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Zum Tod von Wilhelm SalberKöln hat seinen größten Psychologen verloren

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Wilhelm Salber

Köln – In der letzten Gesprächsrunde mit ihm vier Tage vor der Präsidentschaftswahl in den  USA zeigte Wilhelm Salber wieder einmal seine auch mit 88 Jahren noch ungebrochene intellektuelle Spannkraft und psychologische Weitsicht. Er kritisierte die Nullzins-Politik der US-Zentralbank, weil die Bürger sinnbildlich keine Zuwendungen für ihre Lebensleistungen erhielten. Er analysierte konsequent die Entwicklungen einer „präfaschistischen Gesellschaft“ und prognostizierte mit klaren Argumenten den Wahlsieg Donald Trumps. Am Freitagabend hat Köln seinen größten Psychologen  und einen der letzten Universalgelehrten verloren. Salber starb an den Folgen eines Schlaganfalls, den er vor wenigen Wochen erlitten hatte.

Von 1963 bis 1993 war Salber Direktor des Psychologischen Instituts an der Universität zu Köln. Für Psychologie-Studenten in ganz Deutschland galt Köln in diesen drei Jahrzehnten als Alternative zum akademischen  Mainstream. In Köln wurde quergedacht, hier wurde tabulos die seelische Wirklichkeit beschrieben und der Frage nach den tieferen Beweggründen des Verhaltens nachgegangen. Hier lehrte mit  Salber ein charismatischer Professor mit wachem Auge und brillanter Rhetorik. Einem breiten Publikum wurde Salber zudem  als Experte der WDR-Fernsehsendung „Hilferufe“ bekannt, die in den 80er Jahren wöchentlich ausgestrahlt wurde.

Als unermüdlicher Streiter für den seelischen Zusammenhang in einer immer stärker auseinanderfallenden, fragmentierten Welt entwickelte Salber eine verstehende Psychologie, die durch die Beschreibung und Analyse des menschlichen Lebensalltags der geheimen Logik der Seele auf den Grund geht.

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Köln avancierte in der Ära Salber zu einem gallischen Dorf der Psychologie, das trotz der damals wie heute vorherrschenden statistischen oder naturwissenschaftlichen Schulen eine entschieden „psychologische Psychologie“ betrieb. Dabei folgte Salber dem Credo Albert Einsteins, dass nicht alles zählt, was man zählen kann,   und nicht alles, was zählt, sich zählen lässt. Die Seele lässt sich „bei ihren Verwandlungen nur ertappen“, wenn man unbewusste Prozesse und Zusammenhänge im Blick behält. Vom Großteil der akademischen Welt wurde Salbers „morphologische Psychologie“ angefeindet oder ignoriert. Begeisterte Anerkennung fand er jedoch bei seinen Studenten. 600 Zuhörer besuchten jede seiner Vorlesungen – bei den anderen Psychologie-Professoren waren es meist nur 60.

Zuspruch fand er auch bei Anna Freud, der Tochter Sigmund Freuds. Seit den 70er Jahren besuchte Salber sie in London und legte sich  auf ihre Couch. Über diese Psychoanalyse entwickelte sich eine langjährige Freundschaft mit ihr sowie mit dem Freud-Enkel Ernest Freud. Zusammen mit ihm entwickelte Wilhelm Salber dann eine Kurzform der Psychoanalyse, die analytische Intensivberatung.

Aber Salbers universelle Perspektive beschränkte sich nicht auf die  therapeutische Behandlung. Der geheime Bauplan in unserem Alltag, in den Medien, der Kunst und der Gesellschaft war seine Leidenschaft und Gegenstand von 35 Büchern und 150 Abhandlungen. Heute arbeiten unzählige Therapeuten in ganz Deutschland und viele Forschungs-Institute – wie zum Beispiel „rheingold“ – erfolgreich mit seinen Konzepten und Methoden.

Wilhelm Salbers morphologische Psychologie entwickelt Überlegungen Johann Wolfgang Goethes, der Phänomenologie, der Gestaltpsychologie und der Psychoanalyse weiter. Gerade in Köln fand sie ein ideales Klima für ihre Entwicklung. Erstens weil sie für sich wissenschaftliche Narrenfreiheit beanspruchte: Die vorurteilsfreie Beschreibung der tragikomischen Wendungen der Seele darf sich nicht durch Denkhemmungen, durch Tabus oder die Gebote politischer Korrektheit beschränken lassen.

Zweitens war Köln ein so günstiger Standort für Salbers Ansatz, weil er – wie die kölschen Lieder – den banalen Alltag der Menschen zum Ausgangspunkt psychologischer Betrachtungen macht: Die Seele existiert nicht im luftleeren Raum oder in gelehrten Büchern, sondern im Kaffeetrinken und Putzen, im Zeitunglesen und Tratschen, in  Reibekuchen und Blutwurst, in Kaffebud und Zoobesuch.  Ein Hauptwerk  Salbers heißt daher  „Der Alltag ist nicht grau“. Hier wird die Psycho-Logik unser Alltagsformen beschrieben: Arztbesuche, Angeln, Tanzen, Sich im Spiegel anschauen, Fernreisen,  Weihnachten, Schenken, Streiten, Schlager singen, Lotto spielen, Lügen.

Drittes Pluspunkt Kölns für Salbers Werk: Es beschreibt die ständige Verwandlung und Umgestaltung als ein Grundanliegen der Seele. Auch außerhalb des Karnevals ist die Seele von einer unersättlichen Verwandlungsgier getrieben. All das, was die Menschen in Illustrierten, in Kinofilmen oder auf YouTube verfolgen, ist ein Anreiz für Verwandlungen. Wir kleiden uns ein, suchen einen Partner, beziehen eine Wohnung, um der Verwandlung eine konkrete Gestalt zu geben, die dann doch wieder aufgelöst wird. Das eben erst gekaufte Kleidungsstück wandert in den Schrank, und unsere Partner werden umerzogen, sobald wir sie näher kennengelernt haben. In dieser ständigen Gestaltung und Umgestaltung  steckt ein kunstvolles System.

Die Pioniertat Wilhelm Salbers ist es, die Entwicklungsprinzipien und die Schicksalsmuster des Seelenlebens transparent gemacht zu haben. Bahnbrechend sind dabei seine Analyse und sein Einsatz der Grimmschen Märchen in der Forschungs- und Beratungspraxis – als plastische  Sinnbilder seelischer Schicksale von Mensen, Unternehmen und Kulturen. Der dunkle Kontinent der Seele ist von Wilhelm Salber in Köln morphologisch neu kartiert worden.

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