„Atomic Blonde“Charlize Theron zwischen Schlachtfeld und Laufsteg

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Kommen sich näher: Charlize Theron und Sofia Boutella als Agentinnen in Berlin

Kommen sich näher: Charlize Theron und Sofia Boutella als Agentinnen in Berlin

Köln – Der Oscar bietet für vieles eine Bühne, für Äußerlichkeiten wie extravagante Kleidung, aber auch für substanzielle Beschwerden, für die das Ritual der jährlichen Verleihung genutzt wird. Zwei Klagen sind notorisch: darüber, dass schwarze Filmkünstler bei den Awards unterrepräsentiert sind, sowie die Kritik an der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern. Letztere verdienen mehr, bekommen bessere und größere Aufträge, und sofern sie als Schauspieler arbeiten, sind sie in den glänzenderen Rollen zu sehen. Das alles ist durch Studien belegt. Möglicherweise aber wird 2017 als Jahr in die Geschichte Hollywoods eingehen, in dem sich dieser Zustand zu verändern beginnt.

Top-Agentin folgt auf Superheldin

Mit „Wonder Woman“ kam in diesem Frühjahr ein Film in die Kinos, in dem erstmals eine Superheldin in der unumstrittenen Hauptrolle zu sehen war – nun folgt mit „Atomic Blonde“ eine knallharte Charlize Theron als Top-Agentin. Theron sieht selbst dann schön aus, wenn sie verbeult und von blauen Flecken übersät ist, aber das ist nicht der Punkt: Ihre Lorraine Broughton verbindet Stil mit Kampfgeist, und weil sie sich dabei schlägt wie ein Kerl, bemüht sie sich, mindestens zu solch einer Ikone zu werden wie Uma Thurman als die Braut in Quentin Tarantinos „Kill Bill“.

2003 spielte sie in „Monster“ von Patty Jenkins – die übrigens auch die Regisseurin von „Wonder Woman“ ist – die Serienmörderin Aileen Wuornos; eine kranke, zerquälte Frau, für deren Darstellung sich das einstige Model Theron in ein körperliches Wrack verwandelte. Ein anderes Extrem ihrer schauspielerischen Fähigkeiten markiert „Young Adult“ von Jason Reitman, in dem sie eine Autorin von Jugendbüchern spielt, die sich aus dem romantisch-verkitschten Kosmos ihrer eigenen Erfindungen nicht befreien kann. Nun also Lorraine Broughton, wie Wonder Woman eine Amazone, eine Kriegerin, aber eine, die auf dem harten Pflaster einer Stadt landet, die gerade nicht weniger als einen historischen Moment erlebt.

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Daten zum Film

„Atomic Blonde“, USA 2017, mit Charlize Theron. Ferner wirken mit John Goodman, Sofia Boutella, Toby Jones, Eddie Marsan, Til Schweiger und James McAvoy

Regie: David Leitch

Länge: 115 Minuten

Stasi-Überläufer, Strippenzieher, Doppelagenten

Berlin steht kurz vor dem Fall der Mauer, und bevor die Frontkämpfer des Kalten Krieges arbeitslos werden, drehen sie noch einmal richtig auf: Stasi-Überläufer, Strippenzieher und zynische Doppelagenten – David Leitch bietet auf, was gut und gewohnt in Ost-West-Thrillern ist, und leider sieht sein ganzer Film deswegen aus wie ein hyperstilisiertes Großzitat, das sich mal eben im Vorübergehen bei Vorbildern bedankt. Grenzübertritte wie im „Spion, der aus der Kälte kam“, bonbonfarbene Bars wie bei James Bond, beschleunigte Action wie bei Jason Bourne, dazu die „Coldest City“, die auf Ostseite in morbider Schmuddeligkeit vor sich hin verwahrlost und im Westen mit dem Ku'damm punkten kann. Es ist eine Kulisse aus Versatzstücken, die der ehemalige Stuntman Leitch zusammenpuzzelt, und vielleicht liegt es daran, dass dieses Berlin, eigentlich ein mythischer, sagenumwobener, auch emotional starker Ort, so seltsam gesichtslos, ja leblos wirkt.

Vielleicht ist dafür aber auch verantwortlich, dass Leitchs Berlin gar nichts anderes sein soll als eine Kulisse, nämlich für Charlize Theron, die alles überstrahlt – die Stadt, den historischen Moment, auch ihre Mitspieler wie James McAvoy, Eddie Marsan und Til Schweiger in einer Minirolle als Uhrmacher mit Abgründen. Allenfalls Sofia Boutella als homoerotischer Sidekick für Lorraine Broughton darf ebenfalls ein wenig Ausstrahlung entfalten, was natürlich zur feministischen Grundierung des Films passt. Aber was heißt feministisch? Als Furiosa in „Mad Max“ war Charlize Theron eine charismatische Führungsfigur, als „Atomic Blonde“ raucht und trinkt sie bloß genauso viel wie ein Mann.

Leitch richtet alles darauf aus, seine Hauptfigur schillern zu lassen – vor allem in den zahlreichen Kampfszenen, durch die Charlize Theron mit zirzensischer Anmut hechtet und ihre Gegner auch mit Kochplatten manövrierunfähig macht. Im Lacktrench und mit spitzen Stiefelchen versteht sie es, aus jedem Schlachtfeld gleichzeitig einen Laufsteg zu machen, worüber sich die Agentenstory zunehmend verflüchtigt. Für Charlize Theron ist es eine Kleinigkeit, die unnahbar kühle Schöne zu spielen, und doch: Gilt es beim nächsten Oscar, sich zwischen Lorraine Broughton und Wonder Woman zu entscheiden, wir wüssten, wen wir wählen würden.

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