Von Gerckes angekündigter Härte ist in seinem Gutachten wenig zu spüren. Zwar benannte er Verantwortliche und identifizierte eine große Zahl an Pflichtverletzungen. Allerdings bezog er beides lediglich auf kirchenrechtliche Verfehlungen. Strafrechtliche und damit staatlich verfolgbare Verfehlungen vermochte Gercke nicht zu erkennen.

Fast schon konsequent

So gesehen erscheint es fast schon konsequent, dass Gercke, der 2021 mit großer Verve und zumindest gefährlich nah an einem Verstoß gegen das anwaltliche Sachlichkeitsgebot die Bedenken an seiner Unvoreingenommenheit von sich wies, nunmehr in einem Verfahren, das mehrere Strafanzeigen gegen Woelki zum Gegenstand hatte, als sein Rechtsanwalt aufgetreten ist.

Aus Woelkis einstigem „Ankläger“, der ein justiziables Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen noch nicht einmal für rechtlich ernsthaft denkbar hielt (Stichwort: Geschäftsherrenhaftung im „Betrieb“ Kirche), wurde so sein Verteidiger.

Neben der ins Auge springenden Taktlosigkeit des Wechsels vom vorgeblich unvoreingenommenen Gutachter des Bistums zum Verteidiger Woelkis legt ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz die Annahme nahe, dass Gercke mit der Verteidigung Woelkis nicht nur gegen den guten Geschmack, sondern auch gegen berufsrechtliche Regeln verstoßen hat.

So ist es einem Rechtsanwalt untersagt, in derselben Rechtssache die Vertretung widerstreitender Interessen zu übernehmen. Das OLG sah dies in einem Fall gegeben, in dem der Anwalt zunächst eine Firma zur Korruptionsbekämpfung gutachterlich beraten hatte und danach einen Mitarbeiter desselben Unternehmens gegen Korruptionsvorwürfe verteidigt.

Eine vergleichbare Konstellation liegt jetzt im Erzbistum Köln vor. Zwar drehte sich die Befassung der Staatsanwaltschaft um eine eidesstattliche Versicherung Woelkis in einem (erfolgreichen) Prozess gegen die „Bild“-Zeitung. Doch geht es bei der Frage, ob Woelkis Angaben zum Missbrauchsfall des früheren „Sternsinger“-Präsidenten Winfried Pilz richtig oder falsch sind, mittelbar auch darum, ob dem Kardinal eben doch möglicherweise Pflichtverletzungen in der Vergangenheit beim Umgang mit Missbrauchstaten vorzuwerfen sind.

Gegen diesen Vorwurf muss Gercke ihn möglicherweise (mittelbar) verteidigen. Woelki versicherte nämlich an Eides statt: „Ich wurde mit dem Fall Pilz durch das Erzbistum Köln erst in der 4. Juni-Woche 2022 befasst […]“. Daran kamen Zweifel auf, die zu mehreren Strafanzeigen führten. Die Kölner Staatsanwaltschaft sah allerdings bislang keinen Grund für Ermittlungen.

Ersichtlich mindert es in der Öffentlichkeit den Wert der Aufklärung von Missbrauchsfällen im Gercke-Gutachten, wenn der Verfasser diese zunächst aufspüren sollte, dann aber den Erzbischof verteidigt. Es ist gut denkbar, dass die Interessen einander hier zuwiderlaufen: Während das Erzbistum als Auftraggeber des Gutachtens das Interesse haben dürfte, herauszufinden, ob es in der Vergangenheit Verfehlungen von Diözesanverantwortlichen – unter anderem von Woelki – gab, ist es Woelkis Interesse, vor derartigen Vorwürfen geschützt zu werden.

Stellte sich heraus, dass Woelki schon früher, anders als eventuell von Gercke im Gutachten zugrunde gelegt, vom Fall Pilz Kenntnis erlangt hat, wäre Gercke gegebenenfalls in der Pflicht, sein Gutachten im Interesse des damaligen Auftraggebers nachzubessern. Im Aktenvorgang 148 des Gutachtens wird zu Pilz anonymisiert festgehalten, dass im Dezember 2018, also in Woelkis Amtszeit, die Akten der Staatsanwaltschaft übergeben wurden. Feststellungen zu Woelkis Kenntnisstand wurden nicht getroffen und wären womöglich nachzuholen.

Gercke trifft aber zugleich die Pflicht, seinen Mandanten Woelki vor Schuldvorwürfen zu bewahren. Zugespitzt formuliert: Das Erzbistum will alle etwaigen Verfehlungen ans Licht bringen, und Woelki will sich gegen etwaige Verfehlungen verteidigt wissen. Beide Interessen stehen sich unversöhnlich gegenüber.

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Im Übrigen würde sich an dem rechtlichen Verbot der Mandatsübernahme, das zudem die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags zur Folge hat, auch nichts ändern, falls das Erzbistum Köln (irritierenderweise) mit der Verteidigung Woelkis durch Gercke einverstanden gewesen sein sollte. Grund dafür ist, dass die in Rede stehende berufsrechtliche Vorschrift auch die in der Rechtspflege gebotene Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung schützt, weshalb die Staatsanwaltschaft Köln einfordern sollte, dass Gercke die Verteidigung Woelkis niederlegt.

Einzig in dem Fall, in dem das Erzbistum subjektiv gar nicht das Interesse haben sollte, etwaige Verfehlungen Woelkis herauszufinden, gäbe es keinen Widerstreit, sondern einen Gleichlauf der Interessen – und folglich auch keinen standesrechtlichen Konflikt.

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